Kaum Wasser unterm Kiel für die Kreuzschifffahrt
Von Carsten Steevens, HamburgErste Reedereien wie Tui Cruises, das 2008 entstandene Joint Venture des weltweit zweitgrößten Kreuzfahrtunternehmens Royal Caribbean und des Reisekonzerns Tui, lassen ihre Schiffe wieder in See stechen. Mitten in der Coronakrise, die das Geschäft einer erfolgsverwöhnten Branche im März abrupt zum Stillstand brachte, sollen Leitlinien von Behörden wie der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) einerseits sowie detaillierte Konzepte einzelner Reedereien andererseits einen schrittweisen Neustart des Geschäfts ermöglichen und Kunden ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Tests mit “Blauen Reisen” Kurzreisen von wenigen Tagen etwa auf Nord- und Ostsee mit deutlich reduzierter Passagierzahl, ohne Landgang und ohne Anlauf eines weiteren Hafens sollen Belege liefern, inwieweit die Gesundheits- und Sicherheitskonzepte tragfähig sind. Die Frage, ob diese sogenannten “Blauen Reisen” mit hälftiger Auslastung der Schiffe wirtschaftlich sind, dürfte für die großen Reedereien kaum im Vordergrund stehen, auch wenn sie aktuell vor allem Liquiditätssicherung betreiben. Mit der Aussicht auf eine Öffnung weiterer Häfen für das Kreuzfahrtgeschäft in absehbarer Zeit sollen die Trips Hinweise geben, ob nach den Bildern von umherirrenden Schiffen mit Corona-Infizierten, denen Häfen die Einfahrt verweigerten, ob nach Nachrichten über Todesfälle an Bord und über tagelang festsitzende Passagiere eine Rückkehr zur “alten” Normalität möglich ist und wie lang der Weg bis dahin sein wird.Ende vergangenen Jahres prognostizierte der Kreuzfahrtverband CLIA, dass sich der Branchen-Boom 2020 fortsetzen werde und mit einem Anstieg der weltweiten Passagierzahl auf 32 Millionen von erwarteten 30 Millionen im vergangenen Jahr gerechnet werden könne. Nach einem Jahrzehnt, in dem sich die Zahl der Kreuzfahrtpassagiere global um rund 10 Millionen erhöhte, sollten sich die Reedereien infolge der Corona-Pandemie auf moderatere Wachstumsraten einstellen. Wenn insbesondere ältere Menschen zu den Risikogruppen der Covid-19-Erkrankung zählen, dann muss die Ausrichtung der Kreuzfahrtkonzerne auf die in der Regel zahlungskräftigere ältere Klientel in Frage gestellt werden. Neue Abstandsregelungen dürften sich, wenn sie denn beibehalten werden, auf die Kapazitäten der Schiffe auswirken. Die Reedereien, die ihre Schiffe bislang in Ländern registrieren lassen, in denen sie Steuervorteile nutzen können, sollten dieses Billigflaggen-Konzept zudem überdenken, wenn sie in einer Krise um Finanzhilfen von Staaten anfragen, an die sie keine Steuern abführen und in denen sie auch kaum für Arbeitsplätze sorgen.Die Pandemie hat die Kreuzfahrtindustrie durchgeschüttelt, wie nicht nur der Kurssturz der größten, in Florida ansässigen Konzerne Carnival, Royal Caribbean und Norwegian an der Börse um bis zu 80 % in diesem Jahr zeigt. Geschäftszahlen der Reedereien demonstrieren inzwischen das immense Ausmaß der Coronakrise für die Branche, die in den USA – dem weltgrößten Kreuzfahrtmarkt – noch mindestens bis zum 31. Oktober auf eine Wiederaufnahme von Kreuzfahrten verzichtet. So bot etwa Royal Caribbean nach den am 13. März weltweit eingestellten Aktivitäten im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres keine Kreuzfahrten an, was der Gesellschaft einen Nettoverlust von 1,6 Mrd. Dollar einbrachte. Der mit einer Flotte von mehr als 100 Schiffen Branchenerste Carnival, zu dem auch der deutsche Marktführer Aida gehört, schrieb im Ende Mai abgeschlossenen zweiten Quartal mit 4,4 Mrd. Dollar rote Zahlen.Zwar schaffen es die großen Gesellschaften, sich durch hochverzinsliche Anleihen, Wandelschuldverschreibungen oder Commercial Paper sowie durch neue oder angepasste Kreditlinien finanziell über Wasser zu halten. So sicherte sich der Branchendritte Norwegian, der im zweiten Quartal einen Verlust von 715 Mill. Dollar einfuhr, seit dem Frühjahr fast 4 Mrd. Dollar. Doch verursacht der Stillstand monatliche Mittelabflüsse in dreistelliger Millionenhöhe – kein dauerhaft tragfähiger Zustand. Das spanische Royal-Caribbean-Joint Venture Pullmantur meldete im Juni Insolvenz an. Reputation auf PrüfstandDie Kreuzfahrtreeder, die auch in derzeit im Hintergrund verschwundenen Fragen wie Klimaschutz und “Overtourism” ihre Reputation und Verantwortung hinterfragen müssen, nehmen mit den neuen Kurzreisen das Risiko von Infizierungen an Bord wieder in Kauf. Dabei dürfte es infolge der Coronakrise auch langfristig kein “Weiter so” geben. Voraussetzung dafür wäre aber wohl, dass Kreuzfahrten deutlich teurer und wieder mehr zu einem Luxus werden.