Kodex-Neuerungen stoßen auf harsche Kritik

Unternehmen wollen unabhängige Aufsichtsräte nicht beim Namen nennen - Investoren reagieren positiv auf Regelanpassungen

Kodex-Neuerungen stoßen auf harsche Kritik

Die geplanten Änderungen im Deutschen Corporate Governance Kodex stoßen auf breite Ablehnung in Unternehmen und Verbänden. Das geht aus Stellungnahmen auf die vorgeschlagenen Anpassungen hervor. Besonders im Feuer stehen die neuen Angaben über mögliche Interessenkonflikte in Aufsichtsräten. Zustimmung gibt es aus dem Kreis von Investoren, der die Kodexkommission sogar teilweise noch zu Nachbesserungen ermuntert.Von Sabine Wadewitz, FrankfurtDie Spiellinie verläuft zwischen Investoren und Unternehmen. Während Anlegervertreter die neu vorgeschlagenen Anpassungen im Deutschen Corporate Governance Kodex durchaus wohlwollend betrachten, stoßen die Änderungen bei Unternehmen, Verbänden und auch Gewerkschaften auf teils harsche Kritik. Dies lässt sich der Flut an Stellungnahmen entnehmen, die während der Konsultationsfrist an die Kodex-Kommission geschickt wurden. Erstmals hat das Gremium die eingehende Post veröffentlicht. Breites SpektrumDas Spektrum der eingesandten Äußerungen reicht weit: von “alles schlecht” bis “volles Lob”. Sehr unterschiedlich wird schon der Vorschlag aufgenommen, in der Präambel des Kodex künftig an das Leitbild des “Ehrbaren Kaufmanns” zu appellieren. Ein Anliegen, das dem Kommissionsvorsitzenden Manfred Gentz besonders am Herzen liegt und das immer wieder bemüht wird, um auf Mäßigung und Rechtschaffenheit hinzuwirken. Manches Unternehmen befürchtet jedoch, dass damit ein Einfallstor für Gerichtsprozesse geschaffen würde.”Wir erachten es als problematisch, hinsichtlich des Maßstabs für die Unternehmensführung auf unbestimmte Begriffe wie ,Legitimität` und das Leitbild des ,Ehrbaren Kaufmanns` abzustellen”, argumentiert die Deutsche Bank. Die Einführung dieser Begriffe eröffnen aus Sicht der Bank “Spielraum für Diskussionen” und gegebenenfalls für Aktionärsklagen. Gerichte könnten gezwungen sein, unternehmerische Entscheidungen anhand von Maßstäben zu überprüfen, die in Gestalt unbestimmter Begriffe festgelegt wurden und über deren Inhalt sich “trefflich streiten” lasse.Auch der Chemiekonzern BASF, der alle wesentlichen Kodex-Änderungen ablehnt, brandmarkt die Ergänzung der Präambel und hält sie nicht für geeignet, die Unternehmensführung in deutschen Gesellschaften zu verbessern. Ohne nähere Konkretisierung der als maßgeblich angesehenen ethischen Verhaltensanforderungen könnten daraus keine Handlungsmaximen abgeleitet werden. BASF befürchtet auch, dass Erwartungen in der Öffentlichkeit geweckt würden, die aufgrund unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe enttäuscht werden könnten. AusgesetztDer Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hält ebenfalls die mangelnde Konkretisierung ethischer Prinzipien für kritisch und sieht die Gefahr, dass Unternehmen auch bei rechtlich fehlerlosem Verhalten in der Öffentlichkeit dem Vorwurf der Illegitimität oder des Kodex-Verstoßes ausgesetzt werden. “Dass auch international die Sichtweisen darüber auseinandergehen, was unethisches Verhalten und was hingegen wirtschaftlich kluges Handeln im Unternehmensinteresse darstellt, zeigen etliche Beispiele, etwa aus dem Bereich der Steuergestaltung”, schreibt der BDI.Die Meinungen gehen auch über die Präzisierung im Kodex auseinander, wonach institutionelle Anleger “ihre Eigentumsrechte aktiv und verantwortungsvoll im Rahmen eines konsistenten, transparenten und die Nachhaltigkeit berücksichtigenden Regelwerks” ausüben sollen. Hier wird von Kritikern, wie der BASF, argumentiert, dass die Einbeziehung institutioneller Anleger einen Fremdkörper im Kodex darstellt. Auch die Deutsche Bank hält den Passus für systemfremd. Anwälte der Kanzlei Linklaters argumentieren ebenfalls gegen den Vorschlag, in dem sie weder eine Empfehlung noch eine Anregung sehen, sondern eine “(vermeintlich) gesetzeswiedergebende Passage”. Doch aus Sicht der Anwälte gibt es hierzulande keine gesetzliche Pflicht, Aktionärsrechte auszuüben. Laut Gesetz seien die Aktionärspflichten auf die “Leistung der Einlage” begrenzt “und passives Verhalten damit zulässig”. Der Anspruch einer aktiven Portfolioverwaltung könne sich allenfalls aus dem eigenen Binnenrecht institutioneller Anleger ergeben.Ganz anders denken Investoren über den sie selbst betreffenden Passus. Der britische Assetmanager Hermes befürwortet die Kodexergänzung zu den Pflichten institutioneller Anleger und hält sie für sinnvoll für Unternehmen und Investoren. Die Kodex-Kommission folge einem internationalen Trend. Auch der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock unterstützt die Ergänzung und unterstreicht, dass der Investor seinem Einfluss bei der Besetzung der Aufsichtsräte und Boards große Bedeutung beimesse.Weitgehend zurückgewiesen wird auf Unternehmensseite auch die neue Kodex-Empfehlung, wonach der Aufsichtsrat die aus seiner Sicht unabhängigen Mitglieder des Gremiums mit Namen nennen soll. Für die Deutsche Bank ist es unklar, anhand welcher Kriterien Unabhängigkeit zu bemessen ist. Auch könne die namentliche Auflistung dazu führen, dass die als unabhängig klassifizierten von Investoren und Öffentlichkeit als die besseren Aufsichtsräte wahrgenommen werden, befürchtet die Bank. Die Allianz sieht Konfliktpotenzial innerhalb des Aufsichtsrats über die Qualifikation als “abhängig” und “unabhängig” und wittert die Gefahr von Anfechtungsklagen, die durch fehlerhafte Angaben ausgelöst werden könnten. Eine eigene Stellungnahme hat Allianz-Aufsichtsratschef Helmut Perlet verfasst. Er befürchtet, dass eine “vertrauensvolle inhaltliche Arbeit” des Aufsichtsrats erschwert würde. Der Medienkonzern Axel Springer hält es für fraglich, ob Unabhängigkeit an sich in jeder Unternehmenskonstellation ein Qualitätsmerkmal für ein Aufsichtsratsmitglied sein müsse.Norges Bank, der Staatfonds aus Oslo, begrüßt die geplanten Angaben zur Unabhängigkeit von Aufsichtsräten – und fordert mehr. So sollte der Kodex aus Sicht der Norweger belastbare Kriterien festlegen, die Interessenkonflikte von Aufsichtsratskandidaten auslösen könnten. So erhielten Unternehmen und Investoren eine Orientierung darüber, welche Faktoren man für kritisch hält. Das würde den Kodex aus Sicht des Staatsfonds auf Augenhöhe bringen mit entsprechenden Regelwerken in Frankreich, den Niederlanden, Schweden und Großbritannien.Norges Bank schlägt auch einen Passus vor, wonach im Aufsichtsratsbericht aufgeschlüsselt wird, welche möglichen Einschränkungen von Unabhängigkeit festgestellt wurden und wie das Gremium damit umgegangen ist. Aus Sicht des Staatsfonds sollte der Kodex auch eine Quote empfehlen für die Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder.Erhebliche Bedenken äußern Unternehmen auch bezüglich der geplanten Kodex-Vorgaben zum Dialog zwischen Aufsichtsratsvorsitzendem und Investoren – obgleich das für viele Konzerne inzwischen geübte Praxis ist und jüngst eine Arbeitsgruppe aus Aufsichtsräten, Investorenvertretern und Wissenschaftlern Leitsätze für diesen Gedankenaustausch erarbeitet hat. Doch man stößt sich nun daran, dass eine Dialogbereitschaft vorgeschrieben werden soll. Auch wird darauf verwiesen, dass es im Aktiengesetz dazu keine Regelung gibt und dass sich das rechtlich vorgesehene Kompetenzgefüge zwischen Vorstand und Aufsichtsrat in “rechtlich fragwürdiger Weise verschiebt”, wie es Fuchs Petrolub formuliert.Der renommierte Rechtswissenschaftler Marcus Lutter, ehemals Mitglied der Kodex-Kommission, hält es nach wie vor für streitig, ob der Aufsichtsrat oder sein Vorsitzender mit Investoren Gespräche führen darf. Der Kommission wirft er vor, sie mische sich mit ihrer neuen Empfehlung “in diese Rechtsfrage mit einem klaren Statement ein und tut dabei auch noch so, als sei das klar und unstreitig”. Kompetenzverschiebung?Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnt die Kodex-Ergänzung zu Investorengesprächen ab. Der Kodex-Kommission stehe es nicht zu, “Rechtsetzung im Sinne einer Weiterentwicklung der Gesetze zu betreiben”. Es bestehe die Gefahr, dass Investoren nicht gleich behandelt würden und einzelne bessere Informations- und Interessenvertretungskanäle erhielten als andere. Die Hauptversammlung sei das Forum, wo Gesellschafter ihre Interessen artikulieren, meint der DGB und mahnt: “Eine Umgehung dieser Kompetenzstrukturen durch faktische Einflussnahme aktiver Aktionäre auf den Aufsichtsratsvorsitzenden kann zu einer Schwächung des Aufsichtsrats als Kontrollgremium und zu rechtlich nicht gebilligten Parallelstrukturen führen.”