Kohleverstromung gerät unter Rechtfertigungsdruck
Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfWährend die Bundestagswahl näher rückt, wird eines immer klarer: Entweder die Bundesregierung gibt die Ziele für die CO2-Reduktion in ihrem Klimaschutzplan auf – oder es muss über den geordneten Ausstieg aus der Kohleverstromung diskutiert werden. Der Kohleausstieg ist das Lieblingsthema der Grünen, die die 20 schmutzigsten Kraftwerke gleich abschalten und den kompletten Ausstieg bis 2030 wollen. Die Union hat das Thema erstmals im Programm: “Der langfristige Ausstieg aus der Braunkohle muss parallel zu einer konkreten neuen Strukturentwicklung verlaufen”, heißt es da wenig konkret. Noch schwerer tut sich die SPD: “Der Strukturwandel in der Energiewirtschaft wird sich fortsetzen” – von Ausstieg ist nicht die Rede, die Sozialdemokraten fürchten Probleme mit ihren Wählern. Die Linke dagegen will den letzten Meiler bis 2035 vom Netz nehmen. Die FDP warnt lediglich vor “nationalen Alleingängen”. Allein die AfD schreibt explizit, dass es Kohlekraftwerke weiter brauche. Der Anteil der Braunkohle an der gesamten Bruttostromerzeugung in Deutschland ist immer noch sehr hoch, sank aber bis 2016 von 26 % auf 23 % – der Anteil der Steinkohle lag noch bei 17 %. Emissionshandel versagt”Die deutschen Klimaziele sind nur mit dem Stromsektor zu erreichen und bedeuten letztlich den Ausstieg aus der Kohleverstromung”, meint Uwe Burkert, Chefvolkswirt der LBBW und Leiter des Research. Aktuell und mittelfristig sende der EU-Emissionshandel kein Preissignal, das einen Anreiz zur CO2-Reduktion setzen würde, weswegen ein nationales Instrument – etwa ein Mindestpreis – oder andere nationale Beschlüsse ratsam seien, um einen geordneten Übergang herzustellen und die Emissionsziele für 2030 sowie 2040 und 2050 zu erreichen.RWE-Chef Rolf Martin Schmitz warnt dagegen vor Schnellschüssen: “Ein deutscher Alleingang bei der Kohleverstromung wäre reine Symbolpolitik, die dem Klima nicht hilft.” Vielmehr solle Europas Emissionshandel gestärkt werden, mit dem die Klimaschutzziele in der Stromversorgung erreicht würden.Planungssicherheit und Verlässlichkeit sind für die Versorger zentral. Daher schlägt das auf Energiefragen spezialisierte Analyseinstitut Agora einen zeitnahen Kohlekompromiss vor. Eckpunkte sind ein schrittweiser Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2040, kein Neubau von Kohlekraftwerken – jedenfalls nach der für 2018 geplanten Inbetriebnahme des Uniper Steinkohlekraftwerks Datteln 4 – und die Festlegung eines kosteneffizienten Abschaltplans. Hinzu kommen die Gestaltung des ausstiegsbedingten Strukturwandels sowie die Stilllegung der frei werdenden CO2-Zertifikate und die Sicherstellung der Versorgungssicherheit über die verbleibenden konventionellen Kraftwerke als Back-up für die schwankende Ökostromeinspeisung aus Wind und Sonne. RWE am stärksten betroffenDie Kohleverstromung ist seit einigen Jahren durch Regulierungsvorgaben auf dem Rückzug. Weitere Kapazitätsschließungen sind denkbar. RWE hat aktuell das größte Exposure zur Kohle. Bei dem Konzern beträgt der Anteil der Kohle an der Stromerzeugung mehr als 50 %. Bei Vattenfall hat sich das Exposure durch den Verkauf der Braunkohle-Assets an den tschechischen Energiekonzern EPH deutlich reduziert.Bei RWE trägt die Braunkohleverstromung zum operativen Gewinn bei – allerdings nicht allzu viel. Obwohl der Bereich Braunkohle & Kernenergie im ersten Halbjahr mit 331 Mill. Euro einen Rückgang gegenüber Vorjahr um 15 % aufwies, zeigte sich die Ergebnisentwicklung im zweiten Quartal mit einem Anstieg von 37 Mill. Euro auf 101 Mill. Euro deutlich verbessert. Begünstigt war dies jedoch durch den Wegfall der Brennelementesteuer.Eine CO2-Steuer, also eine Abgabe nach Treibhausgas-Ausstoß, würde die schmutzigsten Anlagen aus dem Markt drängen. RWE-Chef Schmitz hält davon wenig. Um Debatten über die Arbeitsplätze im Tagebau im Wahlkampf zu vermeiden, soll erst im nächsten Jahr eine Kommission zusammentreten, die den Braunkohle-Ausstieg vorbereitet.