Langer Weg zum grünen Modehändler
Von Helmut Kipp, Frankfurt
Von der englischen Modedesignerin Vivienne Westwood, die in den 1970er Jahren mit der Erfindung der Punk-Mode bekannt wurde, stammt die Empfehlung: Kauft weniger, wählt sorgfältiger aus, nutzt es länger. Ein Motto, das den Weg zu einem nachhaltigeren Umgang mit Bekleidung weist. Umwelt- und Klimaschützer machen sich schon länger für eine Umorientierung der Modebranche stark und fordern eine Abkehr vom schnellen Konsum. Der öffentliche Druck auf Modehersteller und -händler nimmt zu. Auch Investoren fordern eine verstärkte Ausrichtung auf Nachhaltigkeit.
Welche Bedeutung die Modebranche für den Klimawandel hat, macht eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey und der Non-Profit-Organisation Global Fashion Agenda vom Sommer 2020 deutlich. Demnach ist die Bekleidungs- und Schuhindustrie für 4% des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Sie emittiert so viel Kohlendioxid wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen. Vor allem in der Herstellung sehen die Experten Potenziale für eine Emissionsverringerung, etwa durch höhere Energieeffizienz und den Wechsel von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien. Weitere Ansatzpunkte seien veränderte Materialmischungen, etwa mehr Recyclingfasern, nachhaltige Verpackungen und Transportmittel, weniger Retouren, geringere Überproduktion sowie der Wiederverkauf von Bekleidung.
Viele Unternehmen haben die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeitsthemen erkannt und entsprechende Initiativen gestartet. Doch die Branche braucht die ständigen Wechsel von Kollektionen, Schnitten und Farben, um Verkauf und Umsatz anzukurbeln. Dabei haben die meisten Konsumenten der westlichen Industrieländer schon jetzt mehr als genug Klamotten im Schrank.
Der Weg zum grünen Modekonzern ist lang und schwierig. Das zeigt sich am Beispiel Zalando. Europas größter Online-Modehändler nimmt für sich in Anspruch, Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie verankert zu haben. Im Jahr 2020 wurden noch 9316 Tonnen CO2 emittiert, 64% weniger als 2017. Bis 2025 will Zalando den Ausstoß auf gut 5200 Tonnen senken, ein Rückgang um 80% zu 2017. Die eigenen Operations seien auf erneuerbare Energiequellen umgestellt worden, alle Logistikzentren würden mit grünem Strom und Biogas betrieben, versicherte Finanzvorstand David Schröder, der zum 1. März auf den Posten des Chief Operating Officers (COO) wechselt, im Interview der Börsen-Zeitung (BZ vom 5.11.2021). 70% der Versandtüten bestünden aus nachhaltigen Papierverpackungen.
Verkürzte Nutzungszyklen
Den Zielwert für den Verkauf nachhaltigerer Mode hat das Management von 20% des über die Plattform abgewickelten Umsatzes auf 25% angehoben. Er soll bis 2023 erreicht werden. 2020 betrug der Anteil 16% nach 6,7% im Jahr 2019. Doch im Umkehrschluss bedeutet die Zielvorgabe: Noch immer entfallen drei Viertel auf nichtgrüne Ware.
Bei der Frage, ob ein Produkt als nachhaltig gilt oder nicht, orientiert sich Zalando nach eigenen Angaben an bestehenden Zertifikaten und branchenüblichen Standards. Daraus ergibt sich zum Beispiel, dass Bio-Baumwolle umweltfreundlicher ist als herkömmliche Baumwolle.
Die Nutzungszyklen von Kleidung haben sich durch das Vordringen der sogenannten schnellen Mode, die meist von geringer Qualität und eingeschränkter Haltbarkeit ist, zunehmend verkürzt. Ein vergleichsweise radikaler Schritt wäre, solche Artikel aus dem Sortiment zu verbannen. Doch das ginge zulasten von Umsatz und Gewinn. Die Billigware würde woanders gekauft. Ein branchenweiter Ansatz wäre nötig, um diese Produkte zurückzudrängen. Bei Zalando, die wie andere von der Fast-Fashion-Welle profitiert, zeigt man sich durchaus offen dafür: Die globale Bekleidungsindustrie müsse Fast Fashion innerhalb der nächsten zehn Jahre verbieten, meinte unlängst Co-CEO Robert Gentz und verwies darauf, dass 40% aller Kleidungsstücke in den westlichen Kleiderschränken nie getragen würden.
Die Idee, Fast Fashion nachhaltig zu machen, stößt hingegen alsbald an Grenzen. Denn nachhaltigere Materialien und Herstellungsverfahren erhöhen in der Regel die Produktionskosten. Billigmode würde teurer. Doch für viele Verbraucher steht bisher der Preis an erster Stelle. Mehr Nachhaltigkeit setzt voraus, dass Kunden bereit sind, teurere Kleidung zu kaufen. Und die Unternehmen brauchen höhere Erlöse pro Kleidungsstück, wenn sie künftig weniger Modeartikel absetzen sollen.
Eine Umwelt- und Kostenbelastung par excellence sind die vielen Retouren. Im Online-Modehandel geht die Hälfte der bestellten Ware zurück. Das verursacht zusätzliche Transporte, und nicht immer lohnt es sich, zurückgegebene Ware aufzuarbeiten und weiterzuverkaufen. Daher plädieren Kritiker für eine Abgabe auf Retouren. Andererseits sind kostenfreie Rückgaben ein erfolgskritischer Faktor, denn sie ermöglichen dem Kunden einen risikolosen Einkauf. Kostenpflichtige Rücksendung würde das Geschäft erschweren. Zalando will einen Teil des Problems mit moderner Technologie in den Griff kriegen. Der Konzern setzt auf datenbasierte und Computer-Vision-Ansätze, die Kunden helfen, Kleidungsstücke in der richtigen Größe und Passform auszuwählen. Das erspart zumindest die Rücksendungen, die darauf zurückgehen, dass der Artikel nicht passt.
Auch beim Thema Mindestbestellwerte fährt Zalando eine differenzierte Strategie. Die Untergrenzen setzen Anreize, größere Orders aufzugeben. Das hilft der Umwelt – weniger Transportfahrten bedeuten weniger CO2. In einzelnen Ländern geben die Berliner Mindestvolumina vor, nicht aber flächendeckend. Das Vorgehen hängt nicht zuletzt vom durchschnittlichen Bestellwert ab. Im wichtigen deutschen Markt gelten keine Mindestwerte, „weil der durchschnittliche Warenkorb bereits weit über einer sinnvoll gesetzten Mindestgrenze liegt“, wie Schröder sagt. Was zugleich bedeutet, dass Kleinstbestellungen nicht sanktioniert werden.
Auf Produktebene verfolgt Zalando das Ziel, die Lebensdauer von mindestens 50 Millionen Modeartikeln bis 2023 zu verlängern. Dafür hat der Konzern Initiativen gestartet, die zum Teil aber erst am Anfang stehen. Das gilt beispielsweise für „Care and Repair“: In Berlin gibt es seit Herbst ein Pilotprojekt, das Reparatur- und Pflegedienste über eine digitale Plattform vermittelt. Dafür arbeitet Zalando mit dem Londoner Start-up Save your Wardrobe sowie mit regionalen Schneidereien, Schustern und Reinigungsbetrieben zusammen. Lohnen dürfte sich der Service allerdings nur für hochwertige Kleidung.
Einstieg bei Infinited Fiber
Vor gut einem Jahr sind die Berliner ins Geschäft mit gebrauchter Mode eingestiegen. Das Sortiment umfasst nach Angaben vom Oktober 200000 Artikel. Gemessen am Gesamtgeschäft – der Konzern verbuchte in den ersten drei Quartalen des letzten Jahres 177 Millionen Bestellungen – ist das ein winziges Volumen. Schröder ist aber zuversichtlich, dass Second Hand langfristig im Business-Mix eine wesentliche Rolle spielen wird. Zumal es dabei nicht allein um Nachhaltigkeit geht, sondern auch um eine Erhöhung von Kundenloyalität und -frequenz.
In das Recycling von Textilien investiert der Konzern über eine Beteiligung an Infinited Fiber. Der Partner aus Finnland wandele zellulosebasierte Rohstoffe wie Textilabfälle mit hohem Baumwollanteil in eine Spezialfaser um, die biologisch abgebaut werden könne und kein Mikroplastik enthalte. Zalando will der in Espoo ansässigen Textilfirma künftig Rohstoffe zuliefern und die recycelte Infinna-Spezialfaser für hauseigene Marken verwenden. Derzeit wird nach Konzernangaben nur etwa 1% aller Bekleidungstextilien in die Produktion zurückgeführt.