Einzelhandel

LBBW warnt vor verödeten Stadtzentren

„Der Innenstadthandel steht vor dem Kollaps.“ Diese Ansicht vertritt die LBBW in einer Studie und fordert daher Bund und Länder dringen zu einer umfassenden Unterstützung des notleidenden Einzelhandels auf.

LBBW warnt vor verödeten Stadtzentren

md Frankfurt

Heute beraten die Regierungschefs von Bund und Ländern über die Entwicklungen in der Corona-Pandemie und entscheiden, welche weiteren Maßnahmen zur Eindämmung ergriffen werden sollen. Den Termin hat das Research der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) zum Anlass genommen, am Dienstag eine Studie zur Lage des Einzelhandels in Deutschland zu veröffentlichen. Darin rät die Bank dringend zu einer umfassenden Unterstützung der notleidenden Branche. Andernfalls drohten den deutschen Kommunen tote Innenstädte.

Fehler korrigieren

Notwendig seien dazu nicht nur finanzielle Hilfen. „Die Bundesregierung muss mit einem umfangreichen Maßnahmenbündel dem stationären Einzelhandel jetzt unter die Arme greifen und dabei Fehlentscheidungen der vergangenen Monate korrigieren“, fordert LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert in einem Pressegespräch. „Sonst droht der Handel wie die Landwirtschaft zum dauersubventionierten Wirtschaftszweig mit verödeten Landschaften zu werden.“

Nach Angaben der LBBW sind 200000 Handelsunternehmen in Deutschland von einer Fortsetzung des Lockdowns und in der Folge von insolvenzbedingten Geschäftsschließungen bedroht. 600000 Beschäftigte seien im innerstädtischen Einzelhandel tätig; bis zu 250000 davon könnten bei einer Fortsetzung des Lockdowns ihren Job verlieren, schätzt LBBW-Einzelhandelsanalyst Gerold Deppisch. Obwohl viele Menschen im Einzelhandel auf 450-Euro-Basis – und damit ohne Sozialversicherung – tätig seien, könnte sich der volkswirtschaftliche Schaden durch die Kosten der Arbeitslosigkeit und entgangene Unternehmenssteuern auf bis zu 5,4 Mrd. Euro pro Jahr belaufen, befürchtet der Analyst. Hinzu kämen hohe Wertverluste der Immobilien und eine Verödung der Innenstädte.

Präziser Öffnungsplan

Als schnelle Gegenmaßnahme empfiehlt Deppisch, klamme Unternehmen mit einer staatlichen Liquiditätsspritze zu stützen. Die sogenannte Überbrückungshilfe III sollte z.B. deutlich schneller nach Antragstellung ausgezahlt werden, fordert er. Die möglichen Beträge sollten dabei auch über die bisherige Höchstgrenze von 1,5 Mill. Euro steigen dürfen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Zugleich sollten die oftmals inhabergeführten Geschäfte Planungssicherheit durch einen präzisen Öffnungsplan erhalten. Der Analyst schlägt außerdem Vorteile für Geimpfte vor, sobald ein flächendeckendes Impfangebot aufgebaut ist.

Weitere Möglichkeiten, den Handel ohne hohe Summen stützen zu können, sieht Deppisch in einer Flexibilisierung der Öffnungszeiten. Dies gleiche Wettbewerbsnachteile gegenüber dem Internethandel aus, der rund um die Uhr erreichbar sei.

Vielfältiger sind die Vorschläge für eine mittelfristige Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen. Viele Kunden sind in Coronazeiten ins Internet abgewandert; sie werden vermutlich nur teilweise wieder zurückkehren, vermutet Deppisch. Er empfiehlt eine Digitalisierungsoffensive des Innenstadthandels, um technische Hürden und Wissenslücken zu beseitigen, die den stationären Handel am Aufbau eigener Online-Aktivitäten hindern. Innovationshilfen müssten gezielt eingesetzt werden und auch Omnichannel-Konzepte oder eine attraktivere Gestaltung des Einkaufserlebnisses fördern. Zu dessen Verbesserung sollten auch die Stadtentwickler bei der Kommunalplanung beitragen.

Online-Pakete verteuern

Um den stationären Handel vergleichsweise attraktiver zu machen, setzt das LBBW-Research zugleich auf einen gesplitteten Mehrwertsteuersatz mit einer höheren Besteuerung des Online-Handels. „Die gebetsmühlenhaft vorgetragene Behauptung, es sei technisch unmöglich, online und stationär erzielte Umsätze zu unterscheiden, wird auch durch die ständige Wiederholung nicht richtiger. Sie bleibt eine Schutzbehauptung“, sagt Burkert. Gemäß Deppisch sei es auch machbar, auf Online-Verpackungen eine höhere Umweltabgabe zu erheben.

Bis zu 3 Prozent Wachstum

Erstmals habe das Research auch die konjunkturellen Auswirkungen der Lockdown-Verlängerung bis Mitte Februar untersucht. In jedem Fall werde das Wirtschaftswachstum in Deutschland 2021 die 3-%-Marke nicht mehr überschreiten, so die düstere Prognose. Bislang hatten die Volkswirte mit einem Plus von 3,5% (nach –5,3% 2020) gerechnet. Dies gelte auch noch für den Fall einer weiteren Verlängerung bis Ende Februar. Hebe die Bundesregierung den Lockdown aber erst Ende März oder zu Ostern auf, werde das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2021 um 7% einbrechen und das BIP damit auf Jahressicht bestenfalls stabil bleiben.

Auf Basis harmonisierter Verbraucherpreise erwarten die Volkswirte zugleich einen deutlichen Anstieg der Inflation. Sie soll 2021 bis auf 1,9% und damit auf den höchsten Stand seit 2012 klettern. Grund sei u.a. eine methodische Anpassung des Harmonised Index of Consumer Prices (HVPI); so werde das Gewicht von Lebensmitteln sowie Strom, Gas und Wasser im Index steigen.

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