"Leerverkäufe stehen zu Unrecht unter Generalverdacht"
– Der Werbevermarkter Ströer wird vom US-Investor Muddy Waters heftig kritisiert, die Aktie ist eingebrochen. Herr Meurer,wie weit dürfen aktivistische Aktionäre in der Öffentlichkeit gehen?In der öffentlichen Diskussion besteht zuweilen ein Missverständnis über das Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme: Jeder Aktionär – auch ein aktivistischer Aktionär – darf sich in der Öffentlichkeit zu der Gesellschaft äußern, an der er beteiligt ist. Die Rechtsordnung setzt hier nur im Ausnahmefall Grenzen. Kapitalmarktrechtlich ist es verboten, unrichtige oder irreführende Angaben zu verbreiten oder sonstige Täuschungshandlungen vorzunehmen. Dies kann eine verbotene Marktmanipulation darstellen. Daneben gilt die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht. Aber dies ist eine hohe Hürde, um Aktionäre in ihrer Meinungsfreiheit zu beschränken. Im Ergebnis sind öffentliche Stellungnahmen zulässig, solange sie nichts Unrichtiges oder Irreführendes enthalten.- Wie können Unternehmen sich wehren?Hier ist zwischen präventiven und repressiven Maßnahmen zu unterscheiden. Die Unternehmen sind gut beraten, die Prävention in den Vordergrund zu stellen: Wenn das Unternehmen eine klare Strategie verfolgt und insbesondere bei den Themen Wachstum, Kostenkontrolle und Gewinnsteigerung seine Hausaufgaben gemacht hat, wird es aktivistischen Aktionären schwerfallen, das Management in Bedrängnis zu bringen. Und natürlich haben wir als Juristen ein paar Werkzeuge, die sich bereits bei der Abwehr von Übernahmen bewährt haben.- Woran denken Sie?Etwa an das erhöhte Mehrheitserfordernis für die Abberufung von Aufsichtsräten. Im repressiven Bereich kann ein Unternehmen versuchen, sich mit Unterlassungs- und Schadensersatzklagen etwa gegen unwahre Tatsachenbehauptungen zu wehren. Die Öffentlichkeit sollte aber vorsichtig sein, den aktivistischen Aktionären pauschal Rechtsverstöße zu unterstellen. Im Einzelfall sind häufig komplexe rechtliche Erwägungen notwendig. Dabei ist es naturgemäß schwierig, von außen zu beurteilen, ob ein Fehlverhalten vorliegt. Ich habe jedoch keinen Zweifel daran, dass die zuständigen Stellen wie die BaFin Untersuchungen einleiten werden, falls sich Anhaltspunkte für Rechtsverletzungen ergeben sollten.- Was bedeuten die von Ihnen erwähnten präventiven Schutzmaßnahmen denn im Einzelfall?Entscheidend kann es beispielsweise sein, für wenig profitable Geschäftsbereiche oder Aktivitäten außerhalb des Kerngeschäfts entweder eine klare Vision zu entwickeln oder zu erwägen, sich von solchen Unternehmensteilen zu trennen. Das Management sollte auch eine schlüssige Antwort auf die Frage haben, ob das Unternehmen in seiner jetzigen Zusammensetzung mehr wert ist als die Summe der einzelnen Sparten. Je mehr es gelingt, den Kapitalmarkt von dem strategischen Ansatz des Unternehmens zu überzeugen, desto weniger wird es gelingen, erfolgreich einen Angriff zu starten.- Mehr reden, weniger handeln?Nein, das wäre ein Missverständnis. Das Management muss aber zunächst auf die Überzeugungskraft des Arguments setzen. Dann kann sich jeder eine Meinung bilden, ob die Kritik von aktivistischen Aktionären berechtigt ist oder nicht. Es ist letztlich im Interesse aller, dass sich die Vorstände auf Geschäftsbereiche konzentrieren, die das größte Entwicklungspotenzial haben. Und natürlich: Am Ende des Tages kommt es darauf an, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Die richtige Strategie wird später auch Früchte tragen.- Picken sich Leerverkäufer die richtigen Kandidaten heraus?Hier gilt der alte Satz, dass der Investor im Nachhinein immer schlauer ist. Das Instrument der Leerverkäufe steht übrigens zu Unrecht unter dem Generalverdacht, schädlich für den Kapitalmarkt zu sein. Ein schlauer Volkswirt hat einmal Folgendes gesagt: Das Verbot von Leerverkäufen ist vergleichbar mit dem Versuch, an einem kalten Wintertag das Thermometer anzuhauchen, um die Temperatur steigen zu lassen. Das Ergebnis: Die Temperatur wird gleich bleiben, doch ist die Aussagekraft des Thermometers ruiniert.—-Thomas Meurer ist Partner von Hengeler Mueller. Die Fragen stellte Walther Becker.