GASTBEITRAG

Lieferketten entscheiden über Erfolg von Impfstoffen

Börsen-Zeitung, 5.8.2020 Mit viel Kapital und erheblicher staatlicher Unterstützung entwickelt die Pharma-Industrie Impfstoffe gegen die durch das neue Corona-Virus ausgelöste Lungenkrankheit Covid-19. Rund 160 Projekte gibt es weltweit, die ersten...

Lieferketten entscheiden über Erfolg von Impfstoffen

Mit viel Kapital und erheblicher staatlicher Unterstützung entwickelt die Pharma-Industrie Impfstoffe gegen die durch das neue Corona-Virus ausgelöste Lungenkrankheit Covid-19. Rund 160 Projekte gibt es weltweit, die ersten Anbieter haben bereits mit teilweise vielversprechenden klinischen Tests begonnen. Regierungen, internationale Institutionen und NGOs fördern diese Anstrengungen massiv und haben Abnahmegarantien im Wert von Milliarden gegeben. Neue, transnationale Kooperationen zwischen Start-ups und Weltkonzernen sind entstanden, und in Deutschland wird gar an einem IPO gearbeitet.Doch stößt diese Offensive auch auf Hindernisse. So mehrten sich in jüngster Zeit Berichte, nach denen der Erfolg der Impfstoffe, sofern es sie geben wird, an der Verfügbarkeit von Materialien wie Ampullen und Injektionsnadeln sowie Grundstoffen scheitern könnte. Genährt werden diese Gerüchte von Statements aus anderen Branchen über den Ausfall zahlreicher Zulieferer während des Lockdowns. Auch die Auslagerung der Produktion von Medikamenten und pharmazeutischer Grundstoffe auf andere Kontinente wird angesichts stellenweise zu beobachtender Verknappungen zunehmend kritisch gesehen.Inwieweit es künftig eine Art strategische Mindestreserve zumindest auf europäischer Ebene geben sollte, ist in der Tat ein Thema, über das sich politische Entscheider und Wirtschaftsverbände Gedanken machen müssen, es soll hier aber nicht weiter diskutiert werden.Was die Verfügbarkeit einzelner Komponenten angeht, kann auch unter den verschärften Bedingungen der Pandemie Entwarnung gegeben werden: Im Zuge der Lockerung in vielen Staaten und Regionen fahren die Unternehmen ihre Kapazitäten wieder hoch, und auch in anderen Krisen wie zum Beispiel nach dem 11. September 2001 haben sich die weltweiten Lieferketten als robust erwiesen.Die Herausforderung in Zusammenhang mit Covid-19-Impftstoffen indes ist eine andere. Ganz gleich, welche Impfstoffe zugelassen werden: Sie müssen schnell und in derart gigantischen Mengen verfügbar sein, dass nahezu die gesamte Erdbevölkerung immunisiert werden kann, denn nur dann ist die Gefahr durch das Virus wirklich gebannt.Bereits jetzt werden daher für die aussichtsreichsten, in der Entwicklung am weitesten fortgeschrittenen Impfstoffkandidaten weltweit Kapazitäten gesichert, und zwar unter der Annahme, dass der betreffende Impfstoff sich auch in den noch ausstehenden umfangreichen Testreihen als sicher und wirksam erweisen wird. Diese Kapazitäten sind gerade bei biologischen Wirkstoffen – und dabei handelt es sich bei einem Großteil der derzeitigen Frontrunner – keineswegs unbeschränkt verfügbar, sondern müssen teilweise durch Erweiterungen der Produktionsanlagen erst geschaffen werden.Wenn dann einer der Impfstoffe zum Beispiel wegen auftretender Nebenwirkungen scheitert, was aller Erfahrung nach jedenfalls nicht auszuschließen ist, war die Sicherung der betreffenden Kapazitäten vergebens. Allerdings bedeutet das nicht, dass in diesen Anlagen dann notwendigerweise gar kein Impfstoff hergestellt wird; in vielen Fällen wird eine Umrüstung auf eines der dann hoffentlich vorhandenen Alternativprodukte erfolgen können bzw. aufgrund von Auflagen in den Förderbedingungen auch müssen. Sicheres HerstellverfahrenTechnologisch geht es bei den biologischen Impfsubstanzen darum, ein sicheres, den pharmazeutischen Regularien (GMP – Good Manufacturing Practices) entsprechendes Herstellverfahren zu entwickeln. Was unter Laborbedingungen funktioniert hat, muss sich in der Serie bewähren. Auch das ist keineswegs trivial, sondern wegen anspruchsvoller, aufwendiger Entwicklungsarbeiten vom Labormaßstab bis zur Großserie für jede der Substanzen eine echte Herausforderung, die angesichts des Zeitdrucks noch eine weitere Dimension erfährt.Neben dem sich täglich wandelnden Infektionsgeschehen bildet dieses Szenario zum einen den Hintergrund für die entsprechenden Bestrebungen der Regierungen, internationalen Institutionen und NGOs, die mit den Pharmaunternehmen bereits zahlreiche und hochvolumige Verträge über die ihnen am aussichtsreichsten erscheinenden Covid-19-Projekte abgeschlossen haben. In diesen Verträgen wird dem Unternehmen finanzielle Unterstützung bei der Entwicklung des Impfstoffes zugesichert. Im Gegenzug verpflichtet sich das Unternehmen, sich nach Kräften für die Entwicklung und Herstellung des Impfstoffes einzusetzen und nach Zulassung eine festgelegte Zahl an Impfdosen bereitzustellen.Für Pharmafirmen ist es daher zum anderen wichtig, bereits jetzt Lieferketten und Fertigungskapazitäten aufzubauen, was einen anderen Aktivitätsschwerpunkt ausmacht. Neben den technisch-wissenschaftlichen Abklärungen ist hier ein vielschichtiges, multidimensionales Vertragsgeflecht mit Partnern in vielen Ländern zu etablieren. Auch von großen, global agierenden Konzernen können diese Funktionen nicht sämtlich inhouse vorgehalten werden. Wie im “richtigen Leben” hat dabei jeder der Verhandlungs- bzw. Vertragspartner seine eigenen Interessen und stellt entsprechende Forderungen. Weiter agieren auch diese Auftragsproduzenten, Zulieferer und Dienstleister natürlich in ihrem auch politisch beeinflussten Umfeld und beeinflusst von ihren jeweiligen Stakeholdern – was läge etwa näher, als die bevorzugte Versorgung der Bevölkerung im eigenen Land zu verlangen? Alle diese Vertragsverhältnisse müssen zudem auf die Vorgaben abgestimmt sein, die das Pharmaunternehmen seinerseits von den Regierungen, Institutionen und NGOs qua Förderbedingungen mit auf den Weg bekommen hat.Damit wird deutlich, dass dieses Vertragsengineering eine Herkulesleistung der Rechtsfunktionen der Pharmaunternehmen und der sie unterstützenden Anwaltskanzleien im Hinblick sowohl auf die Vertragserstellung und -verhandlung als auch die organisatorische Projektarbeit darstellt. Diese bindet eine erhebliche Manpower. Auch hier gilt es, Vertragsprojekte, für die landläufig gut und gerne ein halbes Jahr und länger veranschlagt werden, in wenigen Wochen abzuschließen. Ohne den Einsatz von Technologien wie Videoconferencing wäre das nicht zu schaffen. Häufig vergessen werden dabei aber auch Soft Skills wie multikulturelle Teamfähigkeit und Kooperation der sehr diversen Verhandlungs- und Projektteams.Hier haben sowohl die Unternehmen wie auch die Anwaltsfirmen über die letzten Jahrzehnte hinweg umfangreiches Erfahrungswissen aufgebaut, das ihnen jetzt zustattenkommt – auch das ein echter Gewinn der Globalisierung, die für den erfolgreichen Kampf gegen das Virus ohnehin nicht wegzudenken ist. Gottfried Freier, Partner der Kanzlei Arnold & Porter in Frankfurt am Main