Lkw-Industrie befürchtet Labyrinth von Regulierungen
Von Joachim Herr, MünchenWenn Vorstände der Lkw-Hersteller über die Lage und die Zukunft ihrer Branche sprechen, herrscht Einigkeit. Die Industrie steht an einem Wendepunkt, die Digitalisierung stellt alles auf den Kopf, die Elektromobilität und das autonome Fahren sind Lösungen für morgen und nicht erst für übermorgen, der Verbrennungsmotor bleibt aber noch lange notwendig: Solche Sätze waren auch auf dem Nutzfahrzeug-Gipfel, den MAN und das “Handelsblatt” veranstalteten, fast wortgleich zu hören – ob aus dem Lager von VW mit den Töchtern MAN und Scania, von Volvo oder von Iveco.Dafür, dass es trotzdem nicht langweilig wurde, sorgte ein Beamter aus Brüssel auf der Rednerliste: Nikolaus Steininger von der EU-Generaldirektion Klimapolitik. Er setzte der geballten Industriepräsenz reale und geplante Verordnungen zum Kohlendioxidausstoß in seinem Vortrag ohne jeden Unterhaltungswert entgegen. So entstand fast ein Streitgespräch mit Matthias Wissmann, dem Präsidenten des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Der Chef-Lobbyist appellierte an die Politik, den Lkw-Herstellern nicht die Motorentechnik vorzuschreiben, sondern dies bitteschön den Unternehmen, ihren Ingenieuren und dem Markt zu überlassen. Die EU-Kommission solle sich nicht in einem Labyrinth aus Regulierungen verlieren.Wissmanns geschmeidige Diplomatie, gepaart mit einem Dauerlächeln, und Steiningers zurückhaltendes Auftreten verhinderten allerdings eine echte Konfrontation. Immerhin wagte der EU-Mann zarten Widerspruch: “Die CO2-Situation ist nicht ganz so rosig.” Die Aussage, der Markt werde es schon richten, sei nur bedingt richtig.Wissmann konterte, der Kunde, etwa eine Spedition, und sein Kostenkalkül zwängen die Lkw-Industrie, immer effizientere Motoren zu entwickeln. Zudem nehme der Gütertransport allein schon wegen der per Internet bestellten Pakete rasant zu, die Bahn könne die Flut nicht bewältigen. Gleichzeitig wolle die Bundesregierung den CO2-Ausstoß im Verkehr bis 2030 um 40 % senken. Das passt für Wissmann nicht zusammen: “Wir werden auf die Anklagebank gesetzt, auf die wir nicht gehören.” Die Diskussion um den Dieselskandal von Volkswagen schwappt längst auf die Nutzfahrzeugbranche über. Der VDA-Präsident prangert schwere Fehler an, die mit der Manipulation von Software begangen worden seien: “Das hat allen eine Vorlage gegeben, die der Autoindustrie schon immer ans Leder wollten.”In die Defensive gedrängt, befürchtet er Kritik über den Diesel hinaus: “Es wird nicht lange dauern, bis es auch Attacken auf die Elektromobilität gibt.” Wissmann denkt etwa an Greenpeace. Die Umweltschützer mahnen eine klimaneutrale Stromerzeugung für Elektrofahrzeuge an. Seitenhieb gegen TeslaLkw mit Elektromotor fahren schon. MAN liefert die ersten im Februar nach Österreich. Chancen hat der Einsatz im Verteilerverkehr in und um Städte. Volvo erwartet, dass sich für längere Fahrstrecken Hybridlastwagen durchsetzen. Einig sind sich die etablierten Hersteller über den Konkurrenten Tesla, der vor kurzem seinen E-Lastwagen Semi vorstellte. “Wir bringen Dinge auf den Markt, wenn sie sinnvoll für unsere Kunden sind”, spottete zum Beispiel Scania-Chef Henrik Henriksson, “und nicht für die Finanzmärkte.”