Luftverkehr wächst unter Schmerzen
Von Heidi Rohde, FrankfurtAm Ende eines langen chaotischen Sommers, der mit Kapazitätsengpässen, Verspätungen und Flugausfällen zu einem bisher nie dagewesenen Chaos auf deutschen Flughäfen geführt hat, wollte Lufthansa-Chef Carsten Spohr beim Luftfahrtgipfel Anfang Oktober die Reißleine ziehen: Tempo drosseln! Konkret weniger Starts und Landungen an den meist frequentierten Airports Frankfurt, Berlin, München und Düsseldorf, lautete seine Forderung. Wenig überraschend konnten die Flughafenbetreiber, allen voran Fraport-Chef Stefan Schulte, dem Vorschlag nicht recht etwas abgewinnen. Sie gaben den Stab weiter, u. a. an die Politik, die für den Ausbau der Flugsicherung sowie der Kapazitäten bei Pass- und Sicherheitskontrollen zuständig ist.Auch wenn die Regierung sich nicht ohne Einsicht zeigte, gleicht die Diskussion um Ursachen und Abhilfe für die wachsenden Kapazitätsengpässe und die Störanfälligkeit des Luftverkehrs hierzulande einem Schwarzer-Peter-Spiel. Unstrittig ist, dass der Luftverkehr boomt. Für das globale Passagieraufkommen wurde für die Jahre 2003 bis 2018 ein durchschnittliches Wachstum von 7 % pro Jahr errechnet. In den vergangenen Jahren hat der intensive Wettbewerb der Airlines und auch die höhere Preistransparenz für Flugtickets durch Online-Portale dazu geführt, dass die Preise tendenziell – von Ausreißern abgesehen – unter Druck blieben, was die Nachfrage weiter angefacht hat. Dies gilt für Touristen ebenso wie für Geschäftsreisende, bei denen die Abwägung im innerdeutschen Verkehr immer häufiger zugunsten von Flug statt Zug ausfällt. Die Auslastung der Kapazitäten nimmt trotz scharfen Wettbewerbs weiter zu, auch global. Einer Studie von DB Research zufolge lag der sogenannte Sitzladefaktor weltweit zuletzt bei durchschnittlich 81 %, mehr als zehn Prozentpunkte höher als noch vor 15 Jahren.Wesentliche Triebfeder des Wachstums sind die Low-Cost-Carrier, die Fliegen für immer größere Teile der Bevölkerung erschwinglich gemacht haben. Seit es im Luftfahrtgetriebe vernehmlich knirscht, sind die “Billigflieger” zur Zielscheibe der Kritik geworden: sie verstopfen Abfertigungskapazitäten an Flughäfen, wollen dafür auch noch Rabattkonditionen, wenn sie den einen oder anderen großen Airport gnädig mit ihrer Präsenz adeln. Überdies generieren sie ihr Wachstum meist einseitig zu Lasten ihrer Mitarbeiter, die sie in zweifelhaften Arbeitsverträgen mit geringen Sozialstandards beschäftigen – so lautet zumindest der Tenor der Kritiker. Tatsächlich ruht das schlanke Geschäftsmodell der Low-Cost-Carrier auch zum guten Teil auf geringen Personalkosten und kehrt sich nun in einer Phase wachsender Kapazitätsengpässe gegen diejenigen, die es bisher auf die Spitze getrieben haben. Ryanair manövriert just durch eine schwierige Zeit mit langwierigen Personalverhandlungen. Diese sind von Streiks begleitet, die wiederum den Flugbetrieb empfindlich stören – allerdings nicht nur bei Ryanair. Auch Eurowings liegt derzeit mit dem Personal im Clinch.Eine andere Gruppe, die die Gunst der Stunde nutzt, um ihre Interessen durchzusetzen, sind die Fluglotsen. Ihre Zahl hat mit dem Wachstum des Luftverkehrs in den letzten Jahren ebenfalls nicht Schritt gehalten. Wenig überraschend fordern die – vielfach überbelasteten – Mitarbeiter hier mehr Geld und verhelfen der Forderung mit Streiks Nachdruck (etwa in Frankreich). Während der Ausbau der Flugsicherung in Deutschland Sache des Bundes ist, müssen auch die Flughäfen ihren Beitrag leisten, um Engpässe in der Abfertigung, beim Boarding oder beim Umsteigen zu vermeiden. Schließlich ist es auch an ihnen, für den Ausbau der physischen Infrastruktur – Flughäfen und Landebahnen – zu sorgen.Dass insbesondere letzteres mitunter ein ungeahnter Kraftakt ist, zeigt die katastrophale Posse des Hauptstadtflughafens, dessen Bauzeit und Kosten aus dem Ruder laufen. Aber auch ohne dieses unrühmliche Beispiel bleibt der reguläre finanzielle Aufwand für den Flughafenbau hoch und die Flughafenbetreiber setzen auf steigende Einnahmen, um ihn zu finanzieren. Am Ende der Kette stehen die Airlines, die ihren Beitrag in einem modernen effizienteren Fluggerät sehen, das sie allerdings bezahlen müssen, und darüber hinaus noch steigende Kerosinpreis zu gegenwärtigen haben. Deshalb haben sie auch starke Einwände, weitere Gebührenerhöhungen von Flughäfen und Flugsicherung zu schultern, um deren Investitionsschub ebenfalls zu bezahlen.Letztlich ist allerdings klar, dass leistungsfähigere Kapazitäten auch im Luftverkehr nicht zum Nulltarif zu haben sind. Neben höhere Investitionen treten steigende Personal- und Betriebskosten, auch wenn Airports und Airlines mit Maßnahmen gegenhalten. Die einen arbeiten mit Dienstleistern, die Personal aus EU-Ländern mit niedrigerem Lohnniveau beschäftigen, die anderen lagern fliegendes Personal in Tochtergesellschaften aus. Dennoch gehen Branchenbeobachter davon aus, dass der Kostendruck, der im scharfen Wettbewerb kaum durch Preiserhöhungen kompensiert werden kann, den einen oder anderen Marktteilnehmer überfordern wird.Einzelne Airports gehen in die Knie, was hier nicht zuletzt einer Vielzahl in der Fläche geschuldet ist. Unter den Fluggesellschaften haben 2017 mit Air Berlin und Alitalia bereits zwei große Anbieter die Flügel gestreckt. Der Konsolidierungsdruck dürfte dennoch anhalten. Als nicht allein überlebensfähig gelten unter Experten die skandinavische SAS oder auch Billigflieger wie Wizzair oder Norwegian.