Massenabfrage sorgt für Überraschung in Unternehmen
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat in den vergangenen Tagen eine hohe Zahl von Auskunftsersuchen an Unternehmen, die nach BAFA-Sicht dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) unterfallen, verschickt. Mit diesen Musterschreiben wird den Adressaten auferlegt, und zwar unter Hinweis auf die Festsetzung von verwaltungsrechtlichen Zwangsmitteln bei Nichtbefolgung (also Zwangsgeldern nach Paragraf 23 LkSG), innerhalb einer Frist von drei Wochen zu beschreiben, (i) welche Maßnahmen das Unternehmen im Hinblick auf die Errichtung eines umfassenden, die eigenen Geschäftsbereiche sowie die Lieferketten insgesamt betreffenden Beschwerdeverfahrens getroffen hat sowie (ii) wie die internen Verantwortlichkeiten für das LkSG Risikomanagement festgelegt wurden (z. B. Menschenrechtsbeauftragter, LkSG-Komitee). Die Schreiben sind förmliche Verwaltungsakte.
Breiter Adressatenkreis
Der Adressatenkreis ist weit gefasst worden: Dem Vernehmen nach wurden insgesamt 78 Schreiben versendet. Ausweislich der Schreiben erfolgte die Auswahl nach einem „risikobasierten Ansatz“. Allerdings wurden offenbar nur exemplarisch Unternehmen aus gleichen Wirtschaftssektoren und mit vergleichbarer Risikolage ausgewählt, dabei reicht die Branchenabdeckung vom Automobilsektor über Chemie, Anlagenbau, Technologie bis zur Textilwirtschaft.
Es sind deutsche Börsenunternehmen, aber auch deutsche Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne darunter. Die Auswahl ist offenbar danach erfolgt, dem BAFA möglichst effizient und kurzfristig einen Überblick über die konkrete Ausgestaltung von Beschwerdeverfahren und interner Zuständigkeitsregelung in den wesentlichen Branchen zu vermitteln.
Es ist naheliegend, dass nach dieser „ersten Welle“ der Anfragen ab Mai/Juni 2023 noch weitere Wellen kommen, bei denen dann das BAFA auf die Erkenntnisse dieser ersten Welle von Auskunftsersuchen zurückgreifen kann.
Fragenkatalog verkürzt
Diese Schreiben wurden von einigen Unternehmen vom Zeitpunkt her als überraschend gewertet, allerdings sind sie es doch nicht: Das LkSG ist seit dem 1. Januar 2023 in Kraft, und das BAFA hatte als Aufsichtsbehörde mit Inkrafttreten im Januar angekündigt, dass es erwartet, dass die beiden LkSG-Zentralelemente „Beschwerdeverfahren“ und „Regelung interner Zuständigkeiten“ ab sofort wirksam umgesetzt sein müssten.
Zwar hatte das BAFA im Hinblick auf die Berichtspflichten im Jahre 2024 eine verlängerte „Kulanzfrist“ bis zum 30.6.2024 angekündigt, aber diese Kulanzfrist soll eben nur für die umfangreichen Berichtsanforderungen gelten. Übrigens: Bei der LkSG-Berichtspflicht hat das BAFA dem Vernehmen nach nun in Reaktion auf die berechtigte Kritik der Unternehmenspraxis (Stichworte: bürokratischer Aufwand, fehlender Geheimnisschutz) eine Verkürzung des erstmals im Oktober 2022 veröffentlichten Fragenkatalogs (damals mit 437 Multiple-Choice-Fragen) erarbeitet; mit einer Veröffentlichung ist in Kürze zu rechnen.
Die Massenabfrage sollte nicht als Abkehr vom Prinzip des „partnerschaftlichen Dialogs“ des BAFA mit den Unternehmen, so propagiert vom BAFA-Präsidenten Torsten Safarik im Dezember 2022, missinterpretiert werden. Sie ist aber zu diesem Zeitpunkt auch ein klares Signal an die Unternehmen, zudem wohl auch an verschiedene politische Kreise, dass die Durchsetzung der im LkSG geregelten Pflichten an die Geschäftsleitung hohe Priorität hat und trotz geoökonomischer und geopolitischer Polykrise nicht aufgeschoben wird.
Personell gerüstet
Für die Durchsicht und Analyse der Unternehmensantworten dürfte das BAFA inzwischen auch personell und sachlich gut gerüstet sein: Zum 1. Januar 2023 sollten die LkSG-Referate einen Soll-Bestand von 57 Personen haben, bis zum Sommer sollen insgesamt 100 Mitarbeiterstellen für die LkSG-Aufsicht zur Verfügung stehen. Von den insgesamt fünf Referaten befassen sich allein drei damit, auf Sachverhaltsebene die Einhaltung der menschenrechts- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten zu kontrollieren und sich – zum Beispiel über die derzeitigen Auskunftsersuchen – einen ersten Überblick zur Umsetzungslage zu verschaffen.
Nach unserer Einschätzung wird das BAFA das Prinzip des „partnerschaftlichen Dialogs“ auch in diesem Zusammenhang verfolgen und im Grundsatz bei Sachverhaltslücken Nachfragen stellen beziehungsweise Nachfristen für die weitere Erfüllung der LkSG-Pflichten setzen, insbesondere in der Praxis wohl im Zusammenhang mit der Einrichtung der Beschwerdeverfahren – und einer möglichen Integration der ebenfalls häufig auszugestaltenden Hinweisgebersysteme hierin.
Ahndungsmöglichkeit
Eine Befassung des Referats für Ordnungswidrigkeiten ist derzeit nur in Extremfällen zu erwarten, wenn die Kontrollreferate – nach Erschöpfung des Dialogverfahrens – potenzielle Verstöße (das sind Ordnungswidrigkeiten nach Paragraf 24 LkSG) feststellen. Durch diese Ahndungsmöglichkeit hebt sich das LkSG und die sich nun in der Zukunft etablierende Praxis des BAFA kategorial von anderen Lieferkettenregularien ab. So wurden zum Beispiel der Deutschen Kontrollstelle für EU-Sorgfaltspflichten in Rohstofflieferketten (DEKSOR), die die für die Kontrolle der Einhaltung der EU-Konfliktmineralien-Verordnung zuständige Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe unterstützt, solche Durchsetzungs- und Sanktionsmöglichkeiten vom Gesetzgeber nicht zugestanden.
Zum Dialog bereit
Zusammenfassend lässt sich konstatieren: Das BAFA zeigt den Willen zur effektiven Durchsetzung der LkSG-Geschäftsleiterpflichten, streckt aber weiter den Unternehmen die Hand zum „partnerschaftlichen Dialog“ aus. Unternehmen, die Adressaten des BAFA-Auskunftsersuchens geworden sind, sollten – wenn möglich – innerhalb der Frist den Umsetzungsstand im Hinblick auf die Etablierung des Beschwerdeverfahrens sowie die Regelung der internen Verantwortlichkeiten für das LkSG-Risikomanagement wahrheitsgemäß und in der Regel auch dokumentenunterstützt beantworten.
Sollte im Einzelfall ein Unternehmen, das Adressat des Schreibens ist, der Auffassung sein, gar nicht dem LkSG-Anwendungsbereich zu unterfallen, sollte kurzfristig mit dem BAFA Kontakt aufgenommen werden. Solche Zweifelsfälle sind offenbar bereits aufgetreten.
Die Uhr tickt
Die Unternehmen schließlich, die das Auskunftsersuchen nicht erhalten haben, sollten diesen Umstand nicht in der Weise fehlinterpretieren, dass das BAFA sie auch zukünftig nach dem „risikobasierten Ansatz“ nicht mit hoher Priorität überwachen wird. Es sollte vielmehr ein weiterer Anlass sein, selbstkritisch zu überprüfen, wie weit die eigenen Vorbereitungen zur Umsetzung der LkSG-Pflichten gediehen sind.