GASTBEITRAG

Mehr Gehältertransparenz geht kaum, mehr Klarheit und Verantwortung immer

Börsen-Zeitung, 20.1.2017 Vor der Bundestagswahl 2017 nimmt die öffentliche Diskussion über zu hohe Boni und Managerpensionen wieder Fahrt auf. Dabei hat diese Thematik in den letzten zehn Jahren eine deutliche Professionalisierung erfahren. So...

Mehr Gehältertransparenz geht kaum, mehr Klarheit und Verantwortung immer

Vor der Bundestagswahl 2017 nimmt die öffentliche Diskussion über zu hohe Boni und Managerpensionen wieder Fahrt auf. Dabei hat diese Thematik in den letzten zehn Jahren eine deutliche Professionalisierung erfahren.So bildet seit 2013 die Veröffentlichung der Vorstandsvergütung börsennotierter Aktiengesellschaften einen Kernbereich des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK). Zur Herstellung einer unternehmensübergreifenden Vergleichbarkeit empfiehlt der Kodex seitdem Mustertabellen, die einer vergütungsorientierten Sichtweise folgen: Dazu zählt neben der betrieblichen Altersversorgung (bAV) als werthaltigem Vergütungselement insbesondere die klare Trennung zwischen in Aussicht gestellter, d.h. gewährter, und tatsächlich für ein Geschäftsjahr zugeflossener Vergütung.Vervollständigt wird das Bild der Chancen und Risiken der Gesamtvergütungspakete durch die Angabe der minimalen und maximalen Vergütungshöhen. Damit wird die gesamte Spannbreite der Vorstandsvergütung ersichtlich – von Minimum, intendierter Zielvergütung hin zu theoretischer Maximalvergütung sowie tatsächlichem Zufluss.Ein individueller Ausweis der Vorstandsvergütung ist in Deutschland seit 2006 durch das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz im Handelsgesetzbuch (HGB) vorgegeben. Seit 2010 kommen alle Dax-Unternehmen dieser Verpflichtung nach.In Abhängigkeit der Börsen-Indices sinkt allerdings die Quote des individuellen Ausweises deutlich. So nutzten im Jahr 2015 acht MDax-Unternehmen die gesetzlich legitimierte Opt-out-Klausel zum Verzicht auf den individuellen Ausweis, für deren Wirksamkeit es einer Dreiviertel-Mehrheit der Hauptversammlung bedarf. Im SDax sind es 18, im TecDax ein Unternehmen. Bei der Anwendung der DCGK-Mustertabellen zeigt sich ein ähnliches Bild: So wichen 2015 zwei Dax-Unternehmen von dieser Empfehlung ab; im MDax sind es elf, in SDax und TecDAX 28 bzw. acht Unternehmen. Der Fall SiemensDie Mehrzahl der Unternehmen begründet ihre Abweichung mit dem Opt-out gemäß HGB. Unternehmen, die individuell nach HGB, nicht jedoch nach DCGK ausweisen, führen als Begründung an, dass die Wiederholung vermeintlich inhaltsgleicher Informationen Verwirrung stifte.Eine kritische Bewertung zeigt den Mehrwert der aktuellen Standards im Vergütungsausweis auf, illustriert aber auch verschiedene Problem- und Handlungsfelder.Die Siemens AG hat die Mustertabellen bereits im Vergütungsbericht 2013 angewendet und somit als eines der ersten Unternehmen die Vorstandsvergütung individuell in dieser Form ausgewiesen.Um neben der Erfüllung der neuen Empfehlungen des Kodex auch die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu gewährleisten, ist auf Dauer eine intensive interne Abstimmung erforderlich. Denn eine ausschließliche Beachtung des DCGK bewirkt nicht notwendigerweise die vollständige Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften. So enthält der DCGK keine Berichtsanforderungen hinsichtlich der Bezüge früherer Organmitglieder und deren Hinterbliebenen, wie sie im HGB kodifiziert und im Deutschen Rechnungslegungs Standard DRS 17 konkretisiert sind.Durch die getrennte Veröffentlichung der Vergütung in einer Tabelle für die gewährten Bezüge und einer Tabelle für die realisierten Zuflüsse wurde der Unterschied zwischen Vergütungsrealität und -phantasie deutlich. Erstmals wurde dadurch standardisiert der Zufluss aus aktienbasierten Langfristvergütungsplänen sichtbar. Bislang wurden gemäß HGB aktienbasierte Vergütungen lediglich bei Gewährung in den Gesamtbezügen ausgewiesen; spätere Auszahlungen waren nicht zu veröffentlichen. Nicht-aktienbasierte Bezüge hingegen waren erst bei Auszahlung einzubeziehen.Aus Praxissicht wäre eine Harmonisierung der gesetzlichen Vorgaben aus HGB/DRS 17 mit den DCGK-Empfehlungen dringend erforderlich. Wie etwa im Vergütungsbericht der Siemens AG unschwer erkennbar, muss der Adressat des Vergütungsberichtes nicht nur (sinnvollerweise) zwischen gewährter und zugeflossener Vergütung unterscheiden, sondern bei der gewährten Gesamtvergütung auch zweierlei Beträge zu interpretieren verstehen. Dies erzeugt unnötig Komplexität und unterstützt nicht die intendierte Förderung der Transparenz.Konkret ist in der gewährten Gesamtvergütung gemäß DCGK der Jahres-Bonus (Short Term Incentive – STI) mit dem Zielwert anzusetzen und der bAV-Versorgungsaufwand einzurechnen. In die Gesamtvergütung gemäß HGB/DRS 17 ist hingegen der Auszahlungsbetrag des STI und – je nach Ausgestaltung der mehrjährigen variablen Vergütung – der Auszahlungsbetrag oder der Ziel- beziehungsweise Zeitwert einzubeziehen, der Versorgungsaufwand jedoch nicht zu inkludieren. Die zugeflossene Gesamtvergütung gemäß DCGK hingegen sieht für alle variablen Vergütungsbestandteile den Auszahlungsbetrag vor und schließt den Versorgungsaufwand ein.Weiter darf die getrennte Darstellung der gewährten und der tatsächlich für ein Geschäftsjahr zugeflossenen Vergütung nicht zu einer voyeuristischen Suche nach dem höchsten Betrag führen. Dies gilt umso mehr, da der Zufluss in einem Geschäftsjahr nicht immer der Auszahlung der für ein Geschäftsjahr gewährten Vergütung entspricht.So wird bei der Siemens AG im Geschäftsjahr 2019 der Fall eintreten, dass es zum Zufluss von zwei Tranchen der mehrjährigen aktienbasierten Vergütung kommt (gewährt für die Geschäftsjahre 2014 und 2015). Dieser Zusammenfall ist einzig bedingt durch eine systemische Umstellung des Beginns der Sperrfrist der mehrjährigen Vergütung. Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, sollte die in den Tabellen enthaltene Aufschlüsselung nach Plänen stets berücksichtigt werden.Zum Ausweis der betrieblichen Altersversorgung sei zudem darauf hingewiesen, dass die gemäß HGB auszuweisenden Anwartschaftsbarwerte der Vorstandsmitglieder entscheidend davon abhängen, wie lange ein Vorstand im Unternehmen beschäftigt war bzw. welche Bestelldauer konkret vorliegt. Vergleichbar sind lediglich die jährlichen Zuführungen in die bAV, der in den DCGK-Tabellen verwendete Versorgungsaufwand. Werden dagegen – die in der Öffentlichkeit gerne genannten – Gesamtbarwerte verglichen, so wird im Zweifel zum Beispiel die Versorgung nach 25-jähriger Beschäftigung nebst fünfjähriger Bestellung in den Vorstand mit der Versorgung nach dreijähriger Erstbestellung im Unternehmen verglichen. Optimierung machbarSeit Einführung der DCGK-Mustertabellen ist, zumindest für Vergütungsexperten, eine vollständige und unternehmensübergreifende Vergleichbarkeit von Vorstandsvergütungen möglich. Jedoch bestehen weiter Optimierungsmöglichkeiten, die – wie am Beispiel Siemens illustriert – auf eine vergütungsorientierte statt buchhalterische Sicht auf Vorstandsvergütung abzielen.Grundsätzlich wünschenswert ist daneben selbstverständlich ein verantwortungsvoller öffentlicher Umgang mit der großen Transparenz bei der Vorstandsvergütung – dies insbesondere vor Wahlen.—-Helmut Mannert, Abteilungsleiter Governance & Markets, Top Executives & Equity Compensation bei Siemens —-Regine Siepmann, Partner der Unternehmensberatung HKP Group