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Milliardenforderung für Atom-Aus vor der Entscheidung

Von Ulli Gericke, Berlin Börsen-Zeitung, 15.3.2018 Dieser Frühling könnte teuer werden für die frisch installierte schwarz-rote Bundesregierung, respektive den deutschen Steuerzahler. Spätestens Ende März will das International Centre for...

Milliardenforderung für Atom-Aus vor der Entscheidung

Von Ulli Gericke, BerlinDieser Frühling könnte teuer werden für die frisch installierte schwarz-rote Bundesregierung, respektive den deutschen Steuerzahler. Spätestens Ende März will das International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID), das bei der Weltbank angesiedelte Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, über die 4,3 Mrd. Euro schwere Klage (plus 1,3 Mrd. Zinsen) von Vattenfall gegen die Bundesrepublik urteilen. Und maximal drei Monate später muss der Gesetzgeber eine Neuregelung vorlegen, wie die vom Bundesverfassungsgericht monierte Ungleichbehandlung vor allem des staatlichen schwedischen Stromkonzerns Vattenfall geheilt werden kann. Auch in diesem Streit geht es um viel Geld – eine Summe, die Verfahrensbeteiligte bis auf knapp 2 Mrd. Euro beziffern.Ende 2016 hatte das oberste deutsche Gericht geurteilt, dass zwar das sofortige Aus von acht alten Kernkraftwerken nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima und das endgültige Abschalten aller deutschen AKW bis Ende 2022 mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Allerdings stehe den Energiekonzernen dafür angemessene Entschädigungen zu, würden doch die durch die Eigentumsgarantie geschützten Er-zeugungskontingente unzumutbar, teilweise auch gleichheitswidrig beschränkt. “Der an sich zulässigen gesetzlichen Eigentumsausgestaltung fehlt hier die verfassungsrechtlich notwendige Ausgleichsregelung”, sagte Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof bei der Urteilsverkündung. Zugleich monierte das Verfassungsgericht, dass das 2011 beschlossene endgültige Atom-Aus keine Regelung für “frustrierte”, sprich: nutzlos gewordene Investitionen vorsieht, die nach der im Jahr zuvor verfügten Laufzeitverlängerung getätigt wurden. Urteil irgendwann per E-MailVattenfall ist in diesem Verfahren besonders betroffen, da zu den acht sofort stillgelegten Meilern auch das noch relativ neue Kernkraftwerk Krümmel gehörte. Dieses nur wenige Kilometer vor der Stadtgrenze von Hamburg an der Elbe gelegene AKW war im Frühjahr 2011 nach einer erneuten Störung mal wieder abgeschaltet. Zahlreiche Unregelmäßigkeiten und Defekte – alle nicht sicherheitsrelevant, wie Vattenfall betont – trugen maßgeblich zu dem schlechten Ruf Krümmels in der Bevölkerung bei. Das schnelle Aus des erst 23 Jahre Strom produzierenden Meilers folgte damals der öffentlichen Meinung.Dagegen hatte der Atomkompromiss aus dem Jahr 2002 zwischen rot-grüner Bundesregierung und Strombranche den Konzernen eine Regellaufzeit für ihre Meiler von 32 Jahren zugestanden. Die verbleibende Restlaufzeit von neun Jahren im Fall Krümmel – und deutlich geringerem Umfang bei anderen Stromkonzernen – verfiel mit dem sofortigen Abschalten. Die Streichung der kurz zuvor zugestandenen Zusatzstrommengen hielt das Verfassungsgericht für verhältnismäßig. Dagegen seien die einst im Atomkompromiss vereinbarten Strommengen durch die Eigentumsgarantie geschützt, weswegen die Richter dem Gesetzgeber aufgaben, hierfür bis zur Jahresmitte eine Neuregelung zu schaffen. Anders als das Verfassungsgericht, das sein Urteil über die Rechtmäßigkeit der 13. Novelle des Atomgesetzes bei einem angekündigten öffentlichen Verkündungstermin erläuterte, verschickt das Washingtoner internationale Schiedsgericht sein Votum per Mail an die Streitparteien – unangekündigt irgendwann in den nächsten Tagen. Öffentliche VerhandlungImmerhin: Die Verhandlung vor der ICSID-Schiedsstelle im Oktober 2016 war – anders als bei den ansonsten geheim tagenden Schiedsgerichten üblich – öffentlich, übertragen im Internet. Dabei betonte der schwedische Staatskonzern in seiner Klage gegen den deutschen Staat, dass Vattenfall die hiesige Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie in keiner Weise in Frage stelle. “Wir bestehen jedoch darauf, für den finanziellen Verlust entschädigt zu werden, der durch diese Entscheidung entsteht”, betonte Anne Gynnerstedt, die Leiterin des Rechtsbereichs bei Vattenfall. Dafür nutze der Stromerzeuger den Rechtsrahmen des Vertrags über die Energiecharta, die von 52 Ländern, darunter Schweden und Deutschland, vereinbart wurde, um ausländischen Investoren Sicherheit zu verschaffen. “Vollumfassendes” NeinEine ganz ähnliche Situation habe es 1997 in Schweden gegeben, als die dortige Regierung beschloss, das Atomkraftwerk Barsebäck stillzulegen. “Damals hat Schweden die deutschen Eigentümer für die vorzeitige Stilllegung entschädigt”, erinnert Gynnerstedt – anders als es die deutsche Regierung beabsichtige.Die hiesige Seite hält die Vattenfall-Klage für unbegründet, betont eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Dementsprechend wurde die Forderung “vollumfassend” zurückgewiesen, heißt es in einer Antwort auf eine Regierungsanfrage. Dies gelte vor allem für die geforderten 1,8 Mrd. Euro, die dem Miteigner Eon zugutekämen. Zudem hätte der schwedische Konzern deutlich weniger Restmengen Strom gehabt, wenn Krümmel nicht immer wieder wegen Mängeln oder Unfällen hätte abgeschaltet werden müssen, lautete die Replik im Schiedsverfahren. Die Schweden versuchten mit der Klage lediglich eigene Fehler auf den deutschen Steuerzahler abzuwälzen. Tatsächlich stand der Meiler mit Ausnahme weniger Wochen seit Sommer 2007 still, bis es dann fast vier Jahre später nach der Fukushima-Katastrophe endgültig vom Netz genommen werden musste.Im Gegensatz zu vielen anderen vor Schiedsgerichten verhandelten Streitigkeiten, bei denen beide Parteien heimlich, still und leise einen Vergleich schließen, lassen es hier Vattenfall und Bund auf ein Urteil ankommen. Politisch geht das auch nicht anders, wäre doch jede gemeinsame Lösung von den zahlreichen Atomkraftgegnern hierzulande massiv als fauler Kompromiss zugunsten der AKW-Betreiber kritisiert worden.Zugleich ist zu erwarten, dass der Schiedsspruch nicht ohne Folgen auf die zur Jahresmitte fällig werdende Entschädigungslösung bleiben wird. Da ist es besser für den Bund, zum Jagen getragen zu werden als von sich aus Vorschläge zur Entschädigung anzubieten, die den Atomgegnern nur billige Munition bieten. Hier startet die EnergiewendeUnd Krümmel? Dem Pannenmeiler wurde 2011 die Betriebserlaubnis entzogen. Inzwischen wurde ein erster Antrag zu Stilllegung und Rückbau gestellt, der in den nächsten Jahren starten soll. Die dazugehörende Website zum Projekt Rückbau hat der einstige AKW-Betreiber Vattenfall, der so vehement um Entschädigung für seine Atomkraftwerke ficht, unter die Überschrift gestellt: “Hier startet die Energiewende.”