RECHT UND KAPITALMARKT

Mindestlohngesetz birgt Tücken

Nicht nur Unternehmen im Niedriglohnsektor betroffen

Mindestlohngesetz birgt Tücken

Von Timon Grau und Ulrich Sittard *)Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zum 1.1.2015 ist das mit Abstand bedeutsamste arbeitsrechtliche Projekt der letzten Jahre. Das Mindestlohngesetz (MiLoG) garantiert im Prinzip jedem Arbeitnehmer in Deutschland einen Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro brutto pro Stunde. Dass die Umsetzung in der Praxis schwieriger ist, als man vermuten möchte, haben die Diskussionen um die Anwendbarkeit auf ausländische Lkw-Fahrer bei Transitfahrten durch Deutschland sowie die selbst aus der Regierungskoalition laut gewordenen Rufe nach Abbau der bürokratischen Dokumentationspflichten im MiLoG gezeigt. Noch nicht überall im Bewusstsein der Unternehmen angekommen ist hingegen, dass das Gesetz Auswirkungen weit über den Niedriglohnsektor hinaus hat. Drei Beispiele sollen dies verdeutlichen: Generelle WirkungAnders als gemeinhin gedacht greift das MiLoG für jedes Arbeitsverhältnis in Deutschland. Selbst Spitzenkräfte mit Top-Gehältern unterliegen hinsichtlich des “Sockelbetrags” von 8,50 Euro pro Stunde dem MiLoG. Daraus folgt zum Beispiel, dass sie in einem Aufhebungsvertrag auf Mindestlohnansprüche nicht wirksam verzichten können oder dass übliche arbeitsvertragliche Ausschlussfristen, wonach Ansprüche innerhalb kurzer Fristen geltend gemacht werden müssen, für den in jedem Gehalt steckenden Mindestlohnanspruch nicht greifen. Die arbeitsrechtliche Vertragsgestaltung wird hierauf Rücksicht nehmen und unterschiedliche Regelungsregime für “unverfallbaren” Mindestlohn und “normales” Gehalt vorsehen müssen.Häufig ist die Einschätzung anzutreffen, bei einer durchschnittlichen Bezahlung von über 8,50 Euro pro Stunde bestehe kein Risiko, gegen das MiLoG zu verstoßen. Die Bundesregierung und der Zoll als zuständige Kontrollbehörde stehen aber auf dem Standpunkt, dass diverse Zulagen, Zuschläge und Sonderleistungen nicht als Bestandteile des Mindestlohns zählen. Wenn eine solche Zahlung einen eigenständigen Zweck habe (wie ein Feiertagszuschlag oder eine Erschwerniszulage), sei ihre Anrechnung auf den Mindestlohn ausgeschlossen.Ein Beispiel: Erhält ein Arbeitnehmer einen Grundlohn von 7 Euro pro Stunde und zusätzlich einen Schichtzuschlag von 3 Euro je Stunde, muss der Grundlohn nach dieser Rechtsauffassung um 1,50 Euro pro Stunde aufgestockt werden, und der Arbeitnehmer bekäme am Ende mit 11,50 Euro pro Stunde deutlich mehr als den Mindestlohn.Dieses Ergebnis widerspricht allerdings dem Zweck des MiLoG: Hiermit sollte eine absolute Lohnuntergrenze festgelegt werden, um Beschäftigten im Niedriglohnbereich die Existenzsicherung zu ermöglichen. Der Zweck einer Zahlung ist für die Existenzsicherung aber nicht entscheidend, solange mindestens 8,50 Euro/Stunde rechtzeitig gezahlt werden. Es bleibt abzuwarten, ob sich das Verständnis der Bundesregierung vor den Arbeitsgerichten durchsetzen wird.Kaum in der Öffentlichkeit diskutiert wurde die für Unternehmen vielleicht problematischste Facette des MiLoG, nämlich die Regelungen zur sogenannten Auftraggeberhaftung. Selbst wenn ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer mindestlohnkonform bezahlt, muss er das MiLoG im Blick haben. Das Gesetz nimmt nämlich Unternehmen für die Mindestlohn-Compliance ihrer Subunternehmer sowie deren etwaige Nachunternehmer in die Verantwortung: So kann zum einen die Auftragsvergabe an Subunternehmer, die den Mindestlohn nicht gewähren oder sich ihrerseits mindestlohnunzuverlässiger Nachunternehmer bedienen, eine Ordnungswidrigkeit darstellen, die mit einer Geldbuße von bis zu 500 000 Euro geahndet werden kann, und zum Ausschluss von öffentlichen Aufträgen führen. Hierfür reicht es aus, wenn der Auftraggeber “fahrlässig nicht weiß”, dass sein Vertragspartner gegen das MiLoG verstößt.Ohne Vorlage eines Gewerbezentralregisterauszugs – einer Art “Vorstrafenkartei” für Unternehmen – sollten größere Aufträge daher nicht mehr vergeben werden. Unternehmen sollten zudem ihre Subunternehmen auf die Einhaltung des Mindestlohns verpflichten und auch zumindest stichprobenartig daraufhin kontrollieren. Zum anderen sieht das MiLoG eine Durchgriffshaftung vor. Vorsicht bei AuftragsvergabeArbeitnehmer von Subunternehmern (und von deren Nachunternehmern) können danach unmittelbar gegen den Auftraggeber auf Mindestlohnzahlung klagen. Praktisch bedeutet dies, dass Auftraggeber das Insolvenzrisiko für die Mindestlohnverpflichtungen ihrer Subunternehmer tragen. Auch wenn der genaue Anwendungsbereich dieser Auftraggeberhaftung noch nicht durch die Gerichte geklärt ist, ist Vorsorge bei der Auftragsvergabe ratsam. Vertragliche Freistellungsansprüche, Kontroll- und Kündigungsrechte im Verhältnis zum Subunternehmer können die Risiken zumindest eindämmen.Ganz unabhängig vom Gehaltsniveau im eigenen Unternehmen sind Arbeitgeber damit gezwungen, sich mit dem neuen Mindestlohn auseinanderzusetzen. Erst in einigen Jahren wird feststehen, wie stark das MiLoG die Arbeitsrechtslandschaft tatsächlich verändert hat. Dass der Mindestlohn für Beschäftigung bei den Arbeitsgerichten sorgen wird, ist aber schon jetzt klar.—-*) Dr. Timon Grau und Dr. Ulrich Sittard sind Rechtsanwälte bei Freshfields Bruckhaus Deringer.