Im GesprächSven Przywarra, LiveEO

Mit Satellitendaten zur entwaldungsfreien Lieferkette

Jedes Jahr werden Millionen Hektar Wald der Landwirtschaft geopfert. In der EU müssen Firmen bald nachweisen, dass für bestimmte Rohstoffe, die sie in Verkehr bringen wollen, keine Rodungen stattgefunden haben. Das Berliner Start-up LiveEO, das Satellitenbilder mit KI auswertet, sieht hierin neue Geschäftsmöglichkeiten.

Mit Satellitendaten zur entwaldungsfreien Lieferkette

Mit Satellitendaten zur entwaldungsfreien Lieferkette

Von Karolin Rothbart, Frankfurt

Für Unternehmen, die in der Europäischen Union Palmöl, Rinder, Holz, Kaffee, Kakao, Kautschuk, Soja und bestimmte Folgeprodukte in den Verkehr bringen, wird es langsam ernst. Noch in diesem Monat tritt eine neue Verordnung in Kraft, die den Marktteilnehmern die Pflicht auferlegt, nachzuweisen, dass für die Erzeugung der genannten Rohstoffe keine Wälder abgeholzt wurden. Denn Entwaldung und Waldschädigung gehören zu den Hauptursachen der Erderwärmung und des Verlusts biologischer Vielfalt. Laut dem Bündnis Together4Forests verschwindet alle 90 Sekunden eine Waldfläche von der Größe eines Fußballfeldes – allein für den Konsum entsprechender Produkte in der EU.

Damit sich das ändert, sind unionsweit künftig nur noch solche Rohstoffe zugelassen, die auf Flächen erzeugt wurden, bei denen es nach dem 31. Dezember 2020 nicht mehr zu Entwaldung oder Waldschädigung gekommen ist. Für tausende Unternehmen bedeutet das, dass sie die Waren, die sie verkaufen wollen, bis zu dem Grundstück, auf dem sie erzeugt wurden, zurückverfolgen müssen – und zwar mittels Geolokalisierung. Großen Firmen hat die EU dazu eine Übergangsfrist von 18 Monaten eingeräumt. Kleine Unternehmen bekommen 24 Monate Zeit.

Wer der verbindlichen Sorgfaltspflicht nicht nachkommt, für den könnte es teuer werden. Die EU sieht Geldbußen von mindestens 4% des Jahresumsatzes vor. Die „vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind“, heißt es in der Verordnung.

Schwierige Rückverfolgbarkeit

Die genaue Rückverfolgbarkeit und Überwachung der Rohstoffproduktion in der Lieferkette dürfte für die Unternehmen allerdings ein recht komplexes Unterfangen darstellen. Denn oft ist nicht klar, wo die Erzeugnisse genau herkommen, die die Importeure von ihren offiziellen Zulieferern beziehen. „Das ist momentan sehr schwer zu lösen, insbesondere weil einfach alle Anbieter von Lieferketten-Software noch nicht mit Geodaten arbeiten“, sagt Sven Przywarra, Mitgründer und Co-CEO des Berliner Start-ups LiveEO.

Das 2018 gegründete Unternehmen will hier Abhilfe schaffen und Unternehmen sowohl dabei unterstützen, die notwendigen Informationen zur Herkunft der Rohstoffe zu beschaffen als auch zu überprüfen, ob auf den Flächen der Zulieferer Abholzung stattgefunden hat oder nicht. Für Ersteres werden die Zulieferer von den Unternehmen, die LiveEO nutzen, aufgefordert, die Geodaten ihrer Anbauflächen in einer App einzutragen. Im zweiten Schritt wird mithilfe von Satellitenbildern aus dem Weltall und künstlicher Intelligenz analysiert, ob es auf den Flächen rückwirkend zum genannten Stichtag der EU zu Abholzung gekommen ist.

Dabei erlaube es die Technik, genau zu erkennen, ob es sich bei dem Bewuchs einer Fläche um einen Urwald oder um eine Plantage handelt, erklärt Przywarra. „Diese Analyse betreiben wir vor und nach dem Stichtag. Wenn vorher Urwald auf der Fläche war und später eine Plantage, dann wissen wir, dass hier Entwaldung stattgefunden hat. Wenn auf der Fläche aber vor dem Stichtag schon eine Plantage angelegt war, dann sind die dort erzeugten Produkte theoretisch EU-konform“, so der 28-jährige Wirtschaftsingenieur.

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Viel los im Orbit

Die EU-Kommission hatte die Fernüberwachung per Satellit im Zusammenhang mit der Entwaldungsverordnung selbst vorgeschlagen: Wenn Geolokalisierung mit der Technologie kombiniert werde, „dürfte dies die Wirksamkeit der Verordnung sogar noch steigern“, hieß es bei der Vorstellung des Vorschlags.

Die Satellitenbilderanalyse ist quasi das Hauptgeschäft von LiveEO. Die Abkürzung EO steht für Earth Observation, also Erdbeobachtung. Przywarra und seinem Mitgründer Daniel Seidel ging es bei der Gründung vor allem darum, Satellitendaten im größeren Maßstab auch kommerziell und nicht nur wie bislang wissenschaftlich nutzbar zu machen. „Es ist eigentlich unglaublich, dass jedes Jahr hunderte neue Satelliten ins All geschossen werden, die die Erde beobachten, aber dass es nur eine sehr kleine Gruppe an Unternehmen gibt, die diese Daten wirklich nutzen“, sagt Przywarra.

Tatsächlich wird es im All immer voller. Laut der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa umkreisen derzeit mehr als 7.000 aktive Satelliten die Erde. Forschende sorgen sich bereits über die noch unklaren Folgen für die Umwelt durch die immer weiter steigende Zahl künstlicher Trabanten. Es wird befürchtet, dass die Satelliten beim Verglühen die Ozonschicht gefährden.

LiveEO kauft die Daten vor allem von privaten Betreibern wie der US-amerikanischen Planet Labs, Airbus oder von der ebenfalls US-amerikanischen Maxar. Letztere Firma hatte es 2022 im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg zu einiger Bekanntheit gebracht, da ein großer Teil der teils hoch dramatischen Bilder aus dem All von den Amerikanern stammte. „Dazu kommen als Quellen dann noch öffentliche Anbieter, wie die Esa oder die Nasa, die zusätzlich kostenlos Daten zur Verfügung stellen“, erklärt Przywarra.

Der anfängliche Fokus des Start-ups lag auf dem Infrastruktursektor. Betreibern von Strom- und Schienennetzen, Öl- und Gaspipelines sollte es durch die Satellitenbildanalyse ermöglicht werden, Störfaktoren und Gefahren, etwa durch bruchgefährdete Bäume, mit wenig Aufwand zu identifizieren. Mittlerweile zählt LiveEO den Versorger Eon und die Deutsche Bahn zu seinen Kunden. Letzteres Unternehmen etwa nutzt die Satellitendaten zur verbesserten Vegetationspflege entlang der Gleise, von denen rund 70% durch Baumbestand führen. Den Inspektionsteams der Bahn werden mithilfe der Technologie „Gefahrenbäume“ mit erhöhtem Sturmrisiko für das Schienennetz angezeigt. Das soll den Aufwand zur Begehung großflächiger Gebiete und dadurch die Anzahl an Betriebsstörungen verringern.

Nächste VC-Runde 2024 geplant

Interesse an der Software gibt es aber nicht nur in Deutschland. „Wir haben Kunden auf jedem Kontinent der Welt“, sagt Przywarra. Pro Jahr macht LiveEO, die auch Niederlassungen in New York, London und der lettischen Stadt Daugavpils hat, bereits mehrere Millionen Euro Umsatz, ist aber noch nicht profitabel. Investoren wie Dieter von Holtzbrinck Ventures hat das Unternehmen dennoch bereits mehrfach überzeugt. Insgesamt habe man rund 25 Mill. Euro an Wagniskapital gesammelt, so Przywarra. Der Großteil davon floss im August 2022. Laut dem Europäischen Institut für Weltraumpolitik Espi haben VC-Investoren in dem Jahr trotz allgemeiner Zurückhaltung zusammengerechnet mehr als 1 Mrd. Euro in europäische Raumfahrt-Start-ups gesteckt – fast ein Viertel mehr als 2021.

LiveEO selbst peilt den Abschluss der nächsten Finanzierungsrunde 2024 an. Dann soll die Belegschaft von derzeit 130 Mitarbeitenden weiter ausgebaut werden.

Im Gespräch: Sven Przywarra

EU-Verordnung zur Eindämmung von Abholzung tritt bald in Kraft – Berliner Start-up LiveEO will mit Bildern aus dem All und künstlicher Intelligenz helfen

Jedes Jahr werden Millionen Hektar Wald der Landwirtschaft geopfert. In der EU müssen Firmen bald nachweisen, dass für bestimmte Rohstoffe, die sie in Verkehr bringen wollen, keine Rodungen stattgefunden haben. Das Berliner Start-up LiveEO, das Satellitenbilder mit KI auswertet, sieht hierin neue Geschäftsmöglichkeiten.

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