Mittelstand hofft gegen Wirtschaftskriminelle auf Sankt Florian

KPMG: Unternehmen unterschätzen Risiken - Statt Compliancekultur gilt oft Vertrauensprinzip - Zahl der Vergehen insgesamt stabil

Mittelstand hofft gegen Wirtschaftskriminelle auf Sankt Florian

sp Frankfurt – “Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andere an”, wird der Schutzpatron vor Feuer und Dürre mehr oder weniger ironisch angerufen. Geht es nach einer Erhebung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG unter 300 deutschen Mittelständlern, setzen die Unternehmen beim Umgang mit den Gefahren wirtschaftskrimineller Übergriffe auf eine Spielart des Sankt-Florian-Prinzips. Zwar schätzen gut zwei Drittel der Befragten das generelle Risiko für Unternehmen, von Wirtschaftskriminalität betroffen zu sein, als hoch bis sehr hoch ein. Für den eigenen Betrieb bewerten aber nur 17 % diese Gefahr als erheblich. Mehr als vier Fünftel halten ihre Schutzvorkehrungen entsprechend für ausreichend.”Hier gibt es eine völlig falsche Risikowahrnehmung”, sagt Frank Hülsberg, Partner bei KPMG im Bereich Forensik. Zwar träfen die Übergriffe von Wirtschaftskriminellen die großen Konzerne vergleichsweise häufiger als kleine und mittelständische Unternehmen. Von 32 Großkonzernen, die KPMG separat untersucht hat, waren in den vergangenen zwei Jahren mehr als die Hälfte von entsprechenden Delikten betroffen. Der deutsche Mittelstand sei allerdings ebenfalls stark exponiert, Schaden aus wirtschaftskriminellen Machenschaften zu erleiden.Fast jedes vierte mittelständische Unternehmen ist im Erhebungszeitraum laut KPMG Ziel von wirtschaftskriminellen Handlungen gewesen. In der benachbarten Schweiz sei es im gleichen Zeitraum jeder 8., in Österreich sogar nur jeder 9. Betrieb vergleichbarer Größe gewesen. Der Schaden für die hiesigen Unternehmen belaufe sich auf insgesamt 20 Mrd. Euro pro Jahr, wobei die Folgekosten etwa für juristische Auseinandersetzungen und Reputationsschäden noch nicht eingerechnet sind.Auch die Gefahrenquellen schätzt der Mittelstand laut KPMG nicht richtig ein, sowohl was die Art der Delikte als auch deren Urheber betrifft. Fast zwei Drittel der Mittelständler, die in den vergangenen zwei Jahren Ziel von Wirtschaftskriminellen waren, geben Diebstahl und Unterschlagung als Art des Delikts an, insgesamt machten diese Vergehen 44 % aller 1 524 Delikte bei den betroffenen Unternehmen aus (siehe Grafik). 37 % der Betroffenen wurden Opfer von Betrug oder Untreue.Der von mehr als vier Fünfteln gefürchtete Diebstahl oder Missbrauch von Daten traf nicht einmal ein Drittel der angegriffenen Unternehmen und damit auch deutlich weniger als in der Erhebung von 2010 (53 %). Indessen beweisen die Unternehmen hier prognostische Fähigkeiten, hält KPMG den Datenmissbrauch im digitalen Zeitalter doch für “das Zukunftsthema”.Beinahe in jedem zweiten Fall kommen die Urheber der Delikte aus dem eigenen Unternehmen. “Vor allem in familiengeführten Unternehmen gibt es eine Kultur des Vertrauens”, erklärt Frank Weller, Leiter des Bereichs Forensik bei KPMG. Das führe häufig zu einer Vernachlässigung der Compliance, sodass Kontrollmechanismen wie Funktionstrennung oder Vieraugenprinzip nicht zur Geltung kämen. Entsprechend würden in mittelständischen Unternehmen fast die Hälfte der bekannten Deliktsfälle nur zufällig aufgedeckt. Die Aufklärung durch ein internes Kontrollsystem sei dagegen rückläufig. Für die Anstrengungen bei Compliance in den Unternehmen spreche, dass Korruptionsfälle nur noch von 6 % (2010: 10 %) der betroffenen Unternehmen angezeigt wurden und 4 % der Fälle ausmachen.Als Orientierungshilfe für die vorweihnachtliche Geschenkssaison unter Geschäftspartnern verweisen die KPMG-Experten auf eine Wertobergrenze von 25 Euro bei Amtsträgern und 50 Euro bei Geschäftsfreunden. Hinweise auf Bestechung ergäben sich bei heimlichen oder dem sozialen Status nicht angemessenen Geschenken, gerade wenn sie im zeitlichen Zusammenhang mit geschäftlichen Entscheidungen stünden. Jede Minute ein DeliktNach Einschätzung der Wirtschaftsprüfer wird in Deutschland in jeder Minute mindestens ein wirtschaftskriminelles Delikt begangen. Insgesamt habe sich die Fallzahl mit rund 675 000 stabil entwickelt. Der durchschnittliche Schaden je betroffenes Unternehmen liege bei 300 000 Euro im Jahr. Die polizeiliche Kriminalstatistik weist für 2011 knapp 80 000 Fälle von Wirtschaftskriminalität aus, gut ein Fünftel weniger als noch 2010. Der erfasste Schaden macht mit 4 Mrd. Euro etwa die Hälfte des Gesamtschadens in der Statistik aus, obwohl die Fallzahlen unterhalb von 2 % aller erfassten Straftaten liegen.