GASTBEITRAG

Mittelständische Anleiheemittenten haben Pflichten weit über das Gesetz hinaus

Börsen-Zeitung, 20.2.2014 Die Segmente für Mittelstandsanleihen der deutschen Börsenbetreiber sind, jedenfalls nach Zahl der Emissionen, überaus erfolgreich. Insgesamt 93 Anleihen wurden am Entry Standard (Deutsche Börse/FWB: 50), Bondm (Börse...

Mittelständische Anleiheemittenten haben Pflichten weit über das Gesetz hinaus

Die Segmente für Mittelstandsanleihen der deutschen Börsenbetreiber sind, jedenfalls nach Zahl der Emissionen, überaus erfolgreich. Insgesamt 93 Anleihen wurden am Entry Standard (Deutsche Börse/FWB: 50), Bondm (Börse Stuttgart: 27) und Mittelstandsmarkt (Börse Düsseldorf: 16) gelistet. Neben sehr soliden Emissionen, die sich durch fallende Risikoprämien ausgezeichnet haben, sind aber auch steigende Risikoprämien bis hin zu Restrukturierungen und Zahlungsausfällen zu beobachten. Das prominenteste Beispiel ist der insolvenzbedingte Ausfall der Windreich-Anleihe – immerhin ein Nominalbetrag von 125 Mill. Euro.Werden die Zahlen schlechter, ist die Kapitalmarktkommunikation von entscheidender Bedeutung. Sie muss die rechtlichen Vorgaben aus Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), den Geschäftsbedingungen der Börse und Gesellschaftsrecht genauso erfüllen wie die Erwartungen von Management, Kunden und Mitarbeitern. Eine schlechte Kommunikation lässt den Kurs der Anleihe einbrechen und führt zu großer Verunsicherung bei Mitarbeitern und Kunden. Wenn die Rendite steigt, ziehen Kunden in sensiblen Branchen häufig die Reißleine und kündigen Verträge.Die Emittenten von Mittelstandsanleihen gehen häufig davon aus, dass die entsprechenden Börsensegmente als Freiverkehrssegmente weniger streng reguliert sind als die sogenannten regulierten Märkte. Das trifft für die gesetzliche Regulierung vor allem nach dem Wertpapierhandelsgesetz auch zu. Jedoch haben alle Börsenbetreiber über die Vereinbarung ihrer Geschäftsbedingungen versucht, auf vertraglicher Basis die Angleichung der Regelwerke zu erreichen. Das gilt jedenfalls, soweit es um die Transparenzanforderungen geht.Die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutsche Börse AG für den Entry Standard verdeutlichen exemplarisch, dass die Einbeziehung nicht nur an Rating-Anforderungen geknüpft ist. Sie erfordert zudem, dass der Emittent Jahres- und Halbjahresabschlüsse veröffentlicht sowie “wesentliche Informationen” unverzüglich selbst veröffentlicht und an die Deutsche Börse übermittelt. Die letztgenannte Pflicht ist der Ad-hoc-Publizität des § 15 WpHG nachempfunden, die für Emittenten im Freiverkehr nicht gilt. § 19 der Börsen-AGB nennt einige Beispiele für Umstände, deren Eintritt unverzüglich zu veröffentlichen ist. Neben Kapitalmaßnahmen und Strukturveränderungen muss der Emittent zum Beispiel den Verlust und die bevorstehende Zahlungseinstellung, den Ausfall wesentlicher Schuldner oder auch den Ausfall von Zinszahlungen oder Tilgung bei einer anderen Anleihe berichten.Weil der Katalog nicht abschließend ist, wird sich der Emittent jedenfalls teilweise an den Verwaltungsanweisungen und der Rechtsprechung zu § 15 WpHG orientieren müssen. Dort ist zum Beispiel anerkannt, dass der Emittent Gewinne oder Verluste aus Betriebsveräußerungen, außerplanmäßige Abschreibungen oder außergewöhnliche Schadensfälle genauso ad hoc melden muss wie den Wechsel bedeutender Organmitglieder. ZeitthemaEntwickelt sich der Emittent im Laufe eines Geschäftsjahres schlecht, ist zu entscheiden, wie die Kapitalmarktkommunikation zu gestalten ist. Der Rahmen sind die Berichtszeiträume, die nach den AGB Börse eingehalten werden müssen; es geht regelmäßig um die Frage, welche geschäftlichen Entwicklungen im Zeitraum zwischen der Veröffentlichung von Halbjahres- und Jahresbericht zu veröffentlichen sind und wie die Erkenntnis- und Veröffentlichungsprozesse zu synchronisieren sind. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Erstellung des Jahresabschlusses wie auch der Halbjahreszahlen einige Zeit in Anspruch nehmen und für einen längeren Zeitraum Unklarheit über die Lage des Unternehmens besteht. In einer solchen Situation ist es jedenfalls nicht ratsam, Informationen zu veröffentlichen, die nicht vollständig abgesichert sind. Vielmehr sollten Emittenten, die sich in einer problematischen Situation befinden, die Börse kontaktieren und eine Ausnahme von den Veröffentlichungspflichten beantragen. Sie kann grundsätzlich im Rahmen der Vertragsfreiheit auch vereinbart werden.Zu bedenken ist dabei allerdings, dass die Privatautonomie durch das Verbot der Marktmanipulation begrenzt wird, das auch auf den Freiverkehr anwendbar ist. Danach darf der Emittent keine unrichtigen oder irreführenden Angaben machen oder Umstände verschweigen, die den Kurs der Anleihe beeinflussen. Weil die Marktmanipulation zudem strafbar sein kann, muss sowohl die Veröffentlichung wie auch die Nichtveröffentlichung einer relevanten Tatsache an diesem Maßstab gemessen werden, unabhängig davon, ob die Börse zustimmt.Kommt der Emittent zu dem Ergebnis, dass die Nichtveröffentlichung einer Tatsache keine Marktmanipulation darstellt, muss er die Zustimmung der Börse einholen; andernfalls verstößt er gegen deren AGB, die aber keinen Gesetzescharakter haben. Ein Verstoß kann, sofern er sich aus der nächsten Pflichtveröffentlichung und damit aus den Halbjahres- oder Jahreszahlen ergibt, von der Börse nach den AGB durch eine Vertragsstrafe geahndet werden. Bei vorsätzlichem Handeln des Emittenten beträgt die Vertragsstrafe im Bereich des Entry Standard für die verspätete Veröffentlichung des Jahresabschlusses und des Lageberichts bis zu 100 000 Euro, für den Halbjahresabschluss und den Zwischenlagebericht bis zu 50 000 Euro, für das Unternehmens- bzw. Anleiherating 25 000 Euro, für die Unternehmenskennzahlen bis zu 12 500 Euro und für die Veröffentlichung von Informationen ebenfalls bis zu 12 500 Euro. Handelt der Emittent fahrlässig, können die Vertragsstrafen um bis zu 50 % herabgesetzt werden.Schwerer wiegt jedoch, dass die Börse den Verstoß nach den AGB unter Nennung des Emittenten veröffentlichen und schließlich aus wichtigem Grund die Einbeziehung in den Entry Standard kündigen kann. Im letzteren Fall bedeutet das jedoch nicht, dass Kurse für die Anleihe des Emittenten nicht mehr festgestellt werden. Lediglich die Einbeziehung in das Freiverkehrssegment mit erhöhten vertraglichen Transparenzanforderungen entfällt. An der Einbeziehung in den Freiverkehr selbst ändert sich nichts, jedenfalls solange sich ein Finanzinstitut findet, das Kurse stellt. Frage der RechtsformNeben den kapitalmarktrechtlichen und vertraglichen sind die gesellschaftsrechtlichen Anforderungen an die Krisenkommunikation in die Analyse einzubeziehen. Je nach Rechtsform bestehen nach dem HGB für Personengesellschaften, dem GmbH-Gesetz und nach dem Aktiengesetz unterschiedliche gesellschaftsrechtliche Anforderungen. Am stärksten ausgeprägt ist die Pflicht zur Kommunikation in der AG. Auch wenn die Gesellschaft nicht börsennotiert ist, muss der Vorstand nach § 92 Absatz 1 Aktiengesetz die Hauptversammlung einberufen, wenn ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals eingetreten ist oder sich abzeichnet; die Einberufung ist zumindest in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen. AbstimmungsbedarfSinn dieser Regelung ist, durch Beschluss der Hauptversammlung Sanierungsmaßnahmen einzuleiten oder festzustellen, dass Insolvenzantrag zu stellen ist. Dann ist entscheidend, wie die Kommunikation aufeinander abgestimmt wird. Im Anwendungsbereich des WpHG wie auch nach den Börsen-AGB ist davon auszugehen, dass ein Fall des § 92 Abs. 1 Aktiengesetz meldepflichtig ist. Mitteilungen an die Börse und an die Aktionäre im Rahmen der Einberufung der Hauptversammlung sollten die Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft betonen, wenn das eine realistische Option ist. Die hilft der weiteren Kursentwicklung der Anleihe und insbesondere, Panik unter den Anlegern zu vermeiden.Im Ergebnis greifen verschiedene Regelungsansätze ineinander: Emittenten von Mittelstandsanleihen müssen – außer in Fällen des § 92 Absatz 1 Aktiengesetz – abwägen, ob und gegebenenfalls wie kommuniziert wird, wenn sich eine Krise des Unternehmens abzeichnet.—-Oliver Kessler, Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro der Kanzlei Oppenhoff & Partner