Start-up-Serie: Einhörner

Mobilitäts­dienste gewinnen an Gewicht

Mobilitätsdienste gewinnen in der deutschen Start-up-Szene an Gewicht. Der Leuchtturm Flixmobililty reaktiviert seinen Expansionskurs.

Mobilitäts­dienste gewinnen an Gewicht

Von Stefan Kroneck, München

Der Boom des Wagniskapitalgeschäfts in Deutschland hat sich in Bezug auf Branchen zunehmend diversifiziert. Konzentrierten sich die Aktivitäten der Finanzinvestoren zunächst auf digitale Finanzdienstleistungen und Softwareentwickler, haben die Mobilitätsdienste unter den nicht börsennotierten Start-ups, die auf eine Marktbewertung von mindestens 1 Mrd. Dollar kommen, an Gewicht gewonnen. Online-Retail und Fahrdienste als Alternative zum eigenen Auto stehen hoch im Kurs. Zuletzt stammte jedes vierte Unternehmen unter den 18 deutschen Einhörnern aus diesem Wirtschaftszweig.

Lilium und Auto1 vorneweg

Mit dem Flugtaxi-Entwickler Lilium und dem Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1 haben dieses Jahr zwei Branchenvertreter den Sprung aufs Handelsparkett gewagt. Der Internet-Neuwagenhändler Meinauto sagte hingegen im Frühjahr sein geplantes Börsendebüt in letzter Minute ab. Der Berliner E-Scooter-Anbieter Tier erhielt im Sommer einen Kredit von 60 Mill. Dollar von der US-Investmentbank Goldman Sachs, um auf diesem Weg sein Wachstum zu finanzieren.

Es wird wiederholt im Markt spekuliert, dass Flixmobility im nächsten Jahr für ein Initial Public Offering (IPO) bereitsteht. Die Münchner digitale Transportplattform für Fernbusse und Züge, die die Marken Flixbus und Flixtrain unter sich vereint, dementierte aber auf Nachfrage der Börsen-Zeitung, einen Börsengang auf kurze Sicht vorzubereiten. „Flixmobility hat keine unmittelbaren Pläne für einen Börsengang“, sagte eine Unternehmenssprecherin.

Sie begründete dies damit, dass die Firma zuletzt bei Investoren frische Mittel eingesammelt habe. „Ein Börsengang stellt nur eine weitere Finanzierungsmöglichkeit dar. Flixmobility hat im Juni 2021 erst eine Finanzierungsrunde abgeschlossen.“

Neuer Investor kommt dazu

In Bezug auf das Thema IPO lässt eine solche Aussage Raum für Interpretationen. Es impliziert, dass das Unternehmen nicht grundsätzlich einen Börsengang ausschließt – nur derzeit steht das fürs Management nicht an oberster Stelle. Anders ausgedrückt: Das Unternehmen lässt sich Zeit für ein IPO. Zur Erinnerung: Bereits vor zwei Jahren hatte das Management einen Börsengang verworfen, nachdem es frische Mittel von Beteiligungsgesellschaften eingesammelt hatte. Unter Private-Equity-Investoren lassen sich Wachstumspläne schneller umsetzen. Mit einer Bewertung von rund 3 Mrd. Dollar liegt die vor neun Jahren gegründete Firma auf Platz 5 der deutschen Einhörner nach Celonis (11 Mrd. Dollar), Trade Republic (5,3 Mrd. Dollar), Otto Boch Healthcare (3,5 Mrd. Dollar) und N26 (3,5 Mrd. Dollar). Das dem Unternehmen zugetraute Gewicht basiert unter anderem auf der Finanzierungsrunde vom Frühsommer. Seinerzeit gelang es der dreiköpfigen Flixmobility-Führung, insgesamt 650 Mill. Dollar einzuwerben. Für die als GmbH firmierende Einheit mit ihren Gründern Daniel Krauss, André Schwämmlein und Jochen Engert war das die siebte Finanzierungsrunde und zugleich die größte dieser Art. Mitte 2019, wenige Monate vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie, hatte das Unternehmen rund 500 Mill. Dollar von Investoren eingesammelt.

Eigen- und Fremdkapital

Die zurückliegende Runde bestand aus einer Mischform von Eigen- und Fremdkapital, Letzteres als Kredite. Bestehende Investoren wie die US-Beteiligungsgesellschaft General Atlantic, Permira, TCV, HV Capital, BlackRock und Baillie Gifford waren abermals mit von der Partie. Mit Canyon Partners kam ein weiterer Investor hinzu (vgl. BZ vom 3. Juni). Größter Anteilseigner bleibt der Finanzinvestor General Atlantic. Das Führungstrio hält noch rund ein Viertel der Anteile.

Flaute in der Coronakrise

Nach dem Coronaschock von 2020, der das Geschäft faktisch zum Erliegen brachte, fasst das Führungstrio nach diesem großen Geldfluss wieder neuen Mut. Für Schwämmlein war das der Anlass, den Expansionskurs zu reaktivieren. Die frischen Mittel will das Unternehmen dazu verwenden, das Geschäft in den bestehenden Märkten in Europa, in der Türkei und in den USA auszubauen. Der Einstieg in Asien und Südamerika steht auf der Agenda. Ziel ist die globale Marktführerschaft, so Schwämmlein.

Vor drei Jahren stieg die Firma in das Zuggeschäft ein. Flixtrain ist der kleine Konkurrent der ICE-Fernzüge. Die Münchner treten damit in direkte Konkurrenz zur Deutschen Bahn.

Mit den zunehmenden Corona-Lockerungen wächst derweil die Kapazitätsauslastung. Der Unternehmenssprecherin zufolge sind im deutschen Heimatmarkt zuletzt die Fernbusziele zu rund 70% auf dem Niveau des Netzes vor Ausbruch der Pandemie bedient worden. Im Fernstreckennetz hat sich Flixbus in Deutschland zum Marktführer hochgearbeitet. Im Heimatmarkt be­herrscht Flixbus über 90% des Geschäfts. Das gleicht faktisch einer Monopolstellung.

Die Crux liegt im Geschäftsmodell: Die rund 1500 Mitarbeiter zählende Flixmobility betreibt die Online-Buchungsplattform – den Verkehrstransport übernehmen aber mittelständische Kooperationspartner wie Busunternehmen und Zugbetreiber.

Hohe Verluste

Für das Management ist die Expansion Grundvoraussetzung dafür, mehr Skaleneffekte zu erreichen. Das steigert auf lange Sicht die Profitabilität. Vor diesem Hintergrund weist die Beratungsgesellschaft Deloitte in einer Studie mit dem Titel „Nachfrage sucht Angebot. Pragmatismus beim Aufbau von Mobilitätsökosystemen“ darauf hin, dass für die Bewertung von Start-ups im Mobilitätssektor die Höhe der Marktanteile entscheidend für die Bewertung sei.

Für Flixmobility bedeutet das in der Wachstumsphase: Je stärker die Expansion, desto mehr sind Investoren bereit, frisches Kapital nachzuschießen. Das treibt die Bewertung. Die Renditen wachsen aber nicht in den Himmel. Flixmobility agiert im Kerngeschäft in einem Segment, in dem seit Jahren ein Verdrängungswettbewerb herrscht. Doch die Zahlen müssen auf Dauer überzeugen. Dem Ende Juni im Bundesanzeiger veröffentlichten Konzernabschluss für 2019 zufolge steigerte Flixmobility zwar den Umsatz auf 970 (2018: 711) Mill. Euro, schrieb aber tiefrot. Der Nettoverlust weitete sich auf 61 Mill. Euro aus nach einem Minus von 15 Mill. Euro ein Jahr zuvor. Die Expansion kostet Geld. Erhöhte Marketing- und Vertriebskosten schlugen ins Kontor. Die Corona-Ausfälle rissen zusätzliche Löcher. Das wird sich in den nachfolgenden Zahlenwerken niederschlagen. Das ist kein Umstand, der Anleger zum Kauf einer Aktie lockt. Hohe Defizite schrecken im Allgemeinen ab.

Flixmobility wird wohl an ihrer Equity Story nach den coronabedingten Rückschlägen feilen müssen, um eines Tages auf dem Handelsparkett erfolgreich debütieren zu können.

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