Mobilitätsdienste in der Sinnkrise
Die Coronakrise wirkt allgemein als Trendbeschleuniger, doch den Trend zur Nutzung von Fahrdienstvermittlern wie Uber hat sie gebrochen. Bei Autoherstellern ist zudem in der Pandemie die Toleranz für defizitäre Mobilitätsdienste geschrumpft. Profitable Geschäftsmodelle werden noch gesucht.Von Sebastian Schmid, FrankfurtMit der Coronakrise sind in den vergangenen Monaten viele Geschäftsmodelle unter Druck geraten. Allerdings hat die Krise auch als Trendbeschleuniger gewirkt – etwa beim Thema Digitalisierung. Ein Trend, der sich nicht verstärkt hat, ist die Nutzung mobiler Fahrdienstvermittler wie Uber, Lyft oder Free Now. In New York, wo die Coronavirus-Pandemie im späten Frühjahr besonders stark wütete, stürzten die Mitfahrnachfragen dramatisch ab (siehe Grafik). Aber auch in den vergangenen Monaten dürften die Anbieter weit vom Normalniveau entfernt sein. Die weltberühmte Theater- und Konzertszene rund um den Broadway ist praktisch noch komplett geschlossen und auch die Touristenzahlen sind angesichts der Reisebeschränkungen nur ein Bruchteil des Normalniveaus. Entsprechend selten werden Mitfahrdienste benötigt. Essen auf Rädern US-Fahrdienstleister Uber versucht dies teils mit dem Essenslieferdienst Uber Eats zu kompensieren und teils anderweitig Mittel einzuwerben. So wurde in der vergangenen Woche ein Anteil von knapp einem Sechstel an der Transporttochter Uber Freight an die Private-Equity-Gesellschaft Greenbriar Equity Group verkauft, was dem Fahrdienstleister immerhin eine halbe Milliarde Dollar in die zunehmend strapazierte Kasse spülte.Schwierig gestaltet sich auch die Lage für die klassischen Automobilhersteller, die allesamt in den vergangenen Jahren neben Vernetzung, autonomen Fahreigenschaften und Elektrifizierung der Antriebe auch in Mobilitätsdienste investiert hatten. CEO Ola Källenius sprach wiederholt davon, Daimler von einem Automobilhersteller zu einem umfassenden Mobilitätsanbieter weiterentwickeln zu wollen. Dabei sollten die Dienstleistungen ein wesentliches Standbein werden. Auch Volkswagen und BMW haben in diese Richtung gedachte und investiert. Mittlerweile ist die Euphorie einer Ernüchterung gewichen. Bereits Anfang 2019 hatten Daimler und BMW ihre Mobilitätsdienste in einer Reihe von Gesellschaften zusammengelegt, die dann Ende 2019 in einer gemeinsamen Dachgesellschaft mit Sitz in Berlin gebündelt worden waren. VerlustbringerIm Dezember 2019 verabschiedete sich Share Now dann aus dem nordamerikanischen Markt sowie einigen internationalen Metropolen. Insgesamt wurde ein Drittel der Standorte weltweit aufgegeben. Daraus entsprang eine Belastung in dreistelliger Millionenhöhe. Mit der Coronakrise, die Umsatz, Ergebnis und Cash-flow aller Autohersteller stark unter Druck gesetzt hat, wird die Toleranz für den Verlustbringer Mobilitätsdienste noch geringer. Die hochdefizitäre Tochter Free Now, die private Mitfahrdienste und Taxivermittlungen kombiniert, war bereits im Frühjahr mit der französischen Schwestergesellschaft Kapten zusammengelegt und personell gestrafft worden.BMW und Daimler haben schon länger signalisiert, dass man sich für das Joint Venture auf Partnersuche befindet. Zuletzt hieß es, Uber habe Interesse gezeigt (vgl. BZ vom 30. September). Dabei soll dem US-Marktführer entweder ein Komplettkauf oder wenigstens die Übernahme einer Kontrollmehrheit vorschweben. BMW und Daimler würden sich damit endgültig von der Idee verabschieden, vollumfänglicher Mobilitätsdienstleister zu werden. Dass es um die Wirtschaftlichkeit vieler Geschäftsmodelle nicht allzu gut bestellt ist, lässt sich auch an den Zahlen von Fahrdienstvermittler Uber ablesen, der im ersten Halbjahr bei 5,7 Mrd. Dollar Umsatz 2,9 Mrd. Dollar Verlust angehäuft hat. Die Mobilitätsaktivitäten von Daimler und BMW sorgten mit negativen Ergebnisbeiträgen in dreistelliger Millionenhöhe ebenfalls für wenig Freude in Stuttgart und München.Dass Free Now, ein Konkurrenzdienst zu Uber, noch immer verzweifelt bemüht ist, die Verluste einzudämmen, zeigt spätestens eine Ankündigung von Ende September. So sollen Kunden, die eine gebuchte Fahrt doch nicht wahrnehmen wollen und diese absagen, künftig 4 Euro zahlen. Die Stornogebühr erhalte der Fahrer. Allerdings ist die Neuregelung auch für die Fahrer nicht nur positiv ausgefallen. Sie sollen künftig eine drastisch erhöhte Vermittlungsgebühr entrichten. Waren bislang 7 % je Fahrt fällig, so sind es künftig 12 %. Wie bei Uber ist auch Free Now mit der Corona-Pandemie dramatisch viel Geschäft weggebrochen. Ohne wochenendliche Ausgehoptionen werden eben auch weniger Fahrdienste benötigt.Die Automobilwoche berichtete mit Verweis auf das Unternehmen, in der Krise sei etwa ein Drittel des Geschäftsvolumens von Free Now weggebrochen. Allerdings ist der geordnete Rückzug aus der Mobilitätsdienst-Offensive durch die Autohersteller eventuell nicht nur der geringeren Wirtschaftlichkeit, sondern auch der wachsenden Erkenntnis geschuldet, dass die junge Generation dem Auto keineswegs so negativ gegenübersteht wie in den vergangenen Jahren teils befürchtet. In der Studie “Mobility Zeitgeist 2020”, die Ford beim Zukunftsinstitut in Auftrag gegeben hat, zeigt sich, dass die Generation Z (17 bis 23 Jahre alt) dem Auto keineswegs im Grundsatz abgeneigt ist. Bei den Gründen, warum kein Auto genutzt wird, werden die Kosten (31 %) noch immer deutlich häufiger als Grund angegeben als Umweltgründe. Hauptsache bequemConvenience und Vernetzung stehen bei der jungen Generation deutlich höher im Kurs als der Umweltschutz. Flexibilität und Freiheit sind die wesentlichen Mobilitätsattribute, die den befragten jungen Erwachsenen vor allem wichtig waren. Das Interesse an Carsharing-Modellen basiert dann auch eher auf Praktikabilitätsüberlegungen und nicht etwa auf einer Abneigung gegen den Autobesitz per se. Eine Investition, die derweil weiter wichtig bleiben dürfte – auch unabhängig von der aktuellen Gesetzeslage -, ist die in lokal emissionsfreie Mobilität. Jeder zweite Befragte gab an, sich mehr Förderung für Elektromobilität zu wünschen. Die fossilen Brennstoffe Diesel und Benzin werden dagegen von immer weniger jungen Menschen als zukunftsweisend gesehen. Allerdings muss man sich diese auch erst einmal leisten können. Geteiltes AutoaboDaher könnten sich in Zukunft andere Geschäftsmodelle durchsetzen, wie etwa das Teilen von Autoabos in der Familie oder unter Freunden. Ein Pionier auf dem Gebiet ist etwa Lynk & Co, eine Tochter des chinesischen Autokonzerns Geely, der auch an Daimler beteiligt ist. Für eine Monatsgebühr von maximal 500 Euro stellt Lynk & Co. ein Fahrzeug zur Verfügung. Der Abonnent hat keine weiteren Nebenkosten und darf das Auto dann nach Belieben per App mit Freunden, Nachbarn oder Familienmitgliedern teilen. Je mehr dieser das Auto mit anderen teilt, desto günstiger ist die monatliche Nutzung. Die deutschen Autobauer haben zwar kein exakt gleiches Geschäftsmodell aufgesetzt, aber durchaus schon ähnliche Modelle angeschoben. Auch sie scheinen in Abomodellen derzeit eher die Zukunft zu sehen als in Fahrdienstleistungen à la Uber.Der deutsche Gesetzgeber hinkt dieser Entwicklung derweil hinterher. Er hat gerade erst einen Gesetzentwurf zur Personenbeförderung auf den Weg gebracht, die den verschiedenen Mobilitätsdienstleistern Rechtssicherheit geben soll, da diese bislang vielfach noch auf Basis von Ausnahmeregelungen unterwegs sind. Kritik gab es sowohl von Mobilitätsdienstleistern als auch Taxianbietern. Am Ende könnten beide hier nur um Stücke eines schrumpfenden Kuchens streiten. Die Zukunft der Mobilitätsdienste könnte woanders liegen.