Modell Großbritannien
Von Andreas Hippin, LondonGroßbritannien hat die Treibhausemissionen seit 1990 um rund 44 % zurückgefahren – mehr als jedes andere Land der G7. Damit nicht genug: Theresa May brachte vor ihrem Abtritt im Sommer – den Empfehlungen des 2008 eingerichteten Committee on Climate Change folgend – noch die gesetzlichen Voraussetzungen dafür auf den Weg, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2050 nicht nur auf 80 % des Standes von 1990 herunterzufahren, sondern auf “net zero”. Anders als Norwegen und Schweden wollte sie dafür nicht auf den modernen Ablasshandel mit Ausgleichszertifikaten zurückgreifen. “Dieses Land hat während der industriellen Revolution die Welt mit Innovationen angeführt, nun müssen wir die Welt zu einem saubereren, grüneren Wachstum führen”, sagte die glücklose Vorgängerin von Boris Johnson damals. Mindestpreis für EmissionenBislang hat das Land die selbst gesetzten Ziele übertroffen. Die Emissionen sanken dabei nicht etwa in einer Rezession, sondern während Wachstum und Beschäftigung florierten. Großbritannien kam ganz ohne grüne Verzichtsideologie ans Ziel. Und das kam so: Ausgerechnet im Land des Manchester-Kapitalismus sorgte eine De-facto-CO2-Steuer dafür, dass die Stromversorger gerne von Kohle auf Gas umstiegen. Die Koalitionsregierung aus Tories und Liberaldemokraten unter David Cameron, die 2010 an die Macht kam, führte angesichts des offenkundigen Versagens des EU-Emissionshandelssystems (EU-ETS), wo in den Jahren der Finanzkrise der Preis ins Bodenlose fiel, unter dem Namen Carbon Price Support (CPS) ein System ein, das der Branche einen Mindestpreis in Form eines Aufschlags auf den EU-ETS-Preis für ihren Treibhausgasausstoß auferlegte. Die britischen Stromversorger waren dadurch mit deutlich höheren CO2-Preisen als in anderen EU-Ländern konfrontiert. Bei Einführung 2013 wurde der sogenannte Carbon Price Floor (CBF) auf 16 Pfund pro Tonne festgelegt. Bis 2020 sollte er eigentlich auf 30 Pfund steigen, allerdings entschieden sich die Konservativen, als sie 2015 allein regieren konnten, ihn bei 18 Pfund einzufrieren, um daraus resultierende Wettbewerbsnachteile für britische Unternehmen abzumildern und die privaten Haushalte zu entlasten. Dennoch zeigten die Maßnahmen Wirkung: Hatten Kohlekraftwerke 2012 noch einen Anteil von knapp zwei Fünfteln an der Elektrizitätsproduktion, waren es im vergangenen Jahr nur noch 5 %. Die Substituierung von Kohle durch Gas sorgte dafür, dass zwischen 2012 und 2018 jährlich 93 Mill. Tonnen weniger Treibhausgase in die Luft geblasen wurden – eine Reduktion um 60 %. Bleibt der EU-ETS-Preis bei 25 Euro die Tonne, könnte die Regierung den CBF deutlich reduzieren oder sogar ganz abschaffen, sobald auch das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet ist.Noch ist nicht klar, wie sich der Brexit auf den CO2-Preis in Großbritannien auswirken wird. Die Regierung hatte ein eigenes Emissionshandelssystem ins Spiel gebracht. Andererseits war auch schon davon die Rede, dass die britischen Emittenten im Falle eines Austritts ohne Übereinkunft mit Brüssel das EU-ETS verlassen und stattdessen eine CO2-Steuer von 16 Pfund je Tonne bezahlen würden – deutlich weniger als derzeit also.Der bislang geforderte Aufschlag auf den EU-ETS-Preis hatte größeren Einfluss auf die Reduktion der Treibhausgase insgesamt als der Aufstieg der erneuerbaren Energien, der sich in dieser Zeit vollzog. Er zeigt sich in unerwarteter Form bei einem Besuch des börsennotierten Kohlekraftwerks Drax, dessen zwölf Kühltürme seit den 1960er-Jahren das Landschaftsbild in North Yorkshire dominieren. Dort wurde einst Kohle aus benachbarten Zechen verstromt. Bereits vor einigen Jahren begann man mit der Umstellung auf Holzpellets als Brennstoff. Nach europäischem Recht sind sie eine CO2-neutrale Energiequelle. Dabei wird argumentiert, dass bei der Verbrennung zwar Treibhausgase freigesetzt werden, die Bäume der Atmosphäre während ihres Wachstums aber auch CO2 entzogen hätten. Während man in Deutschland noch an der Braunkohle festhält, dürfte Großbritannien den Kohleausstieg 2022 vollzogen haben – es sei denn, Kohle verbilligt sich dahin dramatisch. Drax will bis 2030 “CO2-negativ” werden, also mehr Emissionen ausgleichen als selbst produzieren.Nach Schätzung von Moody’s Investor Service werden erneuerbare Energien, die im vergangenen Jahr ein Drittel zur Stromproduktion beitragen, schon 2025 die Hälfte liefern.Das benachbarte Irland, wo es einen gemeinsamen Elektrizitätsmarkt für die gesamte Grüne Insel gibt, gehört dagegen zu den “schmutzigsten” Stromproduzenten Westeuropas. Dort wird Torf verfeuert. Für eine so erzeugte Kilowattstunde (KWh) werden bis zu 420 g CO2 in die Atmosphäre gepustet. Zum Vergleich: Effiziente Kohlekraftwerke stoßen 340 g/KWh aus. Im Jahr 2017 trugen Kohle und Torf fast die Hälfte zu den Emissionen der Branche bei, lieferten aber nur knapp ein Fünftel des Outputs. Datenzentren tragen wesentlich zum wachsenden Hunger der Insel nach Strom bei. Nach Schätzung des staatlichen Netzbetreibers könnten sie 2028 schon 29 % der Gesamtnachfrage darstellen. Zusammen mit der Schließung von Torfkraftwerken dürfte dies dafür sorgen, dass erneuerbare Energien bald eine größere Rolle spielen.