„Momentan sind die USA und Australien interessant“
Michael Flämig.
Herr Salzmann, Frankreich drängt Europa zu mehr strategischer Autonomie in der Verteidigung. Ist dies ein richtiger Ansatz?
Das ist eine sehr weit gefasste Frage. Ich denke, der Fokus sollte auf der Stärkung der gemeinsamen Verteidigungskapazitäten in Europa liegen, das ist ja auch Teil des Koalitionsvertrags der neuen Bundesregierung. Wir brauchen eine strategisch souveräne EU komplementär zur Nato, das ist für mich der einzig richtige Weg.
Wird die französische EU-Ratspräsidentschaft nur reden oder auch handeln?
Es wird sicherlich gehandelt. Ob dies mit der notwendigen Geschwindigkeit passiert, wird von der unterschiedlichen gesellschaftlichen Akzeptanz in den jeweiligen Ländern abhängen. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich ist seit vielen Jahrzehnten ein zentraler Motor der europäischen Kooperation.
Warum ist das Tempo eher gering?
Es geht hier ja um die Beschaffung hochkomplexer Systeme, da müssen Sorgfalt und Schnelligkeit Hand in Hand gehen. Wir sehen aber durchaus auch Projekte, wo es recht schnell geht, beispielsweise bei den Aufklärungsflugzeugen im sogenannten Pegasus-Projekt.
Wie bringt sich Hensoldt in diese Diskussion ein?
Wir stehen den Regierungen als Partner zur Seite und begreifen uns selbst als Treiber der europäischen Zusammenarbeit. Aber Fakt ist auch: Wir können nur liefern, wenn wir aufgefordert werden, uns zu beteiligen. Die Normen, die wir als Europäer haben, sind meiner Meinung nach schützenswert. Sie sind so wichtig, dass sie verteidigt werden sollten. Weil nicht jede Nation alle Fähigkeiten beispielsweise bei der Informationsgewinnung aufbauen kann, ist es sinnvoll, zu einem europäischen Ansatz zu kommen. Die Antwort auf die globale Situation kann nur ein Mehr an europäischer Zusammenarbeit sein, politisch wie industriell.
Der Russland-Ukraine-Konflikt hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf kriegerische Konflikte gelenkt. Könnte die Bereitschaft steigen, mehr Geld für Verteidigung in die Hand zu nehmen?
Wir brauchen schon ein gewisses Maß an Abschreckung. Wir müssen für unsere Werte einstehen und sie verteidigen. Die Bundeswehr benötigt moderne Ausrüstung. Dafür braucht es einen Aufwuchs im Verteidigungshaushalt.
Das ist ja wichtig auch für Ihr Geschäft.
Unser Auftragsbuch ist gut gefüllt, die Wachstumskurve ist beeindruckend. Da habe ich wenige Sorgen. Nein, die zentrale Frage lautet: Reicht es, um uns und unsere Bündnispartner zu verteidigen? Ich denke, es ist unstrittig, dass ein weiteres Investment in die Ausrüstung und Fähigkeiten der Bundeswehr in der Zukunft notwendig ist, nicht nur angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen.
Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Ich finde es schwierig, Erwartungen an die Bundesregierung zu haben. Was ich mir wünschen würde, wäre der Ausbau einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik und mehr europäische Kooperation. Darüber hinaus ist für die Industrie Planungssicherheit sehr wichtig.
Die Ampel-Regierung scheint aber Rüstung kritischer zu beurteilen als die große Koalition zuvor.
Das weiß ich gar nicht. Die Parteien der Ampel-Koalition haben in weiten Teilen eine sehr realitätsbezogene Einstellung zur Verteidigung. Häufig ist die Position außerdem keine Frage der Partei, sondern der gesellschaftlichen Akzeptanz.
Was also ist der Wunsch an die handelnden Politiker?
Ich würde mir mehr Stringenz und Klarheit in den Entscheidungen wünschen. Wir als Unternehmen müssen planen, beispielsweise für das Einstellen von Mitarbeitern. In der Regel sind bei unseren Projekten viele Bereiche beteiligt. Hier würde ich mir manchmal schnellere Prozesse wünschen
In welche Länder will Hensoldt expandieren?
Wir streben eine gleichmäßige Verteilung unseres Umsatzes an. Ein Drittel soll in Deutschland, ein Drittel im übrigen Europa und das letzte Drittel in der übrigen Welt erwirtschaftet werden.
Im Jahr 2020 kam gut die Hälfte aus Deutschland, die übrige Welt steuerte nur 24% bei. Welche Märkte sollen ausgebaut werden?
Momentan sind die USA und Australien interessant. Dort werden wir uns sicherlich mehr engagieren. Bisher sind wir mit Niederlassungen präsent. Aber man muss sich klug anschauen, wie wir die weitere Entwicklung anpacken.
Wie könnte dies in Amerika aussehen?
Amerika ist der größte Verteidigungsmarkt der Welt. Wir glauben, dass wir mit unserer Technologie eine gute Wettbewerbsstellung haben könnten. Heute sind wir dort in sogenannten Tandemgeschäften aktiv, wir liefern beispielsweise an Lockheed, die ihrerseits an die Navy liefert. Wir liefern unsere Produkte aber auch direkt an die U.S. Army. Wir würden gerne noch mehr tun, dafür müssen wir eine noch größere Akzeptanz schaffen.
Wie kann Hensoldt die Akzeptanz erhöhen?
In Amerika benötigt man eine ausreichend große industrielle Präsenz vor Ort, um wahrgenommen zu werden. Dies geht nur mit einer klugen Investition, die wir mittel- bis langfristig planen. Sie muss aber auch bezahlbar sein und sich tragen. Das darf kein Schnellschuss sein.
Zählen auch Akquisitionen zu der erwähnten klugen Investition?
Ich schließe da nichts aus. Wichtig ist, dass man den Zukauf vollständig integrieren kann. Die Lösung sollte zudem werterhöhend sein. Das gucken wir uns jetzt in aller Ruhe an.
Was planen Sie in Australien?
Dort werden wir aus eigener Kraft wachsen, vor allem über einen verstärkten Vertrieb. Eventuell bauen wir außerdem eigene Produktionsstandorte auf.
Welche Strategie verfolgen Sie in Europa?
Wir wollen die Konsolidierung im Bereich der Verteidigungselektronik weiter aktiv gestalten. Daher sind wir sehr froh, dass der italienische Konzern Leonardo bei uns als Ankerinvestor an Bord gekommen ist. Dies ist für die europäische Verteidigungsindustrie ein guter Schritt in die richtige Richtung. Es gibt sicherlich noch Potenzial zur weiteren Konsolidierung – ich denke da zum Beispiel an den Schiffbau.
Wie kann diese Konsolidierung aussehen?
Sehen Sie: Am Eurofighter arbeitet schon ein Verbund unterschiedlicher Unternehmen. Da wird man sehen, wo sich weitere Konsolidierungseffekte ergeben. Da ist noch was drin.
Was konkret steckt drin?
Es geht um die Synergien. Wir können uns nicht leisten, an allen möglichen Ecken und Enden Entwicklungsarbeit doppelt und dreifach zu machen. Dies führt zu einer unnötigen Verteuerung. Die Konsolidierung sollte über Vernetzung und stärkere Zusammenarbeit laufen.
Also sind Zukäufe und Fusionen kein Mittel der Wahl?
Für Hensoldt ist und bleibt auf jeden Fall die Selbständigkeit entscheidend. Es gibt allerdings ein paar kleinere Firmen, bei denen man überlegen kann, ob sie sich nicht als Zukauf eignen.
Wie wird die Leonardo-Kooperation mit Leben gefüllt?
Wir haben beispielsweise gerade einen Unterauftrag für Elemente des Eurofighter-Radars an Leonardo gegeben. Wir suchen immer weiter, wo wir uns ergänzen können, und zwar unter der Voraussetzung einer Selbständigkeit – das muss man klar sagen – von Leonardo und Hensoldt.
Warum ist es wichtig, dass die beiden Unternehmen selbständig bleiben?
Wir können die Marktmöglichkeiten so kreativ ausloten. Wettbewerb belebt eben das Geschäft.
Wird Leonardo stark mitsprechen bei Hensoldt?
Der Konzern erhält ganz normal zwei Aufsichtsratssitze. Insofern erwarten wir keine starke operative Mitsprache.
Glauben Sie, dass Leonardo weiter aufstocken wird?
Da müssen Sie Leonardo fragen. Klar ist aber, dass der Bund ein berechtigtes sicherheitspolitisches Interesse an unserem Unternehmen hat.
Leonardo hat mit 23 Euro einen recht hohen Einstiegspreis bezahlt.
Meinen Sie? Für mich war dieser Preis angemessen.
Im Vergleich zum Börsenkurs war es ein hoher Aufschlag.
Ich habe für mich eine goldene Regel: Ich denke nie über die kurzfristige Entwicklung von Aktienkursen nach.
Warum?
Ein Aktienkurs entsteht am Markt durch Angebot und Nachfrage. Als Finanzvorstand konzentriere ich mich auf die Umsetzung unserer Ziele. Wenn wir diese weiterhin erfolgreich umsetzen, wird sich langfristig auch der Aktienkurs entsprechend positiv entwickeln.
Sie lösen Ihre Guidance immer ein, trotzdem steht der Kurs auf dem Emissionsniveau von 12 Euro.
Die Analysten halten im Schnitt einen Aktienkurs von 17 Euro für angemessen.
Warum liegt die Hensoldt-Notierung darunter?
Der einfache Grund ist: Wir haben zu wenig Streubesitz. Es fehlt die ausreichende Liquidität im Aktienhandel. Das tägliche Volumen ist auch deswegen niedrig, weil die hochkarätigen Namen im Aktionärskreis alle langfristig orientiert sind und somit wenig zum Handel beitragen.
Wünschen Sie sich also einen höheren Streubesitz als 32%?
Es würde der Aktie gut tun, wenn wir einen höheren Streubesitz hätten. Aber das ist kein Wunschkonzert, sondern eine Entscheidung der Investoren. Und es ist auch nicht entscheidend für den operativen Erfolg von Hensoldt.
KKR hält ja noch 17,8%, die in den Streubesitz wandern könnten.
Das ist eine Frage an den Investor, das ist nicht meine Entscheidung.
Würden Sie sich im Rahmen der Konsolidierung einen weiteren Ankeraktionär wünschen?
Jetzt sind wir in der tiefen Spekulation drin.
Wollen Sie es oder nicht?
Für das Aktionariat ist ein bisschen mehr Streubesitz richtig gut, weil wir dann mehr Handel in der Aktie haben. Dann würde der Wert unseres Unternehmens auch an der Börse besser reflektiert werden.
Ist die ESG-Diskussion ein zusätzliches Problem? Viele institutionelle Anleger dürfen ja gar nicht in Rüstungsfirmen investieren.
Das ist für uns ein wichtiges Thema. Nachhaltigkeit ist für uns ein sehr zentraler Pfeiler unserer Strategie. Wir haben im Jahr 2021 erstmals einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Wir sind fest entschlossen, Standards im Bereich der Nachhaltigkeit zu setzen und branchenweite Anstrengungen zu forcieren, um den CO2-Abdruck zu verbessern und nachhaltige Energiekonzepte zu entwickeln. Im Rating von Sustainalytics sind wir im Luftfahrt- und Verteidigungssektor die Nummer 1 von fast 100 Unternehmen. Darauf bin ich sehr stolz.
Die EU-Taxonomie will die Verteidigungsindustrie nicht als nachhaltig einstufen.
Wir machen da unsere Meinung ganz klar deutlich. Ich bin fest davon überzeugt: Ohne Sicherheit gibt es keine Nachhaltigkeit. Dies können Sie in den Ländern sehen, die ihren Bürgern kein sicheres Umfeld bieten. Nachhaltigkeit muss insofern breiter gefasst werden.
Hat die Taxonomie-Bewertung negative Folgen für die Finanzierung?
Wir sind an dieser Stelle sehr gut aufgestellt. Wir werden im Jahr 2021 eine exzellente Entwicklung der Verschuldung darstellen können mit einem sehr guten Cashflow. Das bringt mich also nicht so richtig zum Schwitzen.
Angesichts des Gegenwinds: Gehört Hensoldt eher in den Privatbesitz als an die Börse?
Nein, an der Börse sind wir sehr gut platziert. Ich bin optimistisch, dass wir mit der notwendigen Liquidität in der Aktie auch den fairen Wert des Unternehmens sehen werden.
Was ist die Equity Story von Hensoldt?
Wir liefern Schlüsseltechnologien im Bereich der Sensorik und Verteidigungselektronik und haben in unseren Kernmärkten ein hohes Vertrauen in unsere Fähigkeiten erarbeitet. Wir steigern die Profitabilität jedes Jahr. Der Cashflow ist ausgezeichnet, unser Auftragsbuch sehr gut gefüllt. Wir sind auch für die Zukunft mit führenden Technologien in unserem Kerngeschäft, aber auch in Zukunftsfeldern wie Big Data und Cyber optimal aufgestellt, denn wir pflegen immer stärker eine Kultur der permanenten Innovation. Es macht mich glücklich, das zu sehen.
Trotzdem ist das Nettoergebnis negativ.
Ich will nicht vorgreifen, aber wir sollten die Zahlen 2021 abwarten, die wir am 23. Februar veröffentlichen. Der bisherige Verlust ist natürlich ein Resultat der IFRS-Bilanzierung.
Was meinen Sie?
Der Verlust wurde im Wesentlichen aus der Abschreibung der Kaufpreisallokation und der Neubewertung der Derivate aus dem Kreditvertrag getrieben. Diese haben wir weitgehend abgebaut.
Wie ist das Jahr 2021 gelaufen?
Sehr gut. Wir werden wieder ein Rekordergebnis erreichen. Die Nettoschulden haben sich wie erwähnt sehr positiv entwickelt. Wir haben alle unsere Kennzahlen übertroffen, so wie bisher in jedem Quartal.
Woher kommt dieser Schwung?
Wir arbeiten die Aufträge effizient ab, insbesondere bei den Großaufträgen für den Eurofighter und für Pegasus. Das Management des Betriebsvermögens haben wir in den vergangenen zwei Jahren nochmals deutlich verbessert. Es macht mich glücklich, wenn ich sehe, dass wir die Kapitalbindung niedrig halten. Es ist gelungen, den Umsatz zu steigern und zugleich das Net Working Capital nicht zu erhöhen.
Die Ebitda-Marge war zuletzt unter Druck.
Dies liegt an den Projektstarts für Eurofighter und Pegasus sowie an Umsatzanteilen, die wir einfach durchreichen. Wir gehen unsere Projekte sehr konservativ und risikobewusst an. Am Anfang werden Sie also etwas Margendruck sehen, aber im Projektverlauf steigen die Margen.
Wird Hensoldt die Mittelfristziele erhöhen?
Wir fühlen uns mit unserer Mittelfristplanung sehr wohl. Für mich ist immer wichtig: Ich will liefern, was wir angekündigt haben.
Das Interview führte