Siemens

Nachhaltigkeit gewinnt Kontur

Nachhaltigkeit ist das Top-Thema auch des Jahres 2022. Siemens-Finanzvorstand Ralf Thomas rückt den Nutzen für die Kunden und damit die Gesellschaft in den Fokus.

Nachhaltigkeit gewinnt Kontur

mic München

Nachhaltigkeit rückt aus einer Randposition in den Fokus wirtschaftlicher Berichterstattung. Die Europäische Kommission hat in diesem Jahr einen Richtlinienvorschlag für eine standardisierte Darstellung veröffentlicht. Prüfungspflichten und verlässliche Umsetzungen werden angestrebt.

In der Praxis jedoch stößt das Management an vielerlei Stellen auf operative Probleme. Es fehlen Daten ebenso wie Methoden, das erforderliche Zahlenmaterial zu gewinnen. Darüber hinaus ist umstritten, welche Angaben wirklich aussagekräftig für die Umweltwirkungen eines Unternehmens sind. Ob die Belastung in den Mittelpunkt gerückt wird, die durch eigene Fabrikation erzeugt wird, die bei den Lieferanten entstandene Emission oder die von Kunden durch den Kauf vermiedenen Treibhausgase, macht einen großen Unterschied.

Wie positioniert sich Siemens in der Nachhaltigkeitsdiskussion? „Ich verspreche mir persönlich sehr viel davon, auch in der Unternehmensbewertung, wenn erst einmal mit klaren Fakten agiert wird“, sagt Finanzvorstand Ralf Thomas im Gespräch mit der Börsen-Zeitung: „Die zuverlässige Messbarkeit der Nachhaltigkeitsthematik anhand etablierter Marktstandards steckt allerdings noch in ihren Kinderschuhen.“ Aktuell sei die Diskussion sehr stark fokussiert auf den CO2-Ausstoß des jeweils analysierten Unternehmens: „Viel relevanter ist jedoch, was ein Unternehmen mit seinem Portfolio darüber hinaus bei den Kunden und damit letztlich für die Gesellschaft weltweit an Nutzen stiften kann.“

Siemens rechnet sich an dieser Stelle eine hohe Wirkung zu. „Unsere Kunden konnten mit Technologien des Siemens-Umweltportfolios im vergangenen Geschäftsjahr 88 Mill. Tonnen CO2 einsparen“, erklärt Thomas. Dies seien 10% mehr als im Vorjahr: „Dieser Hebel ist viel größer als bei den meisten anderen Unternehmen.“ Mit den umweltschonenden Technologien könne der Konzern angesichts seiner Größe und weltweiten Präsenz so viel bewirken wie kein anderes Unternehmen aus seiner Branche.

Großes Umweltportfolio

Siemens bastelt aktuell daran, das Umweltportfolio an die EU-Taxonomie anzupassen, die ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten definiert. Aktuell sind in dem Portfolio Produkte enthalten, die beispielsweise eine über einem definierten Schwellenwert liegende Energieeffizienz haben. Den größten Beitrag zur Reduktion von CO2-Emissionen leisteten dabei Komponenten für intelligente und dezentrale Stromnetze, Frequenzumrichter, schienengebundener Personen- und Güterverkehr sowie Gebäudetechnik, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht. Im Geschäftsjahr 2020/21 (30. September) entfielen auf dieses Umweltportfolio 19,1 Mrd. Euro innerhalb der fortgeführten Aktivitäten. Dies entspricht 31% des Gesamtumsatzes.

Laut Nachhaltigkeitsbericht wurden mit allen Produkten und Elementen aus dem Siemens-Umweltportfolio, die im vergangenen Geschäftsjahr in Betrieb waren, rund 87,5 Mill. Tonnen CO2 eingespart (siehe Grafik). Die im Geschäftsjahr 2020/2021 neu installierten Produkte und Elemente haben die Emissionen dabei um 8,4 Mill. Tonnen gesenkt. Durch diese im Geschäftsjahr verkauften Produkte fallen laut Nachhaltigkeitsbericht bei den Kunden über die voraussichtliche Le­bens­dauer Emissionen in Höhe von mehr als 450 Mill. Tonnen an. Diese Emissionen (Scope 3), die über die Nutzungsphase anfallen, möchte Siemens bis zum Jahr 2030 um 15% gegenüber 2019 verringern.

Mit der eigenen Unternehmenstätigkeit hat Siemens im vergangenen Geschäftsjahr 595 Kilotonnen CO2 erzeugt. Der Fußabdruck der eigenen Betriebe sei seit dem Jahr 2014 bis 2020 um 54% reduziert worden, erklärt der Nachhaltigkeitsbericht. Nun sollen die Emissionen aus dem Geschäftsbetrieb um 50% bis 2030 gegenüber 2019 verringert werden. Verbleibende Emissionen würden mit qualitativ hochwertigen CO2-Zertifikaten kompensiert. Der Grünstromanteil, der aktuell 78% beträgt, soll spätestens bis 2030 auf 100% steigen. Zu diesem Zeitpunkt sollen beispielsweise auch Gebäude, die Siemens besitzt oder mietet, keine Netto-CO2-Emissionen mehr aufweisen. Aktuell hätten 32 Siemens-Standorte dies im Regelbetrieb bereits erreicht. Im Jahr 2030 sollen nur noch Elektrofahrzeuge genutzt werden. Ende September waren 656 Fahrzeuge ausschließlich elektrisch betrieben und weitere 2719 als Hybridautos unterwegs. Dies entspricht 8% des Fahrzeugbestandes.

Gewichtige Lieferanten

Mehr CO2-Emissionen als Siemens selbst erzeugen die Lieferanten des Konzerns, weil sie Rohstoffe verarbeiten und daher meist energieintensiver wirtschaften. Sie kommen auf 10,4 Mill. Tonnen CO2-Äquivalente. Bis zum Jahr 2030 möchte Siemens (ohne Siemens Healthineers) diese Emissionen um 20% gegenüber 2020 senken. Bis zum Jahr 2050 soll eine CO2-neutrale Lieferkette gestaltet werden.

Die Ratings spiegeln den aktuellen Stand dieser Bemühungen. Die ge­mein­nützige Organisation CDP be­wer­tet Siemens mit einem A−. Im Dow Jones Sustainability Indices, für Industriekonglomeraten landet der Konzern auf dem ersten Platz. Innovation, Cybersicherheit, betriebliche Ökoeffizienz und Umweltschutz-Produktverantwortung werden be­son­ders hoch eingestuft. Für Eco­vadis landet Siemens mit 61 von 100 Punkten auf dem sogenannten „Silver Recognition Level“, also unter den 25% der besten Unternehmen. Außerdem ist Siemens Mitglied im FTSE 4 Good Index und wird von ISS Oekom mit dem Prime-Status eingestuft. Bei Sustainalytics rangieren die Münchener auf dem fünften Platz unter 105 Industriekonglomeraten, und bei der von Moody’s erworbenen Vigeo Eiris landete Siemens im Jahr 2020 bei 57 Punkten.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.