GASTBEITRAG

Nachhaltigkeitsrisiken aus Sicht des Aufsichtsrats

Börsen-Zeitung, 17.1.2020 Die 17. Jahreskonferenz der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) hat am 28. November 2019 unter dem Titel "Nachhaltige Unternehmensentwicklung" stattgefunden. Angesichts der nur zwei Wochen...

Nachhaltigkeitsrisiken aus Sicht des Aufsichtsrats

Die 17. Jahreskonferenz der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) hat am 28. November 2019 unter dem Titel “Nachhaltige Unternehmensentwicklung” stattgefunden. Angesichts der nur zwei Wochen vorher abgeschlossenen Beratungen im Rechtsausschuss des Bundestages sowie der folgenden Beschlussfassung im Parlament über das Umsetzungsgesetz zur zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) erscheint diese Themenwahl mehr als passend. Tatsächlich griff die Konferenz mit ihrem Titel einen der Leitgedanken von Kodex und Richtlinie auf: die Sicherung einer nachhaltigen Unternehmensführung und -entwicklung. Die Verankerung dieses Leitgedankens im Unternehmen fällt dabei auch in den Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats. In diesem Beitrag wird die Rolle des Aufsichtsrats zur Sicherung unternehmerischer Nachhaltigkeit beleuchtet. Beobachtungen aus der Praxis eines institutionellen Investors werden mit akademischer Evidenz und praktischen Erfahrungen aus dem Aufsichtsgremium verknüpft und konkrete Handlungsempfehlungen aufgezeigt. Mehr als nur UmweltbelangeAuch wenn die in der Öffentlichkeit geführte Nachhaltigkeitsdebatte derzeit von Umweltbelangen (Environment) dominiert wird, umfasst der unter dem Kürzel ESG bekanntgewordene Nachhaltigkeitsbegriff auch soziale (Social) Aspekte sowie Fragen der guten Unternehmensführung (Governance). Dabei ist in Deutschland insbesondere die “soziale” ESG-Komponente in Form der Berücksichtigung von Arbeitnehmerbelangen durch das Mitbestimmungsgesetz seit langem strukturell verankert und genießt traditionell hohe Aufmerksamkeit.Gerade für langfristig orientierte Investoren ist derart umfassend definierte Nachhaltigkeit jedoch kein neues Thema, sondern wird bereits seit langem als wichtiger Bestandteil ihrer fiduziarischen Verpflichtung gegenüber Kunden, wie z. B. Pensionskassen, gesehen und gegenüber den Portfoliounternehmen gelebt. Insbesondere ihr langfristiger Anlagehorizont erlaubt institutionellen Investoren ein erfolgreiches Engagement, nicht nur im Bereich Governance, sondern auch in den Kategorien Umwelt- und Sozialbelange. Eine langfristig angelegte Studie (Dimson, Karakas, Li, 2015) konnte eine deutliche und anhaltende Renditesteigerung, eine höhere Kundenzufriedenheit sowie eine größere Mitarbeiterloyalität infolge unternehmerischer ESG-Maßnahmen, die durch das Engagement institutioneller Investoren angestoßen wurden, zeigen. Auch die kursrisikosenkende Wirkung durch solche Engagements konnte belegt werden (Höpner, Oikonomou, Sautner, Starks, Zhou 2018).Neben dem Vorstand ist für institutionelle Investoren vor allem der Aufsichtsrat relevanter Ansprechpartner für Fragen, die eine nachhaltige Unternehmensführung und -überwachung betreffen. Schließlich ist das Aktiengesetz in der Festlegung der primären Aufgabe des Aufsichtsrats in § 111 (1) eindeutig: “Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen.”Dementsprechend ist das Thema Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren immer stärker Teil der Gespräche von Investoren mit Aufsichtsräten geworden. Da die von den Eigentümern auf der Hauptversammlung gewählten Aufsichtsräte zwar ein persönliches Mandat ausüben, aber dem Unternehmenswohl verpflichtet sind, gehört insbesondere eine umfassende Risikobetrachtung zu ihrer Überwachungspflicht. Um seine Sorgfaltspflicht zu erfüllen, hat sich der Aufsichtsrat daher nicht nur mit der Vermögens- und Ertragslage und -entwicklung zu befassen, sondern auch darüber hinausgehende Risiken in den Blick zu nehmen. Das Erkennen solcher, im weitesten Sinne extra-finanzieller, Risiken und die gemeinsam mit dem Vorstand erfolgende Diskussion angemessener Nachhaltigkeitsstrategien gehören somit ins Pflichtenheft guter Aufsichtsratsarbeit. Anerkannte Rahmenwerke In seiner Risikobetrachtung hat der Aufsichtsrat daher sowohl aktuelle Geschäftsentscheidungen als auch grundsätzliche Aspekte des Geschäftsmodells und der strategischen Ausrichtung der Gesellschaft unter Nachhaltigkeitsaspekten zu beurteilen. Hierbei sollte sich der Aufsichtsrat, wo verfügbar, international anerkannter Rahmenwerke bedienen. So hat z. B. das Sustainability Accounting Standards Board (SASB) – eine 2011 in den USA gegründete Non-Profit-Organisation, die u. a. von den Big Four Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und einigen Stiftungen (darunter auch Bloomberg Philanthropies und Rockefeller Foundation) wesentlich unterstützt wird – mit der SASB Materiality Map ein Klassifizierungssystem entwickelt, welches mehrdimensional relevante Risiken für Sektoren und Einzelindustrien identifiziert und so eine Orientierung für die Rechnungslegung bietet.Diese Risikoevaluation sollte sich der Aufsichtsrat konzeptionell durch den Vorstand und Abschlussprüfer mindestens in der On-Boarding-Phase detailliert erläutern lassen. Anschließend sollte kontinuierlich über Veränderungen in der Risikoeinschätzung bzw. der Folgenabschätzung informiert werden. Auch die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen geben Aufschluss über den Einfluss einzelner Geschäftsaktivitäten auf das Nachhaltigkeitsprofil des Unternehmens und bieten eine weitere Orientierungsgröße. Vor allem für die Beratungen im Prüfungs- bzw. Risikoausschuss sind diese Analysen essenziell, um im Aufsichtsrat ein klareres Verständnis der relevanten finanziellen wie extrafinanziellen Risiken zu verorten. Darauf aufbauend kann der Aufsichtsrat in seiner Beurteilung der Strategie und deren Umsetzung durch den Vorstand nicht nur einen inhaltlichen Mehrwert liefern. Vielmehr kommt er so auch der in der Präambel des DCGK formulierten Verpflichtung nach, im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und unter Berücksichtigung der Stakeholder für eine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen.In einer zukunftsorientierten Betrachtung hat der Aufsichtsrat vor allem in der Strategiediskussion auf die Verknüpfung von Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen mit der Unternehmensstrategie zu achten. Konkret hat er nach § 87 (1) AktG bei der Festsetzung der Vergütungsanreize “auch soziale und ökologische Gesichtspunkte in den Blick zu nehmen”. So stellt es jedenfalls die Begründung zur Gesetzesänderung klar: Durch die Dopplung der Begriffe “nachhaltig” und “langfristig” lassen sich Nachhaltigkeitsaspekte in der Vorstandsvergütung verankern.Für den Aufsichtsrat bleibt die Struktur der Vergütungsanreize die relevante Steuerungsmechanik für das Handeln des Vorstands. Gerade deshalb ist hier eine zukunftsweisende Ausgestaltung durch den Aufsichtsrat notwendig, die auf einer umfassenden und offenen Auseinandersetzung mit dem Thema nachhaltige Unternehmensentwicklung aufbauen sollte. Klare VerantwortlichkeitenDer Aufsichtsrat hat sich mit den Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen des Unternehmens künftig noch stärker auseinanderzusetzen als bisher. Hierzu gehören vor allem die Risikoanalyse, die Diskussion der Unternehmensstrategie sowie deren Verknüpfung mit der Vergütung. Bestehende, anerkannte Rahmenwerke können hierbei als Orientierung gelten, befreien aber nicht von der Pflicht, sich der unternehmensspezifischen Auswirkungen bewusst zu sein. Hilfreich ist es, wenn auch auf Aufsichtsratsebene eine klare Verantwortlichkeit bestimmt wird, die bei einzelnen Personen oder auch Ausschüssen liegen können. Hendrik Schmidt, Corporate Governance Analyst bei der DWS und Christina Bannier, Professorin für Banking und Finance an der Justus-Liebig-Universität Gießen