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Negativzinsen: Auch für den Mittelstand ein Thema!

Börsen-Zeitung, 24.4.2015 Ein Gespenst geht um in Europa: der Negativzins. Die EZB hat es vorgemacht: Damit die Banken, die sich auf den Kapitalmärkten mit billigem Geld versorgen können, dieses nicht ihrerseits wieder bei der EZB parken, kostet...

Negativzinsen: Auch für den Mittelstand ein Thema!

Ein Gespenst geht um in Europa: der Negativzins. Die EZB hat es vorgemacht: Damit die Banken, die sich auf den Kapitalmärkten mit billigem Geld versorgen können, dieses nicht ihrerseits wieder bei der EZB parken, kostet eine solche Anlage seit letztem Jahr Geld. Negativzinsen nennt die Finanzwelt das – ein Begriff, der nicht so hart klingt wie Strafgebühr oder Kostenpauschale, aber im Grunde genau das ist.Mit Zinsen, die ein Kapitalgeber erhält, damit ein Dritter mit seinem Kapital arbeiten kann, hat der Sachverhalt jedenfalls nichts mehr zu tun. Und was die EZB vormacht, wiederholen manche Banken gegenüber ihren Geschäftskunden: Wer Geld anlegt, der erhält keine Zinsen mehr, sondern zahlt welche. Es wird im wahrsten Sinne des Wortes kein großer Wert mehr auf Einlagen gelegt. Verkehrte Welt. Ein wenig gespenstisch eben. Die halbe WahrheitAllenthalben wird versichert, dass private Kunden davon nicht betroffen sein werden. In der Tat: Negativzinsen werden in Deutschland bislang nur vereinzelt für große Unternehmen oder institutionelle Anleger bei der kurzfristigen Anlage von größeren Summen in Rechnung gestellt. Aber die Behauptung, der Mittelstand sei von Negativzinsen nicht betroffen, ist nur die halbe Wahrheit. Selbst wenn einem mittelständischen Unternehmer keine Negativzinsen direkt berechnet werden, zu spüren bekommt er sie als Teil einer langen Phase der faktischen Zinslosigkeit auf jeden Fall. Und diese Folgen sind vielschichtiger, als man auf den ersten Blick meint.Denn gerade der Mittelstand muss sich in fast allen Bereichen der Unternehmensführung mit den Auswirkungen der Niedrigzinsphase befassen. Die Herausforderungen liegen auf der Hand: Finanzierungsstrategien, Liquiditätshaltung, mittelfristige Anlagen, Mieten, Einkaufskonditionen – auf allen Ebenen müssen Entscheidungen auf den Prüfstand.Was heißt das konkret? Risiken lassen sich beispielsweise reduzieren, indem Einlagen breiter als bisher üblich gestreut werden. Dabei ist generell zu überdenken, wie liquide Mittel kurz- und mittelfristig angelegt werden können, wenn es auf den für Mittelständler üblichen Festgeldkonten nichts mehr zu holen gibt. Und überhaupt: Wie ist das Verhältnis von Fremd- und Eigenkapital sinnvollerweise neu zu justieren? Welchen Sinn machen Leasingverträge, wenn es so günstige Darlehen gibt?Das alles zu durchdringen, erfordert Zeit und Expertise, die nur der Unternehmer investiert, der die Lage wirklich ernst nimmt. Wer den zusätzlichen Aufwand eines solchen “Frühjahrs-Checks” scheut, wird die Phase ohne Zinsen nicht erfolgreich bestehen – jedenfalls nicht so erfolgreich wie die Wettbewerber, die genau dies tun. Dass das Ende der zinslosen Zeiten nicht abzusehen ist, macht die Aufgabe noch dringlicher.Hinzu kommt für viele Unternehmer und Freiberufler ein ganz persönliches Problem: Diejenigen, die auf Lebensversicherungen gesetzt haben, müssen präzise feststellen, wie groß die Lücke in ihrer Altersversorgung ist, weil die einmal prognostizierten Erwartungen an die Auszahlungen nicht eintreten. Und es müssen womöglich Alternativen her, die sich aus anderen Anlageformen ergeben. Auch das ist eine komplexe Angelegenheit, bei der eine fachliche Beratung geboten ist.Doch neben den aktuellen Risiken ergeben sich natürlich zugleich neue Chancen, insbesondere in der Finanzierung von Investitionen zur Modernisierung oder Erweiterung. Und auch in diesem Bereich gibt es ein besonderes Mittelstandsthema: Typischerweise finanzieren kleine und mittlere Unternehmen ihre Investitionen nur widerwillig mit Fremdkapital, weil sie aus vielerlei Gründen den Weg zur Bank scheuen. HebelwirkungNun ist Vorsicht grundsätzlich kein schlechter Ansatz – aber in einer Phase, in der die Zinsen für Fremdkapital gegen null gehen und die nach allem, was wir wissen, über Jahre anhalten wird, ist auch in dieser Hinsicht ein neues Nachdenken sinnvoll. Denn die vielzitierte Hebelwirkung eines Kredits setzt natürlich viel früher an als bislang vielleicht in den alten Investitionsrechnungen angenommen. Selbst bei Projekten mit einer mittleren Renditeerwartung von wenigen Prozentpunkten lohnt sich der Einsatz von Fremdkapital, wenn das zum Beispiel nur noch ein Prozent kostet.Darüber hinaus kann eine stärkere Fremdfinanzierung zusätzliche positive steuerliche Effekte erzielen, da die Fremdkapitalzinsen als Betriebsausgabe gelten. Wer dann noch vorsichtig bleibt und in seinen Planungen berücksichtigt, dass die zinslose Phase auch wieder vorbeigeht, der kann jetzt wichtige Weichen für eine erfolgreiche unternehmerische Entwicklung stellen.Abschließend noch ein Blick auf die Steuerpolitik. Hier gibt es ebenfalls neue Baustellen, die gerade für den Mittelstand von Bedeutung sind. Zu nennen ist vor allem die ungeklärte steuerliche Einordnung von Negativzinsen in die Ertrags- bzw. Einkommensteuern. Am ehesten trifft die steuerliche Einordnung als Gebühr zu. Denn es geht darum, dass eine Geldanlage aus Sicht der Bank zurzeit keinen zählbaren Nutzen mehr bringt, während der Kunde wenigstens Interesse an einer sicheren Verwahrung seines Geldes hat. Dafür zahlt er eine Gebühr, die in Form eines negativen Zinssatzes ausgedrückt wird. Ob diese jedoch bei der Gewinnermittlung als Betriebsausgabe in Abzug gebracht werden könnte, ist grundsätzlich offen.Insbesondere im Hinblick auf den Mittelstand sind solche Fragen rechtzeitig zu klären, und zwar selbst dann, wenn Negativzinsen bislang nicht anfallen. Ansonsten ist gerade im Mittelstand mit Verunsicherungen zu rechnen, die niemand gebrauchen kann. Keiner hat es gerne mit Gespenstern zu tun.—-Prof. Dr. W. Edelfried Schneider ist Deputy-President des europäischen Wirtschaftsprüferverbands FEE (Fédération des Experts-Comptables Européens) sowie Geschäftsführer von HLB Deutschland, einem Netzwerk unabhängiger Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften.——–Von Edelfried SchneiderDer Mittelstand muss sich in fast allen Bereichen der Unternehmensführung mit den Effekten der Niedrigzinsphase befassen.——-