GASTBEITRAG

Neue Anforderungen an die Vorstandsvergütung

Börsen-Zeitung, 4.8.2016 Kein Themenfeld im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) war bislang stärkeren Veränderungen unterworfen als die Ausgestaltung der Vorstandsvergütung. Seit 2009 fordert der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Angemessenheit...

Neue Anforderungen an die Vorstandsvergütung

Kein Themenfeld im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) war bislang stärkeren Veränderungen unterworfen als die Ausgestaltung der Vorstandsvergütung. Seit 2009 fordert der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) die Ausrichtung der Vergütung auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung und eine mehrjährige Bemessung ein. Hintergrund war die Finanzkrise, als deren Ursache der Gesetzgeber unter anderem kurzfristig ausgerichtete Anreize ausgemacht hatte. Aus diesem Grund sollten mehrjährige, nachhaltige Anreize hinzugefügt werden. Und die Kodex-Kommission erwägt aktuell weitere Anpassungen. Vorwärts, nicht rückwärtsFür die Kommission sei es selbstverständlich, so der Vorsitzende des Gremiums Manfred Gentz, dass diese gesetzlich geforderte Mehrjährigkeit in der variablen Vergütung grundsätzlich in die Zukunft gerichtet sein müsse. Eine solche Interpretation geht bislang jedoch aus der entsprechenden Empfehlung zur mehrjährigen Erfolgsbemessung im DCGK nicht eindeutig hervor, weswegen sowohl vergangenheits- als auch zukunftsorientierte variable Vergütungsmodelle existieren.Was unterscheidet ein vergangenheits- von einem zukunftsgerichteten Modell? Ein vergangenheitsorientiertes Modell bemisst die relevanten Kennzahlen für das aktuelle Geschäftsjahr und für mehrere abgelaufene Geschäftsjahre entweder im Durchschnitt oder kumuliert. Es erfolgt eine jährliche Auflage sowie Auszahlung einzelner Tranchen. Ein Teil des Bemessungszeitraums ist bei Zielsetzung somit bereits bekannt. Im Gegensatz dazu liegen bei einem zukunftsgerichteten Modell zwischen Zieldefinition sowie Auszahlung mehrere Jahre. Zielerreichungen vergangener Geschäftsjahre spielen in der Vergütungsfindung keine Rolle.Generell gelten vergangenheitsorientierte Vergütungssysteme als pragmatische Umsetzung der gesetzlich geforderten Mehrjährigkeit. Sollte zukünftig allerdings nur noch eine zukunftsgerichtete Variante von kennzahlenbasierten Boni zulässig sein, so würden die betroffenen Unternehmen ihre Vergütungssysteme überprüfen und vielfach Änderungen vornehmen. Im Dax beträfe dies in etwa jedes zehnte Unternehmen, im MDax sogar etwa jedes dritte. Kernproblem nicht gelöstEin Kernproblem löst dies jedoch nicht, denn beiden Modellen ist gemein, dass bei einer kumulierten oder durchschnittlichen Bewertung mehrerer Jahre der Zusammenhang zwischen dem Erfolg im Jahr der Auszahlung (teilweise) von der Höhe der Auszahlung entkoppelt wird. Sobald nämlich ein zukunftsgerichteter Long Term Incentive jährlich gewährt wird und nach einer gewissen Zeit auch jährlich Auszahlungen hieraus resultieren, ist der Effekt in beiden Fällen der gleiche: Es tritt jeweils eine Glättung ein, sowohl in wirtschaftlich erfolgreichen als auch in weniger erfolgreichen Jahren. In Zeiten mit Rekordergebnissen verhindern sie ein stark ansteigendes Vergütungsniveau. In schlechten Zeiten führen sie mitunter zu einem öffentlichen Aufschrei der Empörung. In solchen Fällen wird dann vielfach reflexhaft die Forderung nach einer vollständigen Streichung variabler Vergütung laut.Einen direkten Zusammenhang zwischen Erfolg und Vergütung können nur einjährige variable Vergütung und mehrjährige aktienbasierte Vergütung, zum Beispiel in Form einer aufgeschobenen und in (virtuelle) Aktien überführten Bonuszahlung, gewährleisten. Eine ausschließlich einjährige variable Vergütung ist jedoch weder aktienrechtlich zulässig noch von der Kodex-Kommission gewünscht, und aktienbasierte Vergütungsinstrumente werden von einigen Unternehmen aufgrund ihrer oft hohen Komplexität bewusst nicht gewählt.Was bleibt dem Aufsichtsrat als für die Vorstandsvergütung verantwortlichem Gremium zu tun? Unternehmen sind gefordert, Lösungen zu finden, die einerseits den regulatorischen Anforderungen entsprechen und andererseits zu der strategischen Ausrichtung sowie Unternehmenskultur passen. Hierbei muss die Frage der vergangenheits- oder zukunftsorientierten Perspektive nicht die entscheidende sein. In der Praxis deutscher Konzerne wird die gesetzlich geforderte Nachhaltigkeit meist ausschließlich mit “mehrjähriger Erfolgsmessung” übersetzt. Oft wäre es aber der Mühe wert, stattdessen gezielt solche Kenngrößen heranzuziehen, die Nachhaltigkeit für das jeweilige Unternehmen reflektieren und spezifisch auf das Geschäftsmodell und den langfristigen Erfolg ausgerichtet sind.Finanzielle Kennzahlen dominieren heute die Ausgestaltung der Long Term Incentives in den großen börsennotierten Unternehmen. Alternativ könnten zukünftig jedoch auch andere Dimensionen wichtiger werden. Zu denken ist zum Beispiel an mitarbeiterbezogene Kennzahlen, wie bestimmte Ziele im Hinblick auf die Beschäftigung, Qualifikation oder Flexibilität der Belegschaft. Oder auch an Kriterien, die die gesellschaftliche Akzeptanz der Unternehmensaktivitäten, die sogenannte License to Operate, reflektieren.Die aktuelle öffentliche Positionierung der Regierungskommission, dass zukünftig nur noch zukunftsgerichtete Vergütungsmodelle im Einklang mit den Empfehlungen des Kodex sein sollen, scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar. Dass hierdurch jedoch Auszahlungen aus erfolgsorientierten Vergütungskomponenten verhindert werden, die nicht zum Erfolg des aktuellen Geschäftsjahres passen, ist nicht zu erwarten. Die Kodex-Kommission sollte aus diesem Grund auch andere Optionen prüfen, wie die aktuellen Empfehlungen zur Vorstandsvergütung weiterentwickelt werden können. Zug nach obenIn diesem Zusammenhang sollte auch erwähnt werden, dass neue Anforderungen an die Ausgestaltung der Vergütungssysteme erfahrungsgemäß zu steigenden Vergütungsniveaus beitragen, da bestehende Verträge nur im Einvernehmen mit den Vorstandsmitgliedern geändert werden können. Neugestaltete oder umgestaltete Systeme sehen daher in aller Regel einen Aufschlag vor. Dieser potenzielle Nebeneffekt dürfte von der Kodex-Kommission nicht beabsichtigt sein, könnte aber indirekt die öffentliche Diskussion des Themas weiter befeuern.—-Michael Bursee, Vergütungsexperte und Partner bei Ernst &Young (EY)