PATENTE

Neue Kriegsschauplätze

Kaum jemals wurde eine Branche binnen eines Jahrzehnts derart auf den Kopf gestellt wie im Handy- und Mobilfunksektor. Auf dem globalen Handy-Markt fand ein beispielloses Stühlerücken statt, bei dem praktisch alle namhaften Player einer Garde von...

Neue Kriegsschauplätze

Kaum jemals wurde eine Branche binnen eines Jahrzehnts derart auf den Kopf gestellt wie im Handy- und Mobilfunksektor. Auf dem globalen Handy-Markt fand ein beispielloses Stühlerücken statt, bei dem praktisch alle namhaften Player einer Garde von Newcomern weichen mussten, die weder von der Handy-Produktion noch von Mobilfunkinfrastruktur die geringste Ahnung hatten. Die US-Giganten Apple und Google eroberten den Markt mit neuen innovativen Geräten – Smartphones, deren Herzstück ihre Software ist.Der Siegeszug von iPhone und Co. drängte nicht nur den einst unangefochtenen Handy-Weltmarktführer Nokia aus dem Geschäft, auch die einstige Nummer 2 der Branche Motorola verschwand von der Bildfläche, die ehemalige SonyEricsson kämpft bei Sony ums Überleben, selbst der Smartphone-Pionier Blackberry ist ein Schatten seiner einstigen Größe. Bei den Netzausrüstern sieht es kaum anders aus: Nortel Networks ist bankrott, Alcatel-Lucent bei Nokia untergeschlüpft, Ericsson im verzweifelten Abwehrkampf.Geschlagen oder angeschlagen auf dem großen Schlachtfeld um die Kunden haben jedoch alle diese Unternehmen, die über Jahrzehnte Milliarden in Forschung und Entwicklung investiert haben, den Wert ihrer zahlreichen Industriepatente erkannt und hier einen neuen (Neben-) Kriegsschauplatz eröffnet.Dabei geht es um weit mehr als den jahrelang öffentlichkeitswirksam von Apple und Samsung ausgetragenen Streit, der in der Frage gipfelte, ob Samsung “einfach” das Handy-Design der Kultfirma aus Cupertino kopiert hat. Nokia hatte mit Bedacht beim Verkauf des Handy-Geschäfts an Microsoft die Patente herausgelöst und sie zum Nukleus eines neuen Wachstumsgeschäfts (!) gemacht, auch Ericsson setzt große Hoffnungen auf wachsende Einnahmeströme aus dem aus eigener Sicht größten Patentportfolio der Branche. Dass die Unternehmen dabei die – teils äußerst aufwendige – Aufgabe des Patentschutzes und der Lizenzierungspraxis an eigens dafür gegründete Firmen ausgelagert haben, mag für Apple und andere ein Ärgernis sein. Dennoch ist das Geschäftsmodell der als “Patent-Trolle” bezeichneten Unternehmen nicht per se angreifbar.Ob dabei im Einzelfall unlauter getrickst wird, um die Patenteinnahmen zu erhöhen, wie der Vorwurf von Apple an Nokia lautet, müssen die Gerichte klären. Dass der globale Umsturz einer jahrzehntelang fest gefügten und kapitalintensiven Branche derlei Nachwehen zeigt, kann jedoch nicht überraschen. Auch Apple und Google können ihre Imperien nicht aus dem Nichts aufbauen.