GASTBEITRAG

Neue Regeln, altes Leid

Börsen-Zeitung, 1.3.2016 Die Bilanzstandards IFRS und US-GAAP sollten sich endlich annähern. Wie wenig von dieser Idee übriggeblieben ist, zeigen die neuen US-Leasingregeln. Deutsche Unternehmen, die am amerikanischen Kapitalmarkt aktiv sind,...

Neue Regeln, altes Leid

Die Bilanzstandards IFRS und US-GAAP sollten sich endlich annähern. Wie wenig von dieser Idee übriggeblieben ist, zeigen die neuen US-Leasingregeln. Deutsche Unternehmen, die am amerikanischen Kapitalmarkt aktiv sind, bekommen die Folgen zu spüren.Es gibt bekanntlich einige kulturelle Unterschiede zwischen Europa und den USA – von der Kulinarik bis hin zu der Frage, warum die Amerikaner das Wort “Football” für eine Sportart zweckentfremden, die in erster Linie mit den Händen ausgeübt wird. Fragt man nun aber einen Bilanzbuchhalter, wo aus seiner Sicht der wichtigste Kulturbruch zwischen alter und neuer Welt liegt, dann kann für ihn die Antwort nur lauten: in der Rechnungslegung! Zwei StandardsTatsächlich ist es schwer, einen rationalen Grund dafür zu finden, warum US-Konzerne seit jeher nach anderen Standards bilanzieren als der Rest der Welt. Darum traf der zur Jahrtausendwende formulierte Plan, den IFRS-Standard und das US-GAAP endlich anzugleichen, sowohl unter Managern als auch unter Bilanzierungsexperten auf breite Zustimmung. Wie wenig von dieser hehren Idee letztlich aber übriggeblieben ist, zeigt sich dieser Tage bei der Neuformulierung der Leasingstandards. Denn die künftigen US-Regeln, die in dieser Woche vorgestellt werden sollen, dürften in einigen entscheidenden Punkten vom bereits Mitte Januar präsentierten IFRS 16 abweichen.Der Reihe nach: Bislang ist es so, dass Unternehmen die meisten Leasinggüter außerhalb der Bilanz führen – und zwar beiderseits des Atlantiks. Das reicht von den Maschinen bis hin zur IT-Ausstattung. Und von den gemieteten Immobilien bis hin zur Fahrzeugflotte. Dahinter steht die Argumentation, dass das Leasing in der Regel eher dem “Mieten” als dem “Kaufen” gleichkomme (Operation Leasing). Die Folgen dieser seit jeher umstrittenen Auslegung gehen so weit, dass die Off-Balance-Positionen bei manchen Großkonzernen inzwischen mehrere Milliarden Euro ausmachen. Besonders kurios: In den Bilanzen vieler Airlines fehlen zum Beispiel die Flugzeuge. Dieser Praxis schiebt das IASB, also das Gremium, das die Regeln der internationalen Rechnungslegung vorgibt, nun einen Riegel vor.So schreibt der neue IFRS-16-Standard hiesigen Unternehmen von 2019 an vor, die Nutzungsrechte praktisch aller geleasten Güter als Vermögenswerte in den Aktiva auszuweisen – und auf der Passivseite entsprechende Verbindlichkeiten zu bilden. Die Verschuldungsquote vieler Firmen dürfte dadurch merklich steigen. Eigentlich war man nun davon ausgegangen, dass das FASB – also das amerikanische Pendant zum IASB – es genauso handhabt. Tatsächlich folgen die Amerikaner den Europäern weitgehend, was die eigentliche Bilanz betrifft. Nicht aber, was die Gewinn-und-Verlust-Rechnung (GuV) angeht. Gravierende EffekteEine technische Petitesse? Eher nicht. Die nahezu vollständige Bilanzierung von Leasinggütern hat nämlich auch auf die GuV gravierende Auswirkungen. So gilt es gemäß IFRS 16 in Zukunft für jeden Leasingvertrag sowohl die laufenden Abschreibungen als auch den Zinsaufwand zu berücksichtigen – und zwar progressiv: In den Anfangsjahren ist die Belastung also besonders hoch. Genau dies wollen die US-Regelsetzer “ihren” Unternehmen indes – zumindest teilweise – ersparen. Stattdessen soll den Firmen weiterhin die Möglichkeit eröffnet bleiben, die Belastung über die komplette Nutzungsdauer des Leasingguts gleichmäßig geltend machen dürfen. Wie geht das? Nach US-GAAP ist weiterhin auch für Leasingnehmer eine Klassifizierung vorzunehmen. In Abhängigkeit von der Klassifikation liegt in der GuV ein Frontloading-Effekt oder eben der lineare Aufwand vor. Die heute schon möglichen Strukturierungen bleiben nach US-GAAP für die GuV damit bestehen. Vier BilanzweltenIch würde nicht so weit gehen, darin einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil für hiesige Unternehmen zu sehen. Ärgerlich ist etwas anderes – nämlich der absehbare Mehraufwand, der zum Beispiel auf deutsche Unternehmen zukommt, die einen Abschluss nach US-GAAP aufstellen müssen. Denn in diesem Fall sind die Finanzvorstände ja angehalten, nicht nur einen Abschluss nach dem IFRS-Standard, sondern auch einen nach US-GAAP zu erstellen. Rechnet man dann noch den HGB-Abschluss für die Einzelgesellschaft und die Steuerbilanz hinzu, dann bewegen sich manche CFOs künftig in vier verschiedenen Bilanzwelten – ziemlich absurd.Es mag ja im Sinne der Vielfalt begrüßenswert sein, dass es nicht nur einen “Football” gibt, sondern zwei. Was die Bilanzierung betrifft, könnten wir hingegen mit einem Regelwerk sehr gut leben.—-Rüdiger Loitz, Leiter Capital Markets & Accounting Advisory Services bei PwC