Neuer SIM-Standard mischt den Mobilfunk auf

Einführung der eSIM für 2016 geplant - Internet der Dinge im Fokus - Deutsche Telekom stellt neue Produkte in Aussicht - Wettbewerbsdruck steigt

Neuer SIM-Standard mischt den Mobilfunk auf

Die SIM-Karte soll durch eine umprogrammierbare Version flexibler werden: Gerätehersteller und Netzanbieter sprechen über einen globalen Standard, der das Internet der Dinge voranbringen soll. Die Deutsche Telekom stellt neue Produkte für 2016 in Aussicht. Damit lassen sich alle möglichen Endgeräte bis hin zu Smart-watch und Auto verbinden. Doch dürften die Roamingeinnahmen im Ausland dadurch weiter unter Druck geraten.Von Dietegen Müller, FrankfurtEs ist eine stille Revolution. Seit Monaten sprechen Netzanbieter und Gerätehersteller über einen neuen Standard für das Kernstück im Mobilfunk, die SIM-Karte. Doch nach außen dringen kaum Informationen. Zuletzt hieß es, Samsung und Apple würden einen Standard mit Netzbetreibern anstreben – was überrascht, da Apple bisher eigene Wege gegangen ist. Schon 2016 könnte eine umprogrammierbare SIM-Karte, die sogenannte eSIM, in den Markt gelangen und die alten, herausnehmbaren Karten ablösen.”Wir gehen derzeit davon aus, dass der eSIM-Standard 2016 eingeführt wird und die Telekom die ersten Produkte mit eSIM in den Markt bringen wird”, sagte eine Sprecherin der Deutschen Telekom dazu auf Anfrage der Börsen-Zeitung. Sie bestätigte laufende Gespräche mit der GSMA, der Interessenvertretung von Mobilfunkanbietern, Geräteherstellern und Infrastrukturanbietern.Der Mobilfunkanbieter Vodafone verwies auf Aussagen der GSMA und äußerte sich nicht, ob 2016 eigene eSIM-Produkte in den Markt kommen. Telefónica sagte auf Anfrage nur, es werde derzeit “ein interoperabler Ansatz entwickelt und in branchenweiten Pilotversuchen erprobt”.Für den Schweizer Marktführer Swisscom bietet die eSIM “viele Vorteile, etwa im Bereich der Kommunikation zwischen Geräten und Maschinen (M2M), wo ein Tausch der SIM-Karten hohe Kosten verursacht.” Swisscom fügt hinzu: “Der Markt wird sich dahin gehend bewegen, dass nicht nur wir als Mobilfunkanbieter, sondern auch Kunden und Gerätehersteller in puncto Flexibilität von der Umstellung profitieren werden.” Deswegen sei der Konzern mit mehreren Herstellern im Gespräch, obwohl die Standardisierung der Technologie noch nicht abgeschlossen sei. Neues WachstumspotenzialDie Industrievereinigung GSM Association, in der Netzbetreiber wie Telekom, Vodafone oder Telefónica vertreten sind, arbeitet seit März daran, zusammen mit SIM-Karten-Anbietern eine gemeinsame und globale Spezifikation für die eSIM zu schaffen, wie sie auf Anfrage erklärte. Dadurch werden die Standard-, Micro- und Nano-SIM-Karten sowie eigene Standards von Kartenherstellern abgelöst.Für die Smartphone- und Gerätehersteller biete sich damit die Möglichkeit, den globalen Markt “schneller zu erschließen”, besagt eine von der GSMA in Auftrag gegebene Studie von Beecham Research. Auch der Mobilfunkmarkt insgesamt würde im Bereich der Datenkommunikation zwischen Geräten – des “Internets der Dinge” – mehr Wachstumspotenzial haben. In der sogenannten Maschine-zu-Maschine-Kommunikation sieht Beecham bis 2020 ein Erlöspotenzial von 9 Mrd. Dollar, davon 5,9 Mrd. Dollar im Bereich Automotive und 1,3 Mrd. Dollar im Bereich Konsumelektronik.Der Mobilfunkmarkt steht damit vor einschneidenden Veränderungen. Denn eine technische Neugestaltung der SIM hat nicht nur für das Segment der Geschäftskunden, in dem das Internet der Dinge vor allem spielt – also etwa im Automobil- oder Logistikmarkt – Folgen. Auch im Privatkundengeschäft zeichnen sich neue Möglichkeiten und eine Verstärkung des Wettbewerbs ab.Dies ist aber davon abhängig, inwieweit die eSIM neue Wahlmöglichkeiten für die Nutzer zulässt. Die SIM – das Subscriber Identity Module – ist für Mobilfunkbetreiber der Schlüssel zum Kunden, da auf ihr Vertragsdaten und Rechte gespeichert sind. Umgekehrt ist die SIM bisher für den Kunden das Mittel der Wahl, um den Netzbetreiber oder Tarif festlegen zu können. Durch den Wechsel der – physischen – SIM-Karte kann ein anderer Anbieter ersetzt werden, und vorteilhaftere Tarife etwa im Ausland lassen sich nutzen. Google und Apple im AngriffConstantin Völkel von der Unternehmensberatung Altran sagt, es sei denkbar, dass bei Reisen ins Ausland für den Nutzer der Wechsel des Anbieters künftig über das Smartphone-Menü einfacher möglich ist. “Übrigens auch im Inland”, fügt er im Gespräch hinzu. Die Mobilfunkbetreiber halten sich mit Aussagen dazu bedeckt. Vodafone sagt auf Anfrage, es gelte erst “auszuloten”, was dies für das Privatkundengeschäft bedeute. Der Konzern sieht sich mit anderen Anbietern als treibende Kraft für die Einführung eines eSIM-Standards und will den Markt “aktiv mitgestalten”. Im Hintergrund spielt hier auch die Initiative etwa von Google oder Apple hinein, die überlegen, mit einer eSIM eigene Handytarife anzubieten, und die damit zu neuen Wettbewerbern der Netzbetreiber würden.Die Telekom-Tochter T-Mobile US hat schon 2014 eine eSIM eingeführt und wirbt mit beträchtlichen Einsparungen bei Roamingkosten für Flottenbetreiber, die zwischen den USA und Kanada unterwegs sind. T-Mobile US ist mit Sprint, AT & T, GigSky und Everything Everywhere auch ein Partner der sogenannten Apple-SIM. Der Elektronikriese hat diese in einigen Endgeräten, nicht jedoch im iPhone auf den Markt gebracht. Mit der Apple-SIM kann der Nutzer in den USA und Großbritannien aus dem jeweils günstigsten Tarif der aufgeschalteten Vertragspartner auswählen. In der EU fallen Roamingkosten durch die weitgehende Abschaffung (vgl. BZ vom 1. Juli), deshalb ist dieses Thema weniger relevant. Die Telekom verweist auf bereits bestehende internationale Flatrates.Sicher ist, dass durch die eSIM der Nutzer, wenn es ihm die Gerätehersteller oder Netzanbieter erlauben, einfacher zwischen Anbietern oder Tarifen wechseln kann. Die eSIM macht eine parallele Tarifnutzung ohne den Wechsel des Gerätes oder der SIM-Karte rein technisch möglich. Doch für die Mobilfunkbetreiber geht es um etwas anderes. Sie sind vielfach in gesättigten Markten unterwegs und suchen neue Einnahmequellen. Die zunehmende Digitalisierung von Lebensbereichen – Stichwort vernetzte Autos oder Smartwatches – verspricht Wachstum im Datengeschäft. Diese Maschine-zu-Maschine-Kommunikation (M2M) funktioniert aber nur, wenn verschiedenste Endgeräte auch grenzüberschreitend miteinander kommunizieren können: Ein globaler Standard ist nötig. Damit verbunden ist der Wunsch nach mehr Zugriffsrechten.Die Frage, welche Spezifikationen die fest verbaute SIM künftig haben wird und bis zu welchem Grad sie denn “umprogrammierbar” sein wird, lässt sich heute noch nicht beantworten. Die GSMA erklärt, es gehe darum, die “Marktfragmentierung” zu verringern und Konsumenten zu ermöglichen, SIM-Karten zu aktivieren, die in verschiedensten tragbaren Endgeräten vorhanden sind, und zwar mit dem Mobilfunkanbieter ihrer Wahl – dies deutet auf ein offenes Verständnis der eSIM hin. Bisher erst national gedachtDie Telekom sagte dazu, auf der Mobilfunkmesse in Barcelona im März habe das Unternehmen erste Vorstellungen für die Nutzung der eSIM in einem nationalen Markt aufgezeigt. Hinsichtlich Apple heißt es nur, es werde generell die beste Lösung für die Kunden gesucht. Sollte Apple nun wie kolportiert auf den GSMA-Standard umschwenken, dürfte die Apple-SIM wohl überflüssig werden. Branchenkreisen zufolge hat sie sich bisher auch nur schleppend verbreitet.Die eSIM hat das Potenzial, den Mobilfunkmarkt aufzumischen, da sie eine viel größere Flexibilität in der Nutzung, aber auch von Anbieterseite ermöglicht und damit auch neue Geschäftsmodelle erleichtern dürfte. Der Wettbewerbsdruck im Markt dürfte durch die eSIM zunehmen, ebenso die Diskussion darüber, wer die Hoheit über die auf der SIM gespeicherten Daten haben darf. Dies wird auch von der Art der Produkte abhängen, die auf den Markt kommen: Der Verteilungskampf im Mobilfunk wird neue Kooperationen für Netzbetreiber und Gerätehersteller erforderlich machen.