Next47 knüpft an Gründungsmythos an
Serie – So finanziert Deutschland Wachstum: Siemens (5)
Next47 knüpft an Gründungsmythos an
Venture-Capital-Gesellschaft von Siemens soll disruptive Innovationen finden – Capital Team umfasst 18 Personen – Wenige neue Beteiligungen seit Ende 2022
Innovation spielt für Siemens eine zentrale Rolle. Der Konzern hat daher im Oktober 2016 eine eigene Einheit an den Start geschickt, die die Zusammenarbeit mit Start-ups intensivieren soll. Next47 scheint zuletzt an Schwung eingebüßt zu haben. Zumindest geht die Zahl neuer Beteiligungen zurück.
Von Michael Flämig, München
Zuletzt erschienen: Merck: M Ventures setzt finanzielle und strategische Ziele (30.7.)
Innovation ist der Motor der Siemens-Aktivitäten. Im laufenden Geschäftsjahr werden die Münchner voraussichtlich mehr als 6 Mrd. Euro in Neuerfindungen stecken. Das sind rund 8% des Umsatzes. Mit der Gründung von Next47 im Oktober 2016 wollte der Konzern sich eine weitere Innovationsebene erschließen. Das Ziel: Die Zusammenarbeit mit Start-ups auf eine viel höhere Ebene zu heben.
Drei „C“ als Ziel
Mit dem Namen Next47 knüpft Siemens an den Gründungsmythos im Jahr 1847 an. Im Jahr 2016 kündigte der damalige Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser an, dass die eigenständige Einheit das bisherige Engagement für Start-ups bündeln, Innovationen vorantreiben und Impulse für einen unternehmenskulturellen Wandel setzen werde. Siemens wage mit Next47 „einen spannenden Vorstoß für disruptive Innovationen“.
Lakshmikanth Ananth, der seit der Gründung als General Manager die Venture-Capital-Einheit leitet und dessen Vorname meist mit Lak abgekürzt wird, hatte sich 2016 drei „C” auf die Fahne geschrieben. Erstens als Investor dort investieren, wo Innovationen stattfänden („Capital”). Zweitens als aktiver Anleger ein Treibhaus für das Aufblühen von Ideen bereitstellen („Create”), und drittens den Start-ups einen Anknüpfungspunkt an Siemens bieten. Diese wollten zwar die Kraft des Konzerns anzapfen, sich aber nicht mit dessen Komplexität herumschlagen („Catalyst“), erklärte Ananth.
Budget von 1 Mrd. Euro
Siemens ließ sich dafür nicht lumpen. Für die ersten fünf Jahre stellte der Konzern ein Budget von 1 Mrd. Euro zur Verfügung. Fünf Innovationsfelder wurden anfangs identifiziert: künstliche Intelligenz, dezentrale Elektrifizierung, autonome Maschinen, Blockchain-Anwendungen und vernetzte (E-)Mobilität. Später kamen unter anderem noch 3D-Druck, Robotik und Drohnen sowie virtuelle Realität hinzu.
Next47 erklärt heute, man konzentriere sich auf Unternehmen in der Früh- und Expansionsphase, die in den Vereinigten Staaten, Europa, Israel und Indien ansässig seien: „Künstliche Intelligenz ist ein Hauptinteressengebiet, wobei ein umfassender Ansatz verfolgt wird, der die Anwendungsebene, die Infrastruktur, den Datenstapel, die Cybertechnik, die Robotik und Systeme umfasst.“
Als erfolgreiche Investitionen hebt Next47 hervor: den cloudbasierten Außendienstmanager Build Ops, den digitalen Güterverkehrslogistiker Sennder, den Drohnenhersteller Skydio, den Wartungsspezialisten Tractian, den Deep-Learning-Spezialisten Vast Data und das Gebäudesicherheitsunternehmen Verkada.
Kaum harte Fakten
Acht Jahre nach der Gründung ist schwerlich erkennbar, inwieweit Next47 die gesetzten Ziele erreicht oder eben verfehlt hat. Das kumulierte Investitionsvolumen wird nicht genannt. Harte Fakten liefert die Einheit kaum. 18 Personen sind im sogenannten Capital Team aktiv, sie sind auf die sechs Standorte Palo Alto, London, München, Berlin, Paris und Tel Aviv verteilt. Aber auch in München war in den vergangenen Jahren nicht zu vernehmen, dass man wichtige Innovationen dem Netz47-Netzwerk zu verdanken habe.
Siemens-Finanzvorstand Ralf Thomas betont dennoch, Next47 fungiere als Seismograf und Frühindikator für Innovationen, die für die Siemens-Kunden relevant seien oder werden könnten. „Die Zusammenarbeit mit Start-ups ermöglicht es uns, Trends und disruptive Entwicklungen frühzeitig zu erkennen“, lässt er sich zitieren. Dabei gewinne Siemens mit Next47 wertvolle Erkenntnisse, die dem Konzern bei der Ausrichtung seiner Build-, Buy- und Partnerstrategien hilfreich seien: „So können wir als Technologieführer die Zukunft der Branche weiterhin aktiv mitgestalten.“
Fünf Unternehmen verkauft
Die Homepage von Next47 listet aktuell 47 Beteiligungen auf. Dabei fällt auf, dass das Tempo von Investitionen in neue Firmen zuletzt signifikant gesunken ist. Im Jahr 2023 wurde mit Radiant Security lediglich eine neue Beteiligung eingegangen, im laufenden Jahr steht mit Skylo ebenfalls nur ein Anteilskauf zu Buche. Selbst im Startjahr 2017 wurden mit zwei Engagements mehr Investitionen gemeldet. In den Folgejahren waren es neun, zehn, acht, neun und im Jahr 2022 dann sieben Partnerschaften.
Bei einem Teil der 47 Beteiligungen scheint Next47 nicht mehr oder nur eingeschränkt engagiert zu sein, so dass rund 40 aktuelle Beteiligungen übrigbleiben. Aeva und Markforged gingen an die Börse, fünf weitere Unternehmen wurden laut Next47-Homepage verkauft: Deepscale an Tesla (2019), Rideos an Gopuff (2021), Turvo an Lineage Logistics (2022), Armorblox an Cisco (2023) und Noname an Akamai (2024).
578 Mill. Euro Wagniskapital
Über die investierten Summen veröffentlicht Siemens nur rudimentäre Daten. Der Geschäftsbericht 2022/2023 enthält eine Summe der Wagniskapitalbeteiligungen, die größtenteils von Next47 gestellt werden – allerdings dürfte die eigenständige Gesellschaft Next47 nach einem anderen Maßstab bilanzieren. Der Betrag sank demnach im vergangenen Turnus von 607 auf 578 Mill. Euro. Die Neuinvestitionen werden mit 156 Mill. Euro angegeben nach 221 Mill. Euro im Vorjahr. Die Verkäufe addierten sich auf 40 Mill. Euro, nachdem 2021/2022 noch 100 Mill. Euro erwirtschaftet worden sind.
Gemessen an diesen Neuinvestitionen ist Next47 unverändert aktiv. Denn im Geschäftsjahr 2018/2019, als mit zehn neuen Beteiligungen die größte Zahl in einem Kalenderjahr (2019) erworben wurde, hatten die Neuinvestitionen und Beteiligungserwerbe 153 Mill. Euro betragen – und damit auf dem Niveau 2022/2023 gelegen. Im Geschäftsjahr 2019/2020 wurden 249 Mill. Euro investiert, im Folgejahr sogar 522 Mill. Euro. Allerdings dürften hier, ebenso wie bei den Verkäufen, teils Transaktionen jenseits von Next47 eingerechnet sein.
Trainer für Siemens-Beschäftigte
Inwieweit Next47 wirtschaftlich erfolgreich ist, lässt sich aus den Geschäftsberichten nicht herausrechnen. Siemens weist in der „Überleitung Konzernabschluss“ zwar in der Spalte „Innovation“ die Ergebnisse der Einheiten Technology und Next47 aus, jedoch nur kumuliert. Technology als zentrale F&E-Abteilung ist großteils ein Aufwandsposten. Der Verlust betrug im vergangenen Geschäftsjahr 195 Mill. Euro nach 190 Mill. Euro im vorherigen Turnus.
Die Gesellschaft Next47 versteht sich darüber hinaus als „Trainer“ für jene Siemens-Beschäftigten, die mit einem Start-up-Handwerkszeug ausgestattet werden sollen. Mehr als 2.000 Mitarbeiter hätten von entsprechenden Accelerator-Programmen profitiert, bilanziert Next47. Ein Training, wie jeder Siemens-Manager wie ein Start-up-Gründer agieren könne, habe mehr als 20.000 Manager erreicht, heißt es.
„Next47 hilft uns dabei, unsere Kultur als Technologieunternehmen weiter zu stärken“, erklärt auch Finanzvorstand Thomas. Next47 arbeite Tag für Tag in der Welt der Start-ups, wo Geschwindigkeit und Fokus entscheidend seien, um schnell voranzukommen, lautet das Fazit des Managers: „Unsere Siemens-Teams profitieren von dieser Erfahrung und können so ihre vielversprechenden Ideen mit der beeindruckenden Schnelligkeit und extremen Kundenorientierung eines Start-ups anreichern.“