RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: JENS STEGER

Nichtbeachtung des Vollzugsverbots in Fusionen kann teuer werden

Weltweiter Trend: Kartellbehörden ermitteln zunehmend gegen Verstöße

Nichtbeachtung des Vollzugsverbots in Fusionen kann teuer werden

– Herr Dr. Steger, was steht hinter dem Vollzugsverbot und welche Relevanz hat es für Unternehmen?Die Europäische Fusionskontrollverordnung gibt vor, dass Zusammenschlüsse, die die maßgeblichen Umsatzschwellenwerte erreichen, bei der Kommission anzumelden und grundsätzlich von dieser freizugeben sind, bevor sie von den Zusammenschlussbeteiligten vollzogen werden. Das Vollzugsverbot ist sehr ernst zu nehmen. Die Kommission hat erst vor wenigen Tagen wieder ein Bußgeld in Höhe von 20 Mill. Euro verhängt, da zwei fusionierende Unternehmen den Zusammenschluss nach Meinung der Kommission zu spät angemeldet hatten.- Gibt es Ausnahmen vom Verbot?Ja. Es können zum Beispiel Unternehmensanteile erworben werden, ohne zuvor eine Freigabeentscheidung der Kommission abzuwarten, wenn es sich um den Erwerb der gemeinschaftlichen oder Alleinkontrolle über die Börse handelt und solange der Erwerber die mit den Anteilen verbundenen Stimmrechte nicht ausübt. Die Kommission hat jedoch kürzlich entschieden, dass diese Ausnahme nicht greift, wenn es sich um eine Übernahme handelt, die in zwei Schritten durchgeführt wird.- Welche sind das?Im ersten Schritt wird ein Aktienpaket erworben (beispielsweise vom Unternehmensgründer) und im zweiten Schritt werden auf Basis eines öffentlichen Übernahmeangebotes weitere Anteile erworben. Letzteres würde zweifellos unter die Ausnahme fallen, wohingegen Ersteres nicht unter die Ausnahmeregelung fällt, da es sich nicht um einen Anteilserwerb über die Börse handelt.- Wie bemerkt die Behörde denn, dass ein Verstoß vorliegt?Die Behörden haben vielfältige Möglichkeiten. In der Vergangenheit hat die Kommission sogar Unternehmen durchsucht, um zu überprüfen, ob diese während eines M & A-Deals gegen das Vollzugsverbot verstoßen hatten. Hierzu behauptete die Behörde, dass der Erwerber beim Management des Zielunternehmens (welches zu diesem Zeitpunkt noch Wettbewerber war) interveniert haben könnte, indem es individuelle Vereinbarungen mit Managern des Unternehmens geschlossen haben beziehungsweise Anweisungen erteilt haben könnte.- Gilt das Verbot nur für Europa?Der Verstoß gegen ein fusionskontrollrechtliches Anmeldeerfordernis und/oder das Vollzugsverbot ist ein weltweites Problem. Derzeit müssen mehr als 100 Jurisdiktionen bei einem M & A-Prozess analysiert werden. Es ist ein weltweiter Trend zu erkennen, wonach Kartellbehörden dazu übergehen, derartige Verstöße zu ermitteln und zu bebußen. Das Bundeskartellamt hat 2008 ein Bußgeld von 4,5 Mill. Euro gegen Mars verhängt, da das US-Unternehmen während der Übernahme eines US-Wettbewerbers keine Freigabe des Amtes abgewartet hat und damit gegen das Vollzugsverbot der deutschen Fusionskontrolle verstieß. Im Jahr danach verhängte die Behörde ein Bußgeld von 4,13 Mill. Euro gegen die Druck- und Verlagshaus Frankfurt a. M. GmbH, weil versäumt wurde, eine Transaktion von 2001 anzumelden. Wegen des Erwerbs eines Betriebsgrundstücks aus der Insolvenz heraus hatte das Amt 2011 ein Bußgeld von 414 000 Euro gegen den Erwerber verhängt, da er den Erwerb nicht angemeldet hatte.- Was können Unternehmen tun, damit sie kein Risiko eingehen?Verstärkte behördliche Verfolgungsbemühungen belegen die Notwendigkeit einer sehr frühzeitigen Berücksichtigung des für den M & A-Prozess geltenden Fusionskontrollrechts sowie die Notwendigkeit zur Erstellung einer belastbaren Analyse der mit der Nichtbeachtung einer Zusammenschlusskontrollanmeldung einhergehenden Risiken. Außerdem sollten auf Unternehmensseite diejenigen, die für die Planung einer Transaktion verantwortlich sind, so geschult werden, dass sie die entscheidenden Punkte identifizieren können, bevor es zu spät ist. Zudem sollten rechtzeitig Kartellrechtsspezialisten für die fusionskontrollrechtlichen Fragen zu Rate gezogen werden, um sicherzustellen, dass eine entsprechende Fusionskontrollanmeldung nicht zu Verzögerungen beim Closing einer Transaktion führt oder aber rechtzeitig eventuelle Umstrukturierungen der Transaktion berücksichtigt werden können.—-Dr. Jens Steger ist Kartellrechtsexperte bei Kaye Scholer in Frankfurt. Die Fragen stellte Walther Becker.