Noch zu viel Optimismus

Studien sagen starkes Weihnachtsgeschäft voraus - Negatives Umfeld könnte Ausgaben bremsen

Noch zu viel Optimismus

Ob an Stimmungsindikatoren von Unternehmen oder Verbrauchern, an Bestelleingängen oder am Aktienmarkt – überall ist abzulesen, dass es mit der konjunkturellen Zuversicht vorbei ist. Nur am Weihnachtsgeschäft, so die Meinung von Handelsverband und Beraterfirmen, wird die Eintrübung spurlos vorbeigehen. Von Martin Dunzendorfer, FrankfurtDer Handelsverband Deutschland strotzt vor Zuversicht. Für das Weihnachtsgeschäft, das nach der Definition des HDE den Umsatz der deutschen Einzelhändler im November und Dezember umfasst, wird ein Plus von 2 % im Vergleich zum Vorjahr vorausgesagt. Damit würde der Erlös erstmals die Marke von 100 Mrd. Euro übersteigen. Treiber wird nach Ansicht des Lobby-Verbandes abermals der Online-Handel sein. Der HDE erwartet, dass die in diesem und dem nächsten Monat über das Internet getätigten Umsätze gegenüber der Vorjahreszeit um knapp ein Zehntel auf 13,4 Mrd. Euro steigen werden, so dass 60 % des Zuwachses im Weihnachtsgeschäft aus dem Online-Geschäft kommen würde. Im Schnitt 674 Euro Der Lobby-Verband des deutschen Einzelhandels steht mit seinem ungebrochenen Optimismus beileibe nicht allein da. Im Gegenteil: Manche Umfragen ergeben ein aus Sicht des Handels noch viel helleres Bild. So wird in der gestern publizierten “Adobe Holiday Retail Survey 2018” allen Ernstes behauptet, dass die Deutschen 2018 durchschnittlich 674 Euro für Weihnachtsgeschenke ausgeben wollen; laut Adobe rund 20 % mehr als im Vorjahr.Die Befragungen fanden nicht etwa im Sommer statt, als sich zum Beispiel am Aktienmarkt – trotz vieler aufziehender dunkler Wolken (Handelsstreit, Brexit-Kakophonie, “Volksparteien”-Krise in Berlin) – die Kurse erstaunlich stabil auf hohem Niveau hielten, sondern im Oktober; zu einer Zeit also, als der Dax, um bei dem Beispiel zu bleiben, bereits 1 500 Punkte unter sein Sommerhoch gefallen war. Natürlich ist ein Aktienindex kein verlässlicher Indikator für eine bevorstehende Konjunkturflaute oder gar Rezession, aber in Verbindung mit sinkenden Stimmungsindikatoren (Ifo-Geschäftsklima, Einkaufsmanager-Indizes), schwachen Absatzzahlen (Autoindustrie) und zurückgehenden Ordereingängen (Maschinenbau) ist das ein lauter Warnschuss. Dass dieser Warnschuss von den Konsumenten in Deutschland überhört wurde, fällt schwer zu glauben. Anzeichen einer schwächeren Wirtschaftsentwicklung lassen aber ein Gefühl der Unsicherheit bis hin zur Sorge um den eigenen Job aufkommen. Wird diese Unsicherheit auch noch durch internationale Krisen verstärkt, etwa durch die Aussicht auf einen harten oder unkontrollierten Brexit, einen Konfrontationskurs Italiens mit der EU oder einen Handelskrieg zwischen den USA und China, dann werden die Verbraucher – das lehrt die Erfahrung – auf größere Anschaffungen verzichten und auf preisgünstigere Produkte umsteigen. Das gilt meist auch für Geschenke.Hinzu kommen die Risiken, die sich durch Preissteigerungsraten oberhalb von 2 % – dem Inflationsziel der EZB – ergeben, wie sie zuletzt zu sehen waren. Dies könnte, früher als erwartet, zum Beginn einer restriktiveren Geldpolitik führen. Das wäre für den Konsum verheerend, denn wenn mit immer größeren Sorgen in die Zukunft geblickt wird, bleibt das “Angstsparen” nur dann aus, wenn die Verzinsung von gemeinhin als sicher angesehenen Papieren, etwa Bundesanleihen, so niedrig ist, dass bei einem Investment real ein Vermögensverlust eintritt. Bei anziehenden Zinssätzen wäre das nicht so, was die Sparquoten erhöhen würde. Allerdings dürfte dieser Effekt erst im nächsten Jahr durchschlagen. Soziale Erwünschtheit Schwer vorstellbar, dass in dieser Gemengelage die Konsumenten ihre Weihnachtsbudgets so kräftig erhöhen wollen, wie die Studien ergaben. Denn die Verbraucher nehmen die Signale einer bevorstehenden Konjunktureintrübung viel früher und deutlicher wahr, als ihnen das vielfach unterstellt wird. Wahrscheinlicher ist daher, dass die Antworten in den Umfragen wegen ihrer sozialen Erwünschtheit erfolgten.Einen anderen Hintergrund könnten die an den HDE kommunizierten, immer noch sehr optimistischen Erwartungen der Händler haben. Durch Berichte über im Durchschnitt stark steigende Weihnachtsumsätze sollen die Verbraucher unter Druck gesetzt werden, mehr als im Vorjahr für Geschenke auszugeben. Ein Indiz für diese These ist, dass in den vergangenen zehn Jahren die Prognosen des Handelsverbandes zum Weihnachtsgeschäft im Januar – als die tatsächlichen Umsätze bekannt wurden – häufig nach unten revidiert werden mussten. Immerhin räumt der HDE vorsorglich ein, dass die Erwartungen der Unternehmen stark auseinandergehen. So seien kleinere Unternehmen deutlich pessimistischer als größere.