RECHT UND KAPITALMARKT

Plädoyer für eine Legal Judgement Rule in der Vorstandsvergütung

Chancen werden vertan, weil Vorstände persönliche Haftung befürchten

Plädoyer für eine Legal Judgement Rule in der Vorstandsvergütung

Von Alfred Kossmann *)Kaum ein juristisches Fachthema zieht so viel Interesse auf sich wie die Fragen nach den Voraussetzungen der Vorstandshaftung. Ungeklärt sind die Voraussetzungen einer Schadensersatzpflicht im Falle einer fehlerhaften Einschätzung der Rechtslage durch den Vorstand oder seine Rechtsberater. Es gibt viele Reformvorschläge zur Haftung von Geschäftsleitern. Die Mehrzahl der Abhandlungen spricht sich dafür aus, die Haftung von Managern zu begrenzen. Die hier gestellte Forderung nach einer Erweiterung der Business Judgement Rule (BJR) um eine Legal Judgement Rule (LJR) für rechtlich geprägte Entscheidungssituationen passt in dieses Bild. AusgangspunktAusgangspunkt der BJR ist, dass Organmitglieder (also auch Aufsichtsräte) davor geschützt werden sollen, für unternehmerische Entscheidungen zu haften, die sich im Nachhinein für das Unternehmen als nachteilig herausstellen. Die BJR ist im Aktiengesetz kodifiziert und gilt grundsätzlich auch für Geschäftsführer von GmbHs. Sie lautet: “Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.” Der Vorstand muss sich in aller Regel also (nur) fragen, ob es eine hinreichende Informationsbasis für die zu treffende Entscheidung gibt und ob unter Abwägung von Chancen und Risiken die geplante Maßnahme im Unternehmensinteresse ist.Natürlich muss der Vorstand auch frei von eigenen Interessen sein. Etwas anders liegen die Dinge, wenn die zu treffende Maßnahme Rechtsfragen über ihre rechtliche Zulässigkeit aufwirft.Gemäß dem Wortlaut der BJR gilt diese nur für unternehmerische Entscheidungen. Abzugrenzen sind diese von den rechtlich gebundenen Entscheidungen. Man ist sich einig: Bei Rechtsverstößen soll es kein Pardon geben. Im Falle von Rechtsverletzungen soll der Vorstand nicht argumentieren können, dass er glaubte, zum Wohle der Gesellschaft gehandelt zu haben. Der Vorstand darf zum Beispiel nicht argumentieren, dass die erwarteten Vorteile eines Kartellverstoßes so groß waren, dass das Risiko aufzufliegen tragbar erschien. Fliegt die Sache auf, ist der Vorstand wegen einer Pflichtverletzung haftbar.Aber was passiert, wenn der Vorstand glaubte, rechtmäßig zu handeln? Beruht der falsche Glaube auf einer fehlerhaften Rechtsberatung, so hat der BGH in der Ision-Entscheidung hohe Hürden für den Vorstand aufgestellt, um sich zu exkulpieren. Der Vorstand muss sich über die Qualität des Anwalts vergewissern und die juristische Argumentation selbst nachvollziehen. Im Großen und Ganzen bietet diese Fallkonstellation einer falschen rechtlichen Beratung keinen Anlass zu größerer Sorge. Anders ist es aber, wenn der anwaltliche Berater dem verständigen Vorstand erklärt, dass sein Verhalten wohl rechtmäßig sei, aber Restzweifel nicht auszuschließen sind. Wie muss sich der Vorstand dann verhalten? “Vernünftigerweise”Es besteht Einigkeit, dass die deutsche BJR – anders als die US-amerikanische – nicht eine bloße Verfahrensregelung ist. Beruht also die Entscheidungsfindung in den USA auf angemessenen Informationen in einem sorgfältigen Verfahren ohne Interessenkonflikte, dann ist eine Haftung der Directors weitestgehend ausgeschlossen. Eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung findet nicht statt. Das Element “vernünftigerweise” annehmen zu dürfen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, gibt dem deutschen Gericht die Möglichkeit, die unternehmerische Entscheidung inhaltlich zu überprüfen. Aber es erscheint einleuchtend zu sagen, dass ein Gericht nur zu einer Haftung des Vorstands kommen darf, wenn der Vorstand eine grobe Falschbeurteilung an den Tag gelegt hat.Dies entspricht einem grob fahrlässigen Haftungsmaßstab. Aber dieser grob fahrlässige Haftungsmaßstab gilt nach dem Gesetzeswortlaut nur bei “unternehmerischen Entscheidungen”. Das heißt mit anderen Worten, wenn der Vorstand sehenden Auges (so ausdrücklich auch in der Gesetzesbegründung zur BJR) eine Rechtsverletzung begeht, haftet er. Dies erscheint aber bei unsicherer Rechtslage nicht richtig und ist auch keinesfalls sinnvoll. Kaum tragbarEs ist zu vermeiden, dass deutsche Vorstände bei noch so vagen Rechtszweifeln Chancen für ein Unternehmen nicht ergreifen, weil sie eine persönliche Haftung fürchten müssen. Es ist für sie schon kaum tragbar, dass sie im Außenverhältnis haften, da die Hürden des strafrechtlichen unvermeidbaren Verbotsirrtums praktisch nicht zu überwinden sind. Aber dann sollten sie doch wenigstens im Innenverhältnis frei von Haftung sein und auch von Geldstrafen freigestellt werden können. Von etwaigen Gefängnisstrafen können sie ohnehin nicht freigestellt werden. Es wäre zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber hier Klarheit schaffen könnte und die Diskussion über ein Unternehmensstrafrecht auch die Einführung einer Legal Judgement Rule umfassen würde. Es könnte schon reichen, das Begriffspaar “unternehmerische Entscheidung” in der Business Judgement Rule auf “Entscheidung” zu reduzieren.—-*) Dr. Alfred Kossmann ist Partner der Kanzlei Shearman & Sterling.