RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: VERA ROTHENBURG

"Praxis kann mit Neuregelung der Frauenquote leben"

Ziele müssen nicht ambitioniert sein - Keine Sanktionen beim Verfehlen

"Praxis kann mit Neuregelung der Frauenquote leben"

– Frau Dr. Rothenburg, die Frauenquote für Aufsichtsräte wird breit diskutiert. Doch der Berliner Gesetzentwurf sieht auch eine Quote für Vorstände vor. Wie soll diese gestaltet werden?Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 11. Dezember 2014 verpflichtet den Aufsichtsrat, eine Zielgröße für den Frauenanteil im Vorstand festzusetzen. Dabei darf er die Umstände im Unternehmen und in der Branche berücksichtigen. Die Zielgröße muss der Aufsichtsrat erstmals bis spätestens zum 30. Juni 2015 festlegen. Gleichzeitig muss er eine Frist zur Erreichung dieser Zielgröße festsetzen, die nicht länger als zwei Jahre sein darf.- Wie viele Gesellschaften sind davon voraussichtlich betroffen?Die Pflicht zur Festlegung von Zielgrößen trifft Gesellschaften, die börsennotiert oder mitbestimmt sind. Betroffen sind nicht nur Aktiengesellschaften, sondern zum Beispiel auch GmbHs oder europäische Gesellschaften (SE), die etwa aufgrund des Drittelbeteiligungsgesetzes Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben. Insgesamt sollen nach Schätzung der Bundesregierung rund 3 500 Unternehmen betroffen sein. Zum Vergleich: Die geplante Quote von 30 % für den Aufsichtsrat betrifft lediglich gut 100 Gesellschaften.- Wenn die Ziele vom Unternehmen selbst festgelegt werden, ist dann auch eine Zielgabe von null zulässig?Der Gesetzentwurf setzt keine Mindestzielgröße fest, die für alle Unternehmen gilt. Er regelt lediglich, dass Gesellschaften, die derzeit weniger als 30 % Frauen im Vorstand haben, den aktuellen Anteil nicht mehr unterschreiten dürfen. Aktuell liegt der Frauenanteil in den meisten Vorständen bei null. In diesen Fällen ist es möglich, dass der Aufsichtsrat eine Zielgröße von 0 % festlegt. Wird innerhalb der Frist zur Erfüllung der Zielgrößen kein Vorstandsposten frei, kann der Aufsichtsrat ohnehin keine höhere Quote erreichen. Aber auch eine Zielvorgabe von null schließt nicht aus, dass der Aufsichtsrat eine Frau bestellt und damit seine eigenen Ziele quasi übererfüllt.- Betroffen sein sollen auch Führungsebenen unterhalb des Vorstands. Wie weit geht das?Der Vorstand muss Zielgrößen für die beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands festlegen. In der Praxis werden Führungsebenen meist konzernweit festgelegt. Der Gesetzentwurf hat hingegen nur die jeweilige Gesellschaft im Blick. Der Vorstand oder die Geschäftsführer haben also nur für Führungskräfte, die direkt bei ihrer Gesellschaft angestellt sind, Zielgrößen festzulegen.- Wie verhält sich das mit Geschäftsführungen von Tochterunternehmen?Der Vorstand der Muttergesellschaft muss keine Zielgröße für Geschäftsführer von Tochtergesellschaften festlegen. Wenn die Tochtergesellschaft allerdings selbst mitbestimmt ist, wird sie unmittelbar von der geplanten Neuregelung erfasst und muss sich Zielgrößen für den Frauenanteil in Vorstand, Aufsichtsrat und den beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands setzen.- Wie soll das Nichteinhalten der Quote sanktioniert werden?Es sind keine Sanktionen für den Fall, dass eine Gesellschaft die selbst gesetzten Zielgrößen nicht erreicht, vorgesehen. Allerdings müssen die von der Neuregelung erfassten Gesellschaften mit ihrem Jahresabschluss eine Erklärung zur Unternehmensführung veröffentlichen. Darin müssen sie ihre Ziele bekannt geben und berichten, ob sie die Ziele erreicht haben und falls nicht, warum nicht. Die Bundesregierung rechnet damit, dass die Gesellschaften aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit ihre Ziele erreichen werden.- Ihr Fazit für die Praxis?Der Gesetzentwurf führt zu zusätzlichem Aufwand für die betroffenen Gesellschaften, insbesondere durch die Berichtspflicht. Da die ersten Zielgrößen für den Frauenanteil schon im ersten Halbjahr 2015 festzulegen sind, erzeugt er unmittelbaren Handlungsdruck. Die Ziele müssen aber nicht sehr ambitioniert sein, und bei Nichterreichen drohen keine Sanktionen. Insgesamt denke ich daher, dass die Praxis mit der Neuregelung leben kann.—-Dr. Vera Rothenburg ist Partnerin von Gleiss Lutz. Die Fragen stellte Walther Becker.