Rangelei um Betriebsrenten-Lasten
Den deutschen Unternehmen droht wegen des Zinstiefs in den kommenden Jahren ein besonders heftiger Anstieg ihrer Pensionsrückstellungen in den HGB-Bilanzen. Sie wollen von der Politik mehr Hilfe.Von Antje Kullrich, DüsseldorfFür den Straßenbauer Gröschler ist es schon zu spät: Das mittelständische Tiefbauunternehmen aus Gütersloh musste im Januar Insolvenz anmelden. Das 1869 gegründete Familienunternehmen plagen so hohe Pensionslasten, dass dringend gesuchte Investoren in jüngster Zeit immer wieder absprangen. Anfang des Jahres wurde der Gang zum Amtsgericht unvermeidlich.Die deutsche Wirtschaft ächzt unter ihren milliardenschweren Pensionslasten. Wegen des anhaltenden Zinstiefs wird die betriebliche Altersvorsorge für immer mehr Unternehmen zu einer starken Belastung. Sie müssen die Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen in ihren Bilanzen aufstocken, da sie nur noch mit immer niedrigeren Zinssätzen diskontieren dürfen.Die Politik hat den Hilferuf inzwischen vernommen. Den HGB-Bilanzierern mit Pensionsverpflichtungen – nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (Aba) mehr als 40 000 Unternehmen in Deutschland – winkt eine Erleichterung. Der Diskontierungszins soll in Zukunft langsamer sinken, da für ihn ein durchschnittlicher Marktzins über einen Zeitraum von zehn statt bisher sieben Jahren zugrunde gelegt werden soll. Fleißige LobbyistenDas ist der deutschen Wirtschaft nicht genug. Kurz vor den geplanten Beschlüssen in Bundestag und Bundesrat formiert sich geballter Widerstand. Nicht nur die Lobbyverbände sind aktiv. Auch Großkonzerne versuchen mit einer eigenen Initiative Einfluss zu nehmen. 23 Finanzvorstände haben ein Schreiben an den Rechtsausschuss des Bundestags verfasst, der am kommenden Montag Experten öffentlich zu dem Thema anhört. Koordiniert hat die Initiative dem Vernehmen nach Heidelberger Druck. Zu den Unterzeichnern zählen die CFOs von neun Dax-Konzerne, fünf MDax-Unternehmen sowie Schäffler, Bosch, Haniel, Miele und Trumpf. Obwohl die meisten dieser Unternehmen ihre Konzernbilanzen nach IFRS aufstellen und darin sogar zu den noch niedrigeren Marktzinsen diskontieren müssen, lässt auch sie das Thema nicht kalt. “Denn in den Hauptversammlungen werden zumeist auch die HGB-Bilanzen der Muttergesellschaften den Aktionären vorgelegt’, sagt ein Mitglied der Initiative. Andere ZinsberechnungDie Finanzvorstände wie auch die Aba und das Institut der Wirtschaftsprüfer plädieren für einen Durchschnittszins, der sich aus Werten der zurückliegenden 15 Jahre errechnet. Dadurch steigt der Rückstellungsbedarf moderater an und verteilt sich gleichmäßiger auf die kommenden Jahre. Die Unternehmen werden damit kurzfristig entlastet, dürften aber die “eingesparten” Rückstellungen nicht an ihre Gesellschafter auskehren (Ausschüttungssperre). Den CFOs wäre es sogar am liebsten, wenn der Rechnungszins auf 4,5 % fixiert werden würde.Wie akut der Neuregelungsbedarf für die deutschen Unternehmen ist, macht ein Blick auf die Zahlen deutlich. Zwischen 2010 und 2014 ist der Zinssatz, mit dem die Unternehmen ihre Pensionsverpflichtungen abzinsen, um 62 Basispunkte gesunken. Einen Sprung abwärts in gleicher Höhe, nämlich 64 Basispunkte, droht nach der alten Regelung jetzt binnen eines Jahres. Von 2014 auf das Bilanzjahr 2015 würde der Diskontierungssatz von 4,53 auf 3,89 % abstürzen.”Sinkt der Rechnungszins um einen Prozentpunkt, müssen die Pensionsrückstellungen um etwa 15 bis 20 % steigen”, sagt Paulgerd Kolvenbach, Geschäftsführer des Pensionsberatungsunternehmens Longial. In der HGB-Welt belastet das die Unternehmensgewinne. Die Aba schätzt, dass die Unternehmen mit Direktzusagen nach dem alten Bilanzrecht bis Ende 2017 bilanzielle Zusatzbelastungen von jährlich 35 bis 45 Mrd. Euro tragen müssten. Euler Hermes warnt”Das finanzielle Risiko durch hohe Pensionsrückstellungen spitzt sich weiter zu”, beobachtet Björn Albert, Risikodirektor beim weltgrößten Kreditversicherer Euler Hermes. “Zuletzt haben wir sogar einige Insolvenzen aus diesem Grund gesehen.” Betriebliche Pensionszusagen beträfen allerdings in der Regel eher größere Unternehmen. “Deshalb erwarten wir dadurch kein Massenphänomen bei den Insolvenzen, weiterhin aber prominente Einzelfälle.”