Reedereien passen Kapazitäten schneller an
Von Carsten Steevens, HamburgDie Ausbreitung der Coronavirus-Epidemie wird immer mehr zur Gefahr für die globale Versorgung mit Gütern. Weil weltweit rund 90 % der Waren über den Seeweg transportiert werden, tangiert die Corona-Krise auch die Schifffahrt in besonderer Weise. Transportmengen schrumpfen, Frachtschiffe werden aus dem Verkehr gezogen, in vielen Häfen stapeln sich die Container. Konsequenzen – auch für die Erfolgsrechnungen – lassen sich zugleich schwer abschätzen, da Ausmaß und Dauer der Krise unbekannte Größen sind.An den in den vergangenen Wochen gesunkenen Aktienkursen der börsennotierten Reederei-Konzerne A.P. Møller-Mærsk und Hapag-Lloyd lassen sich Sorgen der Anleger ablesen, die Branche könnte es möglicherweise erneut mit einer länger anhaltenden Krise zu tun bekommen. Bei den Unternehmen herrscht Unsicherheit. Die Coronavirus-Epidemie habe die Sichtweiten deutlich reduziert, erklärte der dänische Branchenführer vor drei Wochen in seinem Jahresausblick. Da die Fabriken in China über das Ende der chinesischen Neujahrsferien hinaus geschlossen blieben, sei mit einem schwachen Start ins Jahr zu rechnen. Hapag: Grundlagen “okay”Rolf Habben Jansen, Vorstandschef der Hamburger Reederei, von der bei der Bilanzvorlage am 20. März ein Ausblick erwartet wird, sagte dem maritimen Branchendienst Lloyd’s List, es sei derzeit schwierig abzuschätzen, ob sich die Coronavirus-Epidemie auf eines oder zwei Quartale auswirken oder ob sie strukturelle Effekte nach sich ziehen werde. Für 2020 sei er nicht allzu optimistisch gestimmt. Zugleich seien die Grundlagen im Markt “okay”. Eine Erholung sei bei einem Hochlauf der Aktivitäten wahrscheinlich, denn Bestände seien so ziemlich überall abgebaut worden und müssten wieder aufgestockt werden. Hapag-Loyd sieht Habben Jansen mit Blick auf die starke Bilanz des Unternehmens für einen Abschwung gerüstet.Der Branchenberater Sea Intelligence bescheinigt den großen Reedereien, aus dem Einbruch der Konjunktur und der Frachtraten im Zuge der Finanzkrise vor einem Jahrzehnt gelernt und sehr schnell auf die sich verändernden Marktbedingungen reagiert und Kapazitäten reduziert zu haben. Bislang, so Lars Jensen, sei ein Rückgang des weltweiten Transportvolumens von rund 1,9 Mill. Standardcontainern (TEU) festzustellen. Im Gesamtjahr dürfte das Minus geringer ausfallen, da die Produktion wieder anlaufe und eine Erholung zu erwarten sei.Die global operierenden Carrier hält der Berater für resistenter. Kleineren Reedereien mit Fokus auf innerasiatische Verkehre könnten hingegen Probleme mit dem Cash-flow bekommen, da sie von Schwankungen der chinesischen Frachtein- und -ausfuhren stark betroffen seien.Von einer weiteren Ausbreitung der Coronavirus-Epidemie sieht Sea Intelligence weniger die Containerschifffahrt als vielmehr Industrien wie die Flug- und Hotelbranche sowie Messen und den Event-Sektor betroffen. In der deutschen Wirtschaft hält die DZ Bank bei den Ausfuhren insgesamt sowie bei den Exporten nach China aufgrund der hohen Abhängigkeit von dem Markt den Auto- und Maschinensektor für besonders exponiert (vgl. Grafik). Noch weitaus stärker abhängig sei die deutsche Wirtschaft aber von manchen Importen aus China, heißt es in einer aktuellen Analyse weiter. Das gelte vor allem für Produkte aus dem Segment der Elektrotechnik. Bei den Einfuhren aus China standen im vergangenen Jahr Datenverarbeitungsgeräte, elektronische und optische Erzeugnisse mit einem Anteil von mehr als einem Drittel abermals an erster Stelle. Darunter fielen auch elektronische Bauteile als wichtige Vorprodukte für die Industrie.Sollte die Coronavirus-Epidemie die Welt noch länger in Atem halten, dürften die wirtschaftlichen Folgen daraus nach und nach auch immer deutlicher für die deutsche Wirtschaft spürbar werden. Die als Folge von Einsparmaßnahmen immer stärkere Auslagerung von Lagerkapazitäten bei den deutschen Industrieunternehmen auf die Container auf hoher See könnte sich rächen. Die DZ Bank geht davon aus, dass die hohe Abhängigkeit der deutschen Unternehmen insbesondere von chinesischen Importen bei einer länger andauernden Epidemie empfindliche Auswirkungen auf die Lieferketten nach sich ziehen wird und es zu Lieferproblemen kommen könnte.Im vorigen Jahr war China erneut wichtigster Handelspartner Deutschlands bei den Einfuhren, mit weitem Abstand gefolgt von den Niederlanden und den USA. Bei den deutschen Ausfuhren rangierte China hinter den USA und Frankreich an dritter Stelle. Beim gesamten Außenhandelsumsatz war China führend. OECD warntDas Reich der Mitte ist für rund 30 % der globalen Produktion verantwortlich. Aufgrund der engen Vernetzung Chinas mit den weltweiten Lieferketten sieht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in der Ausbreitung des Coronavirus das derzeit größte Risiko für die Weltwirtschaft seit der Finanzkrise. Ihre Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaftsleistung (BIP) in diesem Jahr hat die OECD in der vergangenen Woche um einen halben Prozentpunkt auf 2,4 % gesenkt und die Regierungen zum schnellen Handeln aufgerufen, um die weitere Verbreitung der Epidemie und deren negative Folgen für die Konjunktur zu begrenzen. Das Wachstum könnte sich, so die OECD, noch weiter abschwächen, denn die aktuellen Prognosen beruhten auf der Annahme, dass der Höhepunkt der Virus-Verbreitung in China im ersten Quartal erreicht werde und die Ausbreitung in anderen Ländern unter Kontrolle gehalten werden könne.