Regierung erlaubt virtuelle Hauptversammlungen

Bundestag soll Gesetzentwurf am Mittwoch beschließen - Online-Fragerecht für Aktionäre umstritten

Regierung erlaubt virtuelle Hauptversammlungen

sp Berlin – Die Liste der Aktiengesellschaften, die ihre für das Frühjahr anberaumten Hauptversammlungen wegen der Coronavirus-Pandemie auf unbestimmte Zeit verschieben, wird täglich länger. Nach Daimler, Deutsche Telekom, Continental und anderen großen Namen hat gestern auch der Spezialchemiekonzern Lanxess sein Aktionärstreffen abgesagt. Damit die Unternehmen trotz Pandemie handlungsfähig bleiben und wichtige Beschlüsse etwa über Kapitalmaßnahmen, Abspaltungen oder Dividendenzahlungen mit Zustimmung der Hauptversammlung fassen können, hat die Bundesregierung am Montag einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der die Flexibilität bei der Organisation und Durchführung von Hauptversammlungen in diesem Jahr erweitert.Der Entwurf zum “Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht”, das der Bundestag morgen beschließen soll, enthält unter anderem Regelungen, mit denen die Durchführung von Hauptversammlungen trotz bestehender Veranstaltungsverbote wegen der Coronavirus-Pandemie ermöglicht werden soll. Unter anderem erlaubt die Bundesregierung unter bestimmten Voraussetzungen erstmals Hauptversammlungen, die ausschließlich online abgehalten werden. “Aktiengesellschaften können nun erstmals virtuelle Hauptversammlungen durchführen”, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfs durch das Bundeskabinett. Damit solle sichergestellt werden, dass sie trotz der Einschränkungen im Versammlungsrecht beschlussfähig sind. Der Vorstand könne auch ohne Satzungsermächtigung eine Online-Teilnahme an der Hauptversammlung ermöglichen. Erstmals werde auch die Möglichkeit einer präsenzlosen Hauptversammlung geschaffen.Bei Experten und Aktionärsvertretern stieß der Gesetzentwurf auf ein überwiegend positives Echo. “Der Gesetzgeber hat schnell gehandelt und die wichtigsten Probleme adressiert”, sagte Cordula Heldt vom Deutschen Aktieninstitut (DAI), das in der vergangenen Woche entsprechende Anpassungen im Aktienrecht gefordert hatte. “Man hat einen guten Mittelweg gefunden zwischen den Interessen der Unternehmen und der Aktionäre”, lobte Christoph Seibt von der Anwaltskanzlei Freshfields. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) meinte, dass ein praktikabler Weg gefunden sei, schob aber gleich noch eine Mahnung hinterher. “Die geänderten Regeln für Hauptversammlungen müssen zeitlich auf die Coronakrise beschränkt sein”, forderte DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler, der dauerhafte Einschränkungen für Aktionärsrechte befürchtet. Achtung vor Anfechtungsrisiko Kritisch sehen die Aktionärsvertreter vor allem die vorgesehenen Beschränkungen für das Fragerecht der Aktionäre in virtueller Umgebung. Aktienrechtsexperten wie Katharina Stüber von der Anwaltskanzlei Allen & Overy warnen vor den Risiken eines Online-Fragerechts. Blieben Fragen aufgrund ihrer schieren Anzahl unbeantwortet, könne dies Anfechtungsrisiken bergen.