Regierung vertagt Novelle und verlängert Notlösung
wf Berlin
Noch vor der Wahl will der Bundestag in der nächsten Woche Rechtssicherheit für die Hauptversammlungssaison 2022 schaffen. Zusammen mit dem Fluthilfefonds soll kurz vor Ablauf der alten Legislaturperiode die aktuelle Regelung um acht Monate bis 31.August 2022 verlängert werden. Hauptversammlungen (HV) können damit auch 2022 virtuell abgehalten werden. Dies bestätigte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums auf Anfrage. Die Sonderregelung wäre zum Jahresende ausgelaufen. Die Zeit drängt, denn die Vorbereitungen für die HV-Saison 2022 müssen in den Unternehmen bereits jetzt beginnen.
Nach Informationen der Börsen-Zeitung hat das Justizministerium für die Verlängerung den Fraktionen eine sogenannte Formulierungshilfe geliefert, die in den Ausschüssen beschleunigt beraten und in der Sondersitzung des Bundestags am 7. September beschlossen werden kann.
Die Bundesregierung vertagt damit Überlegungen, zügig weg von einer Not- und hin zu einer Dauerlösung zu kommen. Eine Verankerung der virtuellen Hauptversammlung im Aktienrecht sei geplant, sagte die Sprecherin des Justizministeriums. Es werde bereits daran gearbeitet. Dies sei aber ein Projekt für die nächste Legislaturperiode. Wie die nächste Koalition aussieht und wer dann das Ministerium leitet, ist indessen offen.
Positive Erfahrungen
Für die deutsche Industrie hätte eine Dauerlösung im Aktiengesetz (AktG) schneller kommen können. „Die positiven Erfahrungen bei der Durchführung virtueller Hauptversammlungen sollten für die dauerhafte gesetzliche Verankerung der virtuellen Hauptversammlung im AktG genutzt werden“, schreibt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in einem Positionspapier. Die Praxis habe gezeigt, dass das virtuelle Format tatsächlich funktioniere. Es habe das Potenzial, die Aktionärsbeteiligung spürbar zu verbessern, sei ressourcenschonender und kostengünstiger als eine Präsenz-HV, bei der oft mehrere tausend Aktionäre anreisten. Das Positionspapier liegt der Börsen-Zeitung vor.
Die Vorschläge der Industrie sehen aber mit dem digitalen Format auch Neuerungen zu den Offenlegungs- und Informationspflichten von Verwaltung und Aktionären sowie Einschränkungen für den Auskunftsanspruch der Aktionäre vor. Die klassischen Aktionärsrechte von der physischen Präsenzversammlung könnten nicht uneingeschränkt in die Welt der virtuellen Hauptversammlung übertragen werden, heißt es.
Die grundsätzliche Entscheidung, ob die Hauptversammlung auch virtuell abgehalten werden kann, soll laut BDI durch Satzung geregelt werden. Sie liegt damit in der Hand der Aktionäre. Wie die HV konkret ausgestaltet wird, sollen hingegen allein Vorstand und Aufsichtsrat innerhalb der zwingenden gesetzlichen Vorgaben entscheiden. Eine Pflicht zu hybriden HV will der BDI ausschließen. Die virtuelle HV soll gleichwertig zur Präsenzversammlung sein. Sie soll auch aktien- und umwandlungsrechtliche Squeeze-out-Beschlüsse oder andere Strukturmaßnahmen nach Aktien- oder Umwandlungsrecht umfassen dürfen.
Die wesentlichen Inhalte der geplanten Vorstandsrede sollen spätestens vier Tage vor der Versammlung auf der Webseite der Aktiengesellschaft zugänglich gemacht werden. Kurzfristige Änderungen oder Ergänzungen der Rede sollen auch nach Veröffentlichung noch möglich sein. Streitigkeiten darüber, was als „wesentlicher Inhalt“ anzusehen ist, will der BDI vermeiden, indem eine Verletzung der Veröffentlichungspflicht nicht angefochten werden kann. Aktionäre sollen das Recht erhalten, ihre Rede als Text oder per Video bis spätestens zwei Tage vor der virtuellen Hauptversammlung einzureichen. Über Format, Länge und verlangte Landessprache soll der Vorstand entscheiden. Er soll auch Redebeiträge angemessen beschränken dürfen sowie unrichtige und anstößige Inhalte nicht veröffentlichen müssen.
Fragen mit Vorlauf
An der Praxis aus der Coronakrise, Aktionärsfragen mindestens zwei Tage vor der HV einreichen zu müssen, will der BDI festhalten. Die Verwaltung könne die Antworten vorbereiten. Einen Auskunftsanspruch nach §131 AktG will der BDI nur vorab eingereichten Fragen zugestehen. Während der virtuellen HV sollen Aktionäre zwar Fragen stellen können, die Verwaltung aber frei sein, ob und wie sie die Fragen beantwortet. Auch bei den vorab eingereichten Fragen soll der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen das Auskunftsrecht so beschränken dürfen, dass die HV ordnungsgemäß vorbereitet werden und ablaufen kann. Auch eine quantitative Begrenzung soll z.B. mit Blick auf Fragebots oder Algorithmen möglich sein.