Reise ins Ungewisse
Von Lisa Schmelzer, FrankfurtIn manchen Kommentaren war von einem “Schock” die Rede, als Lufthansa im November ankündigte, dass im Frühjahr Schluss sei mit den kostenlosen Speisen und Getränken in der Economy Class auf Reisen bis zu drei Stunden Flugzeit. Wer etwas essen oder trinken möchte, wird künftig zur Kasse gebeten. Damit folgen Lufthansa, Austrian Airlines und Swiss ihren Konzernschwestern Eurowings und Brussels Airlines. Dort muss für Extraleistungen an Bord schon länger gezahlt werden. Damit folgt die Lufthansa aber auch dem Beispiel der Low-Cost-Carrier. Dort muss schon immer für alles extra bezahlt werden. Mit dem Ticketpreis wird lediglich der reine Transport abgegolten.Die Nulldiät in der Holzklasse, auf die die Lufthansa ihre Passagiere künftig setzt, steht für einen Trend, der schon länger zu beobachten ist, durch die Coronavirus-Pandemie und die dadurch ausgelöste Krise der Luftfahrtbranche aber forciert wird: Die Geschäftsmodelle der verschiedenen Fluggesellschaften nähern sich an. War vor einigen Jahren noch klar zwischen Low-Cost-Carriern mit ihren Punkt-zu-Punkt-Angeboten und Netzwerk-Airlines mit ihren ausgefeilten Hubstrukturen zu unterscheiden, haben sich längst die Grenzen verwischt. Mit dem Aufbau von Eurowings hat Lufthansa eine eigene Tochter geschaffen, um eben den Punkt-zu-Punkt-Verkehr anzubieten, mit ähnlichen Projekten sind auch Wettbewerber wie Air France-KLM oder British Airways unterwegs.Aber auch im Kerngeschäft der etablierten Airlines haben manche Strategien der billigen Konkurrenten Einzug gehalten, um die Kosten unter Kontrolle zu halten. Zwar haben Unternehmen mit einem breiten Angebot weniger Möglichkeiten, etwa durch eine einheitliche Flottenstruktur Ausgaben zu senken. Allerdings wurden nun, da viele Flugzeuge geparkt werden müssen, teilweise gleich ganze Flotten aus dem Verkehr gezogen, um die Komplexität zu reduzieren. Die Kostenkontrolle ist in Zeiten der Coronakrise noch wichtiger geworden, dazu kommt ein stärkerer Fokus auf das touristische Geschäft, dem nach der Krise eine schnellere Erholung vorausgesagt wird als dem Geschäftsreiseverkehr.Die Low-Cost-Airlines haben in der Vergangenheit ihre Geschäftsmodelle ebenfalls in Richtung Netzwerk-Carrier geöffnet und verstärkt die Zielgruppe Geschäftsreisende ins Visier genommen. Denn diese sorgen in der Regel für deutlich höhere Renditen als der Urlauber, der genau auf den Preis schaut. Bei Ryanair hatten diese Aufgabe allerdings vor allem zugekaufte Töchter wie Laudamotion übernommen, um das Supergünstig-Profil der Ryanair möglichst nicht zu verwässern. Aber auch Ryanair selbst ist von den einst verordneten klaren Regeln abgewichen und hat beispielsweise Flüge vom Flughafen Frankfurt Main aus angeboten, ein Hochpreis-Drehkreuz, das die Iren noch vor wenigen Jahren links liegen gelassen hätten. Ob Ryanair an diesen Aktivitäten festhält, wird sich zeigen, denn dem Geschäftsreisendensegment wird noch eine lange Durststrecke vorausgesagt – der Digitalisierungsschub der vergangenen Monate dürfte manchen Business-Trip überflüssig machen, zumal bei Unternehmen, die ebenfalls die Kosten im Auge behalten müssen.Experten sehen die Vermischung der Geschäftsmodelle indes kritisch. Für die Beratungsgesellschaft Avinomics gibt die Strategie einer Fluglinie den Ausschlag, ob sie die Krise überleben kann oder nicht. “Ein scharfer strategischer Fokus ist mindestens ebenso wichtig wie die Größe”, so die Experten. Wichtig sei zudem, welche Fluggesellschaft die einzelnen Märkte dominiert und “welche nur im Gefolge von Marktführern fliegen”. Die Untersuchungen von Avinomics haben ergeben, “dass die leistungsfähigsten Punkt-zu-Punkt- und Drehkreuz-Carrier in den letzten zwei Jahrzehnten nur 3 % der Insolvenzen ausmachten”. Selbst in diesen “noch nie dagewesenen Zeiten” bleibe die strategische Ausrichtung eine der wirksamsten Garantien zum Überleben. Krisen beschleunigten nur die Trennung der Spreu vom Weizen: Strategisch schlecht positionierte Fluggesellschaften werden früher und härter leiden.Die Airline-Branche geht davon aus, dass sich nach der Pandemie der touristische Verkehr sehr schnell erholen wird, da ein großes Bedürfnis nach Reisen besteht. Darauf richten sich die Unternehmen jetzt strategisch aus, indem dieses Geschäftsfeld gestärkt wird. Fluglinien arbeiten in diesem Segment stark mit den Reiseveranstaltern zusammen, die einen Teil ihrer Kunden mit ihren Airline-Partnern auf Reisen schicken. Allerdings ist auch die Reisebranche im Umbruch und das nicht erst seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie. Auch in der touristischen Industrie verstärkt die Krise nun manchen Trend. Es wird nach der Zwangspause digitaler zugehen, individueller und flexibler. Die Frage ist, wer für diese veränderte Reiselandschaft wie gut aufgestellt ist. Und wer die Krise überleben kann. Thema UmweltschutzMarktführer Tui wurde ebenso wie Lufthansa mit Milliarden vom Staat in der Krise gestützt. Zu hoch sind die Fixkosten in einem Konzern, der über eigene Assets und jede Menge Mitarbeiter verfügt. Und dabei wollte Tui-Chef Fritz Joussen gerade mit diesen Assets – Hotels, Kreuzfahrtschiffe, aber auch Flugzeuge – das Angebot unverwechselbar machen und damit Urlauber anlocken. Bei Kreuzfahrten zumindest ist ihm das gelungen, das Geschäft lief vor Corona wie geschmiert. Doch derzeit kann keiner sagen, wann sich Reisende wieder mit den Riesendampfern auf die Meere wagen, zumal die Branche schon vor der Krise mit den Diskussionen über die durch sie verursachte Umweltverschmutzung konfrontiert war. Experten glauben außerdem, dass die Coronakrise den Trend verstärkt, eher Urlaub im Heimatland zu machen, das dürfte weder den großen Reiseveranstaltern noch den Airlines gefallen.Zwar hat die Pauschalreise nach wie vor viele Anhänger, gerade in Deutschland. Allerdings wird dieses Segment nicht mehr nur von Platzhirschen wie Tui angeboten. Längst kann sich jeder via Internet seine eigene Pauschalreise zusammenbasteln. Zudem tauchen gebündelte Urlaubsangebote zum Komplettpreis immer öfter auch bei Internetanbietern auf, und diese haben deutlich geringere Kosten als Tui und Co. In der Krise könnte sich noch schneller die Spreu vom Weizen trennen, da manchen Firmen das Geld ausgeht und es anderen wie dem Zimmervermittlungsportal Airbnb gelingt, jetzt noch den Kapitalmarkt anzuzapfen.