IM BLICKFELD

Rekommunalisierung geht häufig auf Kosten der Bürger

Von Ulli Gericke, Berlin Börsen-Zeitung, 31.7.2012 Als Berlin 1999 knapp die Hälfte der Anteile der Berliner Wasserbetriebe an RWE und Veolia verkauft hatte, war die wiederernannte Hauptstadt mit gut 30 Mrd. Euro verschuldet. Die damals erlösten...

Rekommunalisierung geht häufig auf Kosten der Bürger

Von Ulli Gericke, BerlinAls Berlin 1999 knapp die Hälfte der Anteile der Berliner Wasserbetriebe an RWE und Veolia verkauft hatte, war die wiederernannte Hauptstadt mit gut 30 Mrd. Euro verschuldet. Die damals erlösten 3,3 Mrd. D-Mark (fast 1,7 Mrd. Euro) sollten als Schuldenbremse genutzt werden als zumindest partieller Ausgleich für den hoch defizitären Landesetat. Aktuell steht Berlin mit rund 64 Mrd. Euro in der Kreide – was die Stadt dennoch nicht daran hindert, von RWE ihren Anteil von 24,95 % für 618 Mill. Euro zurückzukaufen. Und wenn sich das Land und (die durch den RWE-Ausstieg unter die Sperrminorität gerutschte) Veolia nicht auf ein gedeihliches Miteinander einigen, droht dem hoch verschuldeten Berlin die gleiche Zahlung noch einmal, weil sich die Franzosen dann ebenfalls zurückziehen wollen.Die damals wie heute zusammen mit der CDU regierende SPD will auf Fraktionsebene zudem eine “Arbeitsgruppe Daseinsvorsorge” einsetzen, die neben dem Aufstocken der Landesanteile an den Wasserbetrieben von 50,1 auf 75,05 % auch die Rekommunalisierung der Strom- und Gasnetze, die (Teil-)Übernahme der S-Bahn in Landesbesitz sowie ein Plus von 30 000 kommunalen Wohnungen prüfen soll. Kein Zweifel: Rekommunalisierung ist “in” – wie sich auch im Südwesten Deutschlands zeigte, wo der später gescheiterte CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus den Rückkauf von 45 % am Energiekonzern EnBW für 4,7 Mrd. Euro als Ausweis tatkräftigen Handelns im besten Bürgerinteresse gewertet wissen wollte, auch wenn statt der Kommune hier das Land zugriff. Auch der 2,9 Mrd. Euro teure Kauf der Stadtwerke-Holding Thüga oder des Kohleverstromers Steag durch kommunale Konsortien sind Beispiele für ein Roll-back der Privatisierungspolitik der neunziger Jahre. “Schlechte Erfahrungen”Ob aber tatsächlich eine veritable Rekommunalisierungswelle rollt, ist selbst für Experten fraglich. Unumstritten ist nur, dass in den nächsten Jahren tausende von Konzessionsverträgen für den Betrieb und das Verlegen neuer Strom- und Gasnetze auslaufen – und sich die Kommunen damit zwingend mit dem Thema Neuvergabe und/oder Gründung eines Stadtwerks beschäftigen müssen. Mehr als 170 Konzessionen wurden seit 2007 bis heute von kommunalen Unternehmen erworben, über 60 Energieversorger wurden neu gegründet, ergibt eine Aufstellung des Verbands kommunaler Unternehmen. Beim genaueren Blick zeigt sich jedoch auch, dass es sich hierbei in den allermeisten Fällen um Stadtwerke in Klein- oder Kleinststädten handelt. Die Argumentation der Bürgermeister und Parlamente – übrigens fast gleich lautend bei CDU/CSU und SPD – ist immer dieselbe: Man will selber gestalten, über den Energiemix selbst entscheiden, was eine größere Akzeptanz und Bürgernähe verspricht, die Aufträge sollen primär an lokale Handwerker und Dienstleister gehen und zudem werden neben Steuern und Abgaben auch Gewinnausschüttungen erhofft.Auch René Geißler, Project Manager bei der Bertelsmann Stiftung, beobachtet einen ideologischen Wandel bei kommunalen Entscheidungsträgern und Bürgern – nicht zuletzt befeuert von “schlechten Erfahrungen mit Privatisierungen”. Das Land Berlin beispielsweise hatte RWE und Veolia hohe Gewinne aus den Wasserbetrieben versprochen, um den Verkaufspreis zu hebeln – auf Kosten der Bürger, die laut Bundeskartellamt “missbräuchlich überhöhte Trinkwasserpreise” zahlen müssen. Auch der Verkauf der städtischen Wohnungen in Dresden an die Gagfah hat sich nachträglich als schwerer Fehler erwiesen, investiert der MDax-Wert doch seit Jahren weit weniger, als notwendig wäre. Und auch über die Sinnhaftigkeit des teuren EnBW-Rückkaufs wird im “Ländle” noch lange gestritten werden. Vermeiden PreiswettbewerbEindeutig ist dagegen die Position der Monopolkommission, die die vielerorts zu beobachtenden Bestrebungen, Stadtwerke oder Stromnetze zu rekommunalisieren, “kritisch” sieht. In einer groß angelegten Untersuchung haben die Regierungsberater zwar ermittelt, dass Endkunden inzwischen flächendeckend unter verschiedensten Anbietern wählen können. Allerdings wird der günstigste Tarif in den untersuchten 7 323 Postleitzahlengebieten trotz der großen Zahl von Stadtwerken nur elfmal von einem kommunalen Unternehmen offeriert. In drei Viertel aller Gebiete finde sich kein einziger kommunaler Anbieter in der preislichen Spitzengruppe. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Stadtwerke “selten dem Preiswettbewerb stellen bzw. diesen selbst antreiben”, heißt es in dem Sondergutachten weiter – aber die Bürger scheinen dies bei “ihrem” Stadtwerk zu akzeptieren. Berlin kopiert “Heuschrecken”Kein Wunder, dass Jens Libbe vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) der städtischen Energieerzeugung hohe Bedeutung für die Kommunen zuspricht: Konzessionsabgaben und Gewinnabführungen könnten bei einem Stadtwerk in einer Stadt mit 500 000 Einwohnern “schnell in die 100 Mill. Euro pro Jahr gehen”, sagte er in einem Interview mit “Demo”, der Monatszeitschrift für Kommunalpolitik. Da die Stadtwerke zudem diverse Möglichkeiten des Sponsorings haben, könnten vor allem ärmere Kommunen indirekt Nutzen aus ihren Unternehmen ziehen, ohne dass Zuwendungen gefährdet würden. Hinzu komme, dass in Regionen mit schwacher Wirtschaftsstruktur öffentliche Firmen wieder vermehrt als Instrument gesehen würden, um den regionalen Arbeitsmarkt zu befördern und Lohndumping zu vermeiden.Insgesamt geht es beim Thema Rekommunalisierung primär um den Bereich Energiewirtschaft. Wasserwerke wurden nur selten privatisiert, die kommunalen Pflichtaufgaben Abwasser- und Abfallentsorgung nie. Auch bei Krankenhäusern sieht das Difu keine Rekommunalisierung, sondern eher “einen abgeschwächten Trend zur Privatisierung”.In Berlin verspricht Finanzsenator Ulrich Nußbaum, dass die Finanzierung des Wasserbetriebe-Rückkaufs ohne Belastung des angespannten Haushalts erfolgen kann. Geplant ist eine Übergangsfinanzierung (in einem Schattenhaushalt außerhalb des regulären Landesetats) mit einem landesverbürgten Kredit der landeseigenen Investitionsbank Berlin, was günstige Zinssätze von 2,6 % ermögliche, so das Land. Zu tilgen durch die Gewinne aus dem Wassergeschäft. Spielt Veolia mit, soll der Kaufpreis über eine Kapitalherabsetzung bei den Wasserbetrieben gestemmt werden – ein Finanzierungsmodell, das sich das Land bei “Heuschrecken” abgeguckt haben könnte. Für Veolia hätte dieses Prozedere den Vorteil, entweder Cash aus oder zusätzliche Anteile an den Wasserbetrieben zu erhalten – auf Kosten der Bürger, die diese Rekommunalisierung über eine höhere Fremdfinanzierung und höhere Zinsen bezahlen müssen.