Risikokapitalgeber Headline sammelt 940 Mill. Dollar ein
sp Berlin
Aus dem Technologiesektor und der Start-up-Szene kommen derzeit nicht viele gute Nachrichten. Die Bewertungen stehen aus Sorge vor steigenden Zinsen und wegen wachsender Rezessionsängste unter Druck. Für eine Venture-Capital-Gesellschaft wie Headline, die auf Investments in frühen Phasen von jungen Technologiefirmen fokussiert ist, bietet dieses Umfeld Chancen. „Viele Anleger sind der Meinung, dass dies jetzt die besten Jahrgänge sind, weil man Zugang zu großartigen Unternehmen hat zu niedrigeren Bewertungen“, sagt Headline-Partner Christian Miele im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
Headline, die bis 2021 unter dem Namen Eventures unterwegs war und deren Wurzeln auf die 1999 gegründete Bertelsmann Ventures zurückgehen, habe schon nach Ende des Dotcom-Booms und während der globalen Finanzkrise in den Jahren nach 2007 bewiesen, dass das Team mit Abschwüngen auf den Märkten umgehen kann. Die Phasen Pre-Seed, Seed und Series A, in denen sich Headline bevorzugt an Unternehmen beteiligt, sind weniger von Korrekturen betroffen als Later-Stage-Investoren. „Wenn man so früh ein sensationelles Unternehmen hat, das wirklich sehr groß wird, ist es am Ende fast egal, ob man bei einer Bewertung von 10 Mill. oder 20 Mill. einsteigt. Aber wir versuchen nie, den Markt zu timen. Starke Gründer verdienen immer den Marktpreis.“
Bisher größter Europa-Fonds
Die Investoren trauen Headline offenbar auch im aktuell schwierigen Fahrwasser zu, die richtigen Firmen zu finden. Für ihre neue Fondsgeneration, die mit regional ausgerichteten Vehikeln für Nordamerika, Europa und Südamerika an den Start geht, hat die Gesellschaft rund 940 Mill. Dollar eingesammelt. Allein für Europa stehen 320 Mill. Euro zur Verfügung. Der Headline EU VII, der vom Europa-Team mit Sitz in Berlin gesteuert wird, ist der größte Fonds, den Headline bisher für die Region auf die Beine gestellt hat und zählt zu den größten europäischen Seed-Fonds. Die Berliner Cherry Ventures, die ebenfalls auf Frühphasen-Investments fokussiert ist, hat im Januar einen neuen Fonds mit 300 Mill. Euro an den Start gebracht. Der Headline US VII geht mit 408 Mill. Dollar auf die Strecke und der Headline Brazil III ist mit 915 Mill. brasilianischen Real dotiert. Gut 90% der Limited Partner (LP) der jüngsten Fondsgeneration sind wieder mit an Bord.
„Es wurde viel darüber gesprochen, was wir glauben das jetzt passieren wird, wie wir damit umgehen und wie wir unsere Portfoliounternehmen darauf vorbereiten“, sagt Miele zu den Gesprächen mit Investoren. Die LPs hätten deshalb aber keine kalten Füße bekommen. Der Anlagedruck institutioneller Adressen ist weiter hoch und Fonds mit langem Track Record sind gefragt.
Headline, die mittlerweile über ein Portfolio von mehr als 200 Investments weltweit verfügt – aus Deutschland zählen dazu unter anderem die beiden milliardenschwer bewerteten „Einhörner“ Deposit Solutions und Staffbase – schaffte es in der Vergangenheit mit jedem ihrer Fonds in das oberste Quartil im Wettbewerb. Die Fondsgeneration VI aus Europa und die jüngste Generation in den USA gehörten zu den Top 5% bzw. Top 1% der Venture-Fonds weltweit. Mit den Nachfolgern wolle man diese Stellung im Markt verteidigen, sagt Miele. Die damit korrespondierende Renditeerwartung liege jenseits von 25% pro Jahr. „Die müssen wir auch machen, das ist ja genau das Mandat, das wir bekommen“, sagt der Headline-Partner, ein Urenkel von Carl Miele, Mitgründer des gleichnamigen Haushaltsgeräteherstellers.
Der Investmentansatz von Headline ist trotz der Turbulenzen an den Märkten stabil. „Wir bleiben auf unserer Linie. Wir sind ein sektoragnostischer Investor und investieren sowohl in B2C wie auch in B2B-Themen“, erklärt Miele. Headline geht davon aus, dass es weiter starke Bewegung im Fintech-Sektor und bei Digital Health geben wird. Er glaube auch, dass es im Bereich künstliche Intelligenz interessante Themen geben wird, vor allem auch aus Deutschland. „Wir wissen nicht, was das große Ding sein wird und müssen deshalb mit einem sehr geschulten Blick auf die Realität schauen, wie sie heute ist“, sagt Miele, der seinen Blick zuletzt auch über digitale Fußball-Sammelbildchen in der Kryptonische „Non Fungible Tokens“ wandern ließ und zu den frühesten Investoren beim französischen Start-up Sorare zählte, deren Bewertung auf mehr als 4 Mrd. Dollar gestiegen ist. „Der Schock an den Kryptomärkten, die gestiegenen Energiepreise und die hohe Inflation sind noch einmal ein Lackmustest für die gesamte Kryptoindustrie“, sagt Miele zu den Chancen in dem Sektor. Es gebe im Kryptouniversum weiterhin sinnvolle Projekte, aber auch viel Hype ohne Substanz. „Da trennt sich jetzt die Spreu vom Weizen.“ Er selbst schaue deshalb „extrem vorsichtig“ auf das Thema.
Rückläufige VC-Investments
Vorsicht ist unter Risikokapitalgebern das Gebot der Stunde. Die Investments von Venture Capital erreichten im zweiten Quartal nach Angaben von Crunchbase weltweit 120 Mrd. Dollar, mehr als ein Viertel unter dem Vorquartal und auch im Vergleich mit Vorjahr deutlich niedriger. Die Engagements im Later-Stage-Phasen rutschten mehr als 30% auf knapp 67 Mrd. Dollar ab. Aber auch Early-Stage-Investments fielen mit gut 44 Mrd. Dollar schwächer aus als zuletzt. Seed- und Angel-Investments lagen mit 9 Mrd. Dollar fast ein Fünftel unter dem ersten Quartal, legten im Vergleich zum zweiten Quartal des Vorjahres aber um knapp ein Zehntel zu.
Headline will mit ihrem neuen Fonds in Europa in 25 bis 30 Unternehmen investieren. Die Tickets sollen sich in der Größenordnung von 4 Mill. bis 6 Mill. Euro bewegen. Für mögliche Folgeinvestments in gleicher Größenordnung liegt ebenfalls Kapital bereit. „Wir halten uns da auf der eher konservativen Seite auf und wollen erst einmal schauen, was passiert“, sagt Miele zu der Reservepolitik des Fonds. Der Fokus auf frühe Phasen soll sogar noch ein bisschen weiter Richtung Seed- und Pre-Seed-Phase nach vorn verschoben werden. „Das hat auch damit zu tun, dass derzeit viele Serienunternehmer in Deutschland und Europa entstehen. Das sind Teams, die schon erfolgreich gegründet haben und jetzt wieder angreifen“, sagt Miele. Darauf wolle man vorbereitet sein, um diesen bereits erprobten Gründerteams noch vor der Gründung einer GmbH zur Seite stehen zu können.
Die Zeit ist aus Sicht von Miele wie gemacht für Gründerteams und Risikokapitalgeber aus Europa, die im Vergleich zum US-Venture-Capital-Markt auf einen effizienteren Einsatz von Kapital achten. „Da gibt es einen strukturellen Unterschied im Vergleich zu den USA, wo man immer Vollgas gibt, alles tut, um möglichst schnell zu wachsen, und später schaut, wie man das Geschäftsmodell gedreht bekommt, damit es freien Cashflow produziert.“ Die Zeiten, in denen ineffiziente Wachstumsbasen mit viel Investorengeld aufgebaut werden konnten, seien erst einmal vorbei, ist Miele überzeugt. „Ich glaube, das könnte uns helfen, auch weil viele Gründerinnen und Gründer in Deutschland immer schon mit diesem Mindset an den Tisch kommen“, sagt der Headline-Partner, der sich seit 2019 auch als Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands deutsche Start-ups für den deutschen Firmennachwuchs engagiert.