Rohstoffhändler profitieren von Volatilität

Vitol und Trafigura übertreffen Vorjahresergebnis - Gunvor verfünffacht Reingewinn - Dreyfus hat Probleme

Rohstoffhändler profitieren von Volatilität

Von Gerald Hosp, LondonDie Ölpreise sind im Keller, nicht aber die Stimmung der Rohstoffhändler, die sich auf Rohöl und daraus gewonnene Produkte wie Benzin oder Diesel spezialisiert haben. Im Gegenteil: Während der tiefe Fall der Ölpreises seit Sommer 2014 Produzentenländer und Energiekonzerne ächzen lässt, präsentierten die Handelshäuser Vitol und Gunvor jüngst Zahlen – oder vielmehr Fragmente von Bilanzen -, die auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr 2015 hindeuten. Nach neun Monaten auf KursIan Taylor, Chef von Vitol, dem weltweit größten unabhängigen Erdölhändler, meint, dass die gegenwärtige Marktstruktur physische Händler begünstige. Vitol gibt zwar keine Gewinnzahlen bekannt, doch soll das Unternehmen gemäß einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg bereits in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres einen Reingewinn von 1,25 Mrd. Dollar erzielt haben. Über das Gesamtjahr gesehen dürfte ein höherer Überschuss als 2014 unter dem Strich stehen. Damals hatte Vitol einen Nettogewinn von 1,35 Mrd. Dollar erwirtschaftet. Für das Knacken des Rekordgewinns von 2,3 Mrd. Dollar (2009) wird es aber nicht reichen, wie Taylor andeutete.Der Rohwarenhändler Gunvor, der wie Vitol einen großen Teil seiner Handelsaktivitäten in Genf betreibt, berichtete für 2015 von einem Rekordgewinn. Allerdings sind die Zahlen durch den Verkauf einiger Anlagen in Russland verzerrt. Wie bei Vitol ist die Zahlenvorlage dürftig, deshalb ist Vorsicht bei der Interpretation der veröffentlichten Daten geboten.Trafigura, ein weiteres großes Handelshaus, ist auskunftsfreudiger als Vitol, Gunvor oder gar Mercuria, die nicht einmal Eckdaten preisgibt. Für das Geschäftsjahr 2014/15 (30. September) weist Trafigura einen Zuwachs des Ertrags im Ölgeschäft von rund 50 % aus. Auch der in finanzielle Bedrängnis geratene Zuger Rohstoffkonzern Glencore berichtete von einem Gewinnanstieg im Ölhandel. Schwankungen erwünschtDas Zauberwort für die Händler heißt Volatilität. In den Jahren zuvor hatte es nur geringe Preisbewegungen gegeben, und die Margen dünnten sich aus. Für Öl änderte sich dies mit dem Preisverfall und der verstärkten Unsicherheit an den Märkten. So boten sich vermehrt Möglichkeiten, regionale, zeitliche oder produktbezogene Preisunterschiede zu nutzen.Die Preisstruktur von Erdöl ist derzeit nach dem Geschmack der Händler: Seit einiger Zeit sind die Notierungen für Öl in der Zukunft höher als die am Spotmarkt (“Contango”). Dadurch kann es sich lohnen, Öl zu kaufen, zu lagern und einige Zeit später zu einem höheren Preis zu verkaufen. Deshalb stehen auch Lagerkapazitäten derzeit hoch im Kurs.Hinzu kommt, dass die Margen im Raffineriegeschäft wegen der robusten Nachfrage und der niedrigen Preise für Öl relativ hoch waren. Unternehmen wie Vitol und Gunvor hatten in den vergangenen Jahren in die Erdölverarbeitung investiert. Von der Preisentwicklung hatten im Vorjahr auch die großen integrierten Ölkonzerne wie Royal Dutch Shell, BP und Total profitiert, die neben Raffinerien auch Handelsabteilungen unterhalten. Öder Metall- und AgrarmarktFür Rohstoffhändler, die vor allem Metalle oder Agrargüter bewegen, sind es hingegen schwierigere Zeiten. Bei den Preisen beider Rohwarengruppen herrscht geringe Volatilität vor; entsprechend sprudeln die Profite hier weniger üppig. Exemplarisch steht dafür Glencore; der Konzern handelt mit Erdöl, Kupfer und Getreide. Während die Energiesparte gewinnträchtiger wurde, mussten Metalle und Lebensmittel Federn lassen; von der Metallproduktion, wo das niedrige Preisniveau auf die Ergebnisse durchschlägt, ganz zu schweigen.Die Unterschiede zeigen sich auch im Zufluss von Investorengeldern: Von den zuvor schwer gebeutelten Rohstoffmärkten scheinen für Anleger nach Daten von Barclays vor allem Erdöl und Gold attraktiv zu sein.Der Agrarhändler Louis Dreyfus, der sein Geschäft größtenteils in der Schweiz abwickelt, verzeichnete 2015 einen Rückgang des Reingewinns um 67 % auf 211 Mill. Dollar. Der seit Oktober amtierende Chef, Gonzalo Ramírez Martiarena, sprach von eingeschränkten Geschäftsmöglichkeiten. Zwei aufeinander folgende Jahre mit reichlichen Ernten sowie wenige logistische Störungen bedeuteten eine geringe Volatilität. Eine Folge des “schlechteren” Umfelds waren das Zurückfahren der Investitionen und der Beginn einer Suche nach Partnern für die Bereiche Orangensaft, Milch, Dünger und Metalle. Im Rekordjahr 2010 wies Louis Dreyfus noch einen Überschuss von mehr als 1 Mrd. Dollar aus. Erhöhtes AusfallrisikoDie amerikanischen Agrarkonzerne ADM (Archer Daniels Midland) und Cargill zeigten sich ebenfalls schwächer auf der Brust, während Bunge zulegen konnte. Neben der geringen Volatilität lastete auch ein starker Dollar auf den Unternehmensbilanzen. Die Konzerne, die in Fachkreisen unter der zusammenfassenden Abkürzung “ABCD” bekannt sind, dominieren den weltweiten Handel mit Weizen, Soja und Baumwolle.So sehr die Ölhändler die Preisschwankungen freuen, so bewusst ist ihnen, dass das Preisniveau und die Volatilität ihren Tribut in der Energiebranche fordern. Vitol sprach von einem gegenwärtig erhöhten Ausfallrisiko von Kunden und Lieferanten. Zudem benötigen Produzenten, die eine Vorauszahlung der Händler mit Erdöl begleichen, länger, um ihre Schuld zurückzuzahlen. Darüber hinaus nehmen bei Schwankungen auch die Kosten zur Absicherung von Preisrisiken bei physischen Warengeschäften zu. Und mit dem Trend, dass viele Handelshäuser auch in Sachanlagen wie Produktionsstätten, Raffinerien, Lager- und Logistikinfrastruktur investieren, kann sich auch die Notwendigkeit von Wertberichtigungen erhöhen, wenn fallende Preise künftige Geldflüsse beeinträchtigen. Deshalb sollten in der besten aller Welten für Händler auch die Preise steigen – unter starken Schwankungen.