Rücktritt oder Rauswurf? Der Push-out Score kommt der Antwort näher

Analysemodell hilft Investoren zu erkennen, ob ein CEO zum Abgang gezwungen wurde - Universitäten Stanford und Harvard weisen Kapitalmarktrelevanz nach

Rücktritt oder Rauswurf? Der Push-out Score kommt der Antwort näher

Von Daniel Schauber, FrankfurtDer CEO tritt zurück, “um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen”. Da weiß man Bescheid. Wenn schon die Lieben daheim zur Begründung herhalten müssen, wurde die Führungskraft wohl eher gefeuert.Gewissheit darüber, wer die Initiative zur Trennung ergriff und wie groß der Druck auf den Manager war, ist selten zu erlangen. Das gilt auch dann, wenn das Unternehmen betont, der Manager gehe “auf eigenen Wunsch”. Möglicherweise wurde ihm nahegelegt, “freiwillig” zurückzutreten, bevor man sich gezwungen sehe, ihn zu entfernen, frei nach der Drohung von Goethes Erlkönig: Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt. Auch auf “Personen, die mit der Angelegenheit vertraut sind” und die Journalisten gern in den Block diktieren, “wie es wirklich war”, um Berichte zu ihren Gunsten zu beeinflussen, ist kein Verlass. Zehn PunkteHalb zog es ihn, halb sank er hin? Wer kann es sagen? Weiß Gott! Doch der Versuch liegt nahe, über die systematische Auswertung von Indizien zu einem belastbaren Urteil zu gelangen. Deshalb habe ich das Analysemodell “Push-out Score” entwickelt, das dazu beitragen soll, mehr Klarheit zu gewinnen. Anders als in der Wissenschaft gängige Modelle, die CEO-Abgänge strikt als erzwungen oder freiwillig kategorisieren, ergibt der Push-out Score einen Punktwert auf einer Skala von 0 bis 10. Er steht für die Sicherheitswahrscheinlichkeit, dass der Abtritt unter Druck erfolgte. Ein Wert von 0 bedeutet, dass ein erzwungener Abgang überhaupt nicht wahrscheinlich ist, und 10 Punkte werden festgelegt, wenn ein unfreiwilliger Abgang offensichtlich ist – etwa bei Kündigung aus wichtigem Grund oder nach offenem Streit. Da man sich der Wahrscheinlichkeit eines erzwungenen Abtritts allenfalls indirekt nähern kann, stützt sich der Push-out Score auf sogenannte Proxy-Variablen. Es sind öffentlich verfügbare Daten aus neun Kategorien:- Form der Mitteilung- Sprache in der Mitteilung- Alter des abtretenden Managers- Mitteilungsfrist- Amtszeit- Aktienkursentwicklung- Offiziell genannter Grund- Umstände des Wechsels- Nachfolge (z. B. extern/intern)Wenn die Daten ein Warnsignal erzeugen, wird der jeweiligen Kategorie der Wert 1 zugewiesen; wenn nicht, lautet der Wert 0. Der Push-out Score entspricht der Summe der Werte aus den neun Kategorien.Das mit Algorithmen gesteuerte Modell wurde Ende 2016 auf der Website exechange.com vorgestellt und fand im angelsächsischen Raum schnell Beachtung. Corporate-Governance-Experten der Universität Stanford (David Larcker und Brian Tayan) und der Harvard University (Ian Gow) haben das Modell untersucht und festgestellt, dass hohe Push-out Scores mit starker Aktienkursvolatilität einhergehen (vgl. BZ vom 15. Juli). Am 14. August berichtete das “Wall Street Journal” auf der Titelseite über den Push-out Score, einen Tag später die Londoner “Times” und jüngst der “Harvard Business Review”. Was wirklich geschah, als der CEO zurücktrat, kann natürlich auch der Push-out Score nicht klären. Niemand kann es ergründen. Denn würden zehn neutrale Zeugen wahrheitsgemäß und unabhängig berichten, was sich zutrug, so würde man wohl zehn (zumindest leicht) verschiedene Wahrheiten hören. Und selbst wenn der Berichterstatter selbst Zeuge des Geschehens wäre: Wüsste er tatsächlich, was wirklich war?Wir kennen nie die ganze Geschichte. Wir wissen, was Menschen sagen und was sie tun. Wir wissen nicht, was sie denken. Selbst wenn wir mit eigenen Augen sehen, wie der CEO buchstäblich zur Tür gebracht wird und sich dabei im wahrsten Sinne des Wortes mit Händen und Füßen wehrt (ja, es gibt auch so extreme Fälle), so kann es sein, dass er den Rauswurf bewusst provoziert hat (“Wenn man will, dass ich gehe, muss man mich schon feuern”) und der Beobachter nichts anderes zu sehen bekommt als eine große Show. Mit Größe und HumorEs gibt auch Managementwechsel, bei denen ein Dekodierungsversuch der Hintergründe mit Hilfe des Push-out Scores völlig überflüssig ist. Zum Beispiel, wenn der CEO Kraft und Größe hat, den Moment der Niederlage, der auch befreiend sein kann, mit einem Schuss Humor zu nehmen. Groupon-CEO Andrew Mason verabschiedete sich 2013 mit diesen Worten: “Nach viereinhalb intensiven und wunderbaren Jahren als CEO von Groupon habe ich entschieden, mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen. War nur Spaß – ich wurde heute gefeuert.”