Russisches Gas erfordert neue Pipelines

Die Ostseepipeline Nord Stream 2 wird immer wahrscheinlicher - Für den Weitertransport werden bereits weitere Ausbaupläne für das europäische Netz geschmiedet

Russisches Gas erfordert neue Pipelines

Es wird immer wahrscheinlicher, dass die Ostseepipeline Nord Stream ausgebaut wird. Das erhöht auch den Bedarf an Anbindungspipelines in Deutschland und in Tschechien bis nach Österreich. Eine neue Pipeline von Greifswald nach Tschechien ist bereits angedacht. Die nötigen Investitionen dürften bis zu 7 Mrd. Euro ausmachen.Von Eduard Steiner, MoskauDer Geschwindigkeit nach zu urteilen, mit der das russisch-europäische Konsortium zum umstrittenen Ausbau der Ostseegaspipeline Nord Stream Fakten schafft, stehen dem Projekt keine Barrieren mehr im Weg. So wurde Mitte März bekanntgegeben, dass die Lieferanten für die beiden zusätzlichen Leitungsstränge (Nord Stream 2) aus Russland nach Deutschland ausgewählt sind. Demnach erhält der deutsche Hersteller Europipe GmbH ganze 40 % der Aufträge. Den Rest teilen sich zwei russische Konzerne. Ab 2018 soll der Bau beginnen. 8,4 Mrd. bis 9 Mrd. Euro wird er verschlingen. Nach Fertigstellung würde die Kapazität der zwei bestehenden Leitungsstränge um 55 Mrd. auf 110 Mrd. Kubikmeter pro Jahr verdoppelt.Zwar regt sich vor allem in den osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten politischer Widerstand, weil Sorge um die Energiesicherheit und vor allem Bedenken bestehen, dass die bisherige Route des russischen Gastransportes nach Europa über die Ukraine zugunsten von Nord Stream 2 aufgegeben wird und sowohl in der Ukraine wie auch in der Slowakei Transitgebühren wegfallen. Aber die Position dieser Staaten, die kürzlich einen Protestbrief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geschickt haben, ist Schwach. Erweiterungen nötigWährend zwischen Brüssel, Berlin und Moskau noch politisch und juristisch wegen der Pipeline durch das Meer gepokert wird, laufen im Hintergrund die Hochrechnungen und Vorbereitungen für Leitungskapazitäten, um das beizeiten im deutschen Greifswald ankommende zusätzliche russische Gas auch durch Deutschland und darüber hinaus weiterzutransportieren und -verteilen zu können. Denn in der deutschen und europäischen Gastransportinfrastruktur bestehen Engpässe. Noch ist die öffentliche Diskussion darüber nicht angelaufen. Es besteht denn auch die Befürchtung, dass eine innerdeutsche Diskussion über die Anschlusspipelines den Gegnern von Nord Stream 2 neue Munition liefere und das Projekt noch gefährden könnte, heißt es in einem deutschen Geheimdienst-Papier, das der Börsen-Zeitung vorliegt.Nach Vorstellung des Konsortiums für Nord Stream 2, zu dem neben der russischen Gazprom noch die deutschen Konzerne Eon und die BASF-Tochter Wintershall sowie die britische Shell, die österreichische OMV und die französische Engie gehören, soll fast ein Drittel der künftig in Greifswald ankommenden neuen Gasmenge zu den Hubs in Nordwesteuropa fließen und von dort innerhalb Deutschlands oder zum Weitertransport nach Holland verteilt werden. Die restlichen zwei Drittel sollten zum zentraleuropäischen Hub nach Baumgarten nahe Wien transportiert werden.Recherchen der Börsen-Zeitung haben ergeben, dass eine bloße Ausweitung der bestehenden Pipelinekapazitäten nicht ausreichen würde und gegebenenfalls neue Pipelines gebaut werden müssten, um das zu stemmen. Das Betreiberkonsortium von Nord Stream 2 hat laut Szenariorahmen der deutschen Fernnetzbetreiber eine Einspeiskapazität von im Schnitt jährlich 65 Mrd. Kubikmeter für die Jahre 2019 bis 2042 für Greifswald angefragt hat. Mit anderen Worten: Ab 2019 wird jährlich so viel zusätzliches Gas in Greifswald ankommen.Sieht man sich die Anfragen für die Destinationen an, zu denen dieses Gas fließen soll, so sind ab 2019 jährlich ganze 54 Mrd. Kubikmeter für den Export nach Tschechien und weiter nach Österreich und Italien angefragt. Rechnet man die Mengen hinzu, die jetzt schon von Norden nach Süden fließen, so ergibt das Experten zufolge unterm Strich einen Kapazitätsbedarf von etwa 70 Mrd. Kubikmeter. Die jetzigen Leitungskapazitäten von Nord nach Süd betragen maximal 50 Mrd. Kubikmeter.In ihrem aktuellen Netzentwicklungsplan haben die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber zumindest für das deutsche Bundesgebiet keine neuen Pipelines vorgesehen und wollen dem neuen Kapazitätsbedarf möglichst mit der Erweiterung bestehender Pipelines begegnen. Sollte Nord Stream 2 realisiert werden, würde sich der innerdeutsche Investitionsbedarf bis 2027 um gerade mal 500 Mill. Euro erhöhen, so die Fernleitungsnetzbetreiber in ihrer Hochrechnung.An anderer Stelle schätzt man die Situation anders ein. Vor allem für die Verbindung von der Ostsee nach Tschechien werden Adaptierungen der bestehenden Leitungen nicht reichen. “Wir denken für die Verbindung von Greifswald nach Tschechien über eine komplett neue Anbindungsleitung nach, der wir den Namen ,Eugal` gegeben haben”, wird Ludger Hümbs, zuständiger Manager beim Ferngasnetzbetreiber Gascade, im Fachmagazin des Kommunikationsdienstleisters Energate zitiert. Eine Sprecherin von Gascade bestätigt auf Anfrage solche Überlegungen. Auch Walter Boltz, der scheidende Chef des österreichischen Energieregulators E-Control, schlägt in dieselbe Kerbe: “Wenn die Russen den Transit durch die Ukraine völlig beenden und alle 50 bis 60 Mrd. Kubikmeter, die derzeit über den ukrainischen Transit kommen, künftig über die Ostsee liefern, braucht es eine neue Pipeline von Greifswald nach Tschechien”, sagt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung und nennt deren sinnvolle Kapazität: 30 Mrd. Kubikmeter. Dass an einer Pipeline des Namens “Eugal” getüftelt wird, geht auch aus einer Stellenausschreibung des Energieministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom März für einen “Sachbearbeiter Planfeststellung” hervor. Noch ist freilich nichts fix. Die Ferngasnetzbetreiber legen diese Woche ihre neuen Entwürfe der Bundesnetzagentur vor, die dann ab Mitte April weiter darüber berät. Kostenschätzungen variierenAuch in Tschechien, der Slowakei und Österreich hat der Diskussionsprozess auf Expertenebene längst gestartet. Der Transport durch Tschechien ist dabei nicht das Hauptproblem, weil in den dortigen beiden Transgas-Großpipelines, die jetzt russisches Gas aus dem ukrainischen Transit in den Westen und Norden transportieren, einfach die Fließrichtung umgedreht werden muss. Kernfrage ist vielmehr ist, ob man für den Transport des Nord-Stream-Gases von Tschechien nach Österreich doch endlich die seit langem überlegte Verbindungspipeline Baci aus der Brünner Gegend zum Hub in Baumgarten bei Wien bauen soll.Was die Kosten betrifft, die der Bau aller Anbindungspipelines für Nord Stream 2 in Deutschland, Tschechien und Österreich nach sich ziehen würde, so gehen die Schätzungen weit auseinander. Die deutschen Leitungsnetzbetreiber nennen auf Anfrage keine Zahl. Von etwa 2 Mrd. Euro spricht Michail Kortschemkin, Chef von East European Gas Analysis. Als unrealistisch weist dies Boltz zurück und veranschlagt seinerseits bis zu 7 Mrd. Euro.