Sartorius fast wie ein Start-up bewertet
Von Annette Becker, Düsseldorf
Der Dax hat im zu Ende gehenden Jahr einen Höhenflug hingelegt. Unterstützt von der breiten konjunkturellen Erholung, der üppigst vorhandenen Liquidität im Markt und der Suche der Anleger nach Rendite im Umfeld negativer Zinsen hat der deutsche Blue-Chip-Index 16 % an Wert gewonnen. Doch nicht alle Branchen und Unternehmen haben an der Kursrallye teilgenommen.
Zum Teil liegt das an hausgemachten Problemen einzelner Unternehmen, zum Teil kämpfen ganze Branchen mit widrigen Rahmenbedingungen – Stichwort: Lieferengpässe. Doch selbst in Branchen, in denen die Nachfrage brummt, schlug sich die wirtschaftliche Entwicklung nicht notwendigerweise in hohen Kurszuwächsen nieder, wie eine Analyse der Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) der Dax 40-Unternehmen zeigt.
Trotz der gestiegenen Kurse ist der Blue-Chip-Index selbst mit einem KGV von gut 14 im Vergleich zu TecDax und MDax noch moderat bewertet. Ganz generell gilt: Je niedriger das KGV, desto preisgünstiger und attraktiver ist die jeweilige Aktie und vice versa. Letztlich gibt die Kennziffer an, wie viele Jahre das Unternehmen bei gleichbleibendem Gewinn benötigt, um seinen aktuellen Börsenwert zu verdienen.
Natürlich hat das KGV in manchen Fällen nur eingeschränkte Aussagekraft, allen voran bei wachstumsstarken Unternehmen. Sie erwirtschaften in der Regel nur kleine oder keine Gewinne, da viel in Wachstum investiert wird. Ein Beispiel dafür ist der Lieferdienst Delivery Hero, der erst kürzlich mit seiner strategischen Rolle rückwärts für Schlagzeilen sorgte. Da der Essenslieferant in den roten Zahlen steckt, lässt sich kein KGV ermitteln. Gleichwohl ist der Lieferdienst, der im Sommer 2020 für die insolvente Wirecard in den Blue-Chip-Index aufstieg, mit 24,7 Mrd. Euro sportlich bewertet.
Zum Vergleich: Der Kochboxenanbieter Hellofresh, dem der Aufstieg in den Dax im Zuge der Erweiterung auf 40 Werte gelang, bringt aktuell 11,7 Mrd. Euro auf die Waage und gehört mit einem KGV von 40,35 auf Basis des für 2022 erwarteten Gewinns zu den „teuersten“ Dax-Werten. Getoppt werden die Berliner nur von Sartorius (KGV: 69,06), Zalando (65,73) und Symrise (42,37). Wie Delivery Hero und Hellofresh gehört auch der Versandhändler Zalando zu den Gewinnern der Pandemie. Doch trotz der ambitionierten Bewertung fiel die Kursentwicklung von Zalando und Delivery Hero 2021 enttäuschend aus. Beide Aktien notieren deutlich unter ihren Kursen zum Jahresbeginn. Besser bewertet als der Dax sind auch die drei Werte der Siemensfamilie.
Teure Gesundheitswerte
Die 1870 gegründete Sartorius, mit einem KGV von knapp 70 fast wie ein Start-up bewertet, darf ebenfalls zu den Profiteuren der Krise gezählt werden. Der Laborausrüster gehört der Gesundheitsbranche an, die mit der Pandemie neue Wertschätzung erfuhr. In die gleiche Kategorie fallen Qiagen, Siemens Healthineers und Merck. Schwächer schneiden die Gesundheitswerte FMC, Fresenius und Bayer ab. Während Fresenius samt Dialysetochter FMC unter den Folgen der Pandemie leidet, verderben bei Bayer unverändert die von Monsanto geerbten Rechtsstreitigkeiten die Stimmung.
Nachhaltigkeitsdefizite
Mit einem KGV von 6,89 weist die Aktie der Leverkusener eines der niedrigsten KGVs im Dax auf. „Billiger“ sind nur die Autowerte, die sich allesamt am Ende des KGV-Rankings wiederfinden. Die Automobilbranche ist die vom Halbleitermangel am schwersten getroffene Industrie. Ein schnelles Ende der Knappheit ist nicht zu erwarten. Vielmehr gehen Fachleute inzwischen davon aus, dass die Chipkrise frühestens 2023 behoben sein wird.
Die Lieferprobleme könnten indes nicht der einzige Grund für die niedrige Bewertung sein. Denn in Zeiten, in denen Nachhaltigkeit immer größere Bedeutung erlangt, könnte sich hier bereits die neue Investorensicht niedergeschlagen haben. In dieses Bild passt, dass mit Covestro, Heidelberg Cement und BASF just drei Unternehmen im KGV-Ranking unterdurchschnittlich abschneiden, bei denen Nachhaltigkeitsdefizite ausgemacht werden.