RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: SILVIO CAPPELLARI

Schadenersatzklagen machen Kronzeugenanträge weniger attraktiv

Niedrige Kartellbußen oft nicht mehr das wichtigste rechtliche Ziel

Schadenersatzklagen machen Kronzeugenanträge weniger attraktiv

– Herr Capellari, Deutsche Bahn, Nestlé, Schlecker: Immer mehr Unternehmen, die durch ein Kartell geschädigt wurden, fordern von den Kartellanten Schadenersatz. Bei Schlecker hat sogar der Insolvenzverwalter ein Verfahren gegen Süßwarenhersteller eingeleitet. Woher kommt diese Klagefreudigkeit?Die rechtlichen Rahmenbedingungen, um Kartellmitglieder rechtlich zu belangen, sind in Deutschland sehr gut. Die anstehende Umsetzung der EU-Schadensersatz-Richtlinie bringt weitere erhebliche Erleichterungen für die Kläger, so dass mit einer weiteren Zunahme von Schadensersatzklagen zu rechnen ist.- Was bedeutet das für kartellbeteiligte Unternehmen?Sie müssen umdenken. Das Vermeiden oder Mindern einer drohenden Kartellbuße ist nur eine und nicht zwingend die beste Option. Denn möglicherweise droht dann ein höheres Schadensersatzrisiko. Dementsprechend ist auch die Kronzeugenregelung nicht mehr grundsätzlich erste Wahl. Wir sehen am Markt bereits einen signifikanten Rückgang von Kronzeugenanträgen. Parallel dazu wird die strategische Beratung von Kartellanten vielschichtiger und komplexer.- Steht die Kronzeugenregelung damit vor dem Aus?Bislang war es für ein Unternehmen, das einen Kartellverstoß festgestellt hatte, häufig empfehlenswert, mit den Kartellbehörden zu kooperieren und eine Kronzeugenerklärung einzureichen. Allerdings können auch Kronzeugen von geprellten Unternehmen verklagt werden. Das macht ein solches Schuldeingeständnis weniger attraktiv. Dennoch ist es empfehlenswert, einen Antrag zumindest “für die Schublade” vorzubereiten. Dann kann ein Unternehmen im Notfall schnell auf Durchsuchungen der Kartellbehörden reagieren und so wenigstens eine Ermäßigung des drohenden Bußgelds erreichen.- Was sollten Unternehmen während des Verfahrens beachten?Aus Effizienzerwägungen sind die Kartellbehörden verstärkt dazu übergegangen, den beteiligten Unternehmen einen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten. Die Annahme eines solchen Angebotes muss strategisch gut überlegt sein.- Und dagegen spricht?Dagegen spricht, dass die damit verbundene Verminderung des Bußgelds um bis zu 10 % nicht besonders üppig ausgestaltet ist. Zudem müssen Unternehmen im Falle eines Vergleichs mit einer deutlich früheren Bußgeldentscheidung rechnen, auf deren Grundlage Schadensersatzforderungen erhoben werden können. Andererseits enthält eine Settlement-Entscheidung weit weniger detaillierte Informationen, die für die Schadensermittlung relevant sind. Angesichts dieser widerstreitenden Gesichtspunkte kann die vorzunehmende Abwägung von Unternehmen zu Unternehmen durchaus unterschiedlich ausfallen. Dementsprechend dürfte auch die Zahl der sogenannten hybriden Entscheidungen steigen. Hier willigen einige Unternehmen in einen Vergleich ein, während andere sich für ein streitiges Verfahren entscheiden.- Gibt es auch sinnvolle Strategien nach Abschluss des behördlichen Kartellverfahrens?Auch hier wird die strategische Ausrichtung zunehmend durch die drohenden Schadensersatzklagen bestimmt. Häufig empfiehlt es sich, proaktiv auf Geschädigte zuzugehen, um einen außergerichtlichen Vergleich herbeizuführen und so die wirtschaftlichen Beziehungen nicht durch einen jahrelangen Rechtsstreit zu gefährden.- Macht sich die neue Gemengelage auch im Anwaltsmarkt bemerkbar?In den vergangenen Monaten haben eine Reihe angelsächsischer Kanzleien, die auf die Vertretung von Schadensersatzklägern spezialisiert sind, Dependancen in Deutschland eröffnet und gezielt kartellrechtliche Expertise an Bord geholt. Diese Kanzleien agieren zunehmend aggressiv. Ein Beispiel hierfür ist das im Januar angekündigte Vorhaben, gegen deutsche Kreditinstitute wegen möglicher Absprachen über Kartengebühren vorzugehen. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Stand-alone-Klage: Das Kartellamt hat hier gar kein Bußgeld verhängt.—-Silvio Cappellari ist Partner bei SZA Schilling, Zutt & Anschütz. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.