Schütt aus, hol zurück
Schon die gern zitierte schwäbische Hausfrau weiß, dass man nur ausgeben sollte, was man vorher verdient hat. Dies gilt nicht nur in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Viele Unternehmen haben es in den zurückliegenden guten Jahren damit nicht so genau genommen, denn die Niedrigzinsen lockten zum Leben auf Pump. Das galt insbesondere für die Ausschüttungspolitik. Unternehmen haben ihre Aktionäre nicht nur mit ordentlichen Dividenden, sondern vor allem mit außerordentlichen Aktienrückkäufen bedient, finanziert mit billigem Fremdkapital. Im RückkaufrauschIn den zehn Jahren seit der Finanzkrise haben beispielsweise US-Unternehmen Aktien im Wert von 4 300 Mrd. Dollar zurückgekauft und damit die Hausse befeuert. Der Rekord an Wall Street wurde im Jahr 2018 erreicht, als die im S&P 500 geführten Unternehmen für 806 Mrd. Dollar eigene Aktien zurückkauften. 2019 waren es noch 729 Mrd. Dollar (vgl. BZ vom 31. März). Das Leverage nach oben zu fahren, ohne von den Ratingagenturen abgestraft zu werden, galt als hohe Kunst der Finanzvorstände.Jetzt, in der Krise, wird es eng: Umsätze brechen weg, laufende Kosten fressen die knapp kalkulierte Liquidität, Ratingagenturen senken den Daumen. Bei den Finanzdienstleistern haben inzwischen die Aufsichtsbehörden dies- und jenseits des Atlantiks einen Riegel vorgeschoben und nicht nur die Aktienrückkäufe gestoppt, sondern auch den Verzicht auf Dividendenzahlungen angemahnt (vgl. Berichte Seite 1 und 2). Zugang zu Eigenkapital Inzwischen schwappt die Diskussion über den Verzicht auf Ausschüttung auf die Industrie über, am lautesten aktuell in Frankreich (vgl. Bericht Seite 8). Zumal jene Unternehmen, die staatliche Hilfsprogramme in Anspruch nehmen, sollten nicht im selben Zug Dividende an ihre Aktionäre ausschütten, so die auf den ersten Blick nachvollziehbare Forderung. Auf den zweiten Blick entlarvt sich dieses Postulat zwar als stammtischfähig, aber wenig durchdacht. Anders als Banken und Versicherer handelt es sich bei Industriefirmen nicht um für das Finanzsystem relevante Gesellschaften. Nicht einmal für bestimmte Branchen sind einzelne Unternehmen, sofern sie keine Monopolisten sind, existenziell – weder Adidas noch Apple, weder Cisco, Novartis oder Softbank.Solange Unternehmen nicht völlig verstaatlicht sind, ist für sie der Zugang zum Eigenkapitalmarkt lebensnotwendig. Der funktioniert aber nur, wenn die Eigenkapitalgeber eine Verzinsung ihres Investments erwarten können, sei es in Form von Dividenden oder von Aktienkurssteigerungen, unter anderem aufgrund von Rückkäufen. Wobei der Appetit auf Rückkäufe angesichts der weltweiten Kursstürze und der bevorstehenden Rezession in den meisten Unternehmen vorerst erledigt sein dürfte. Dividenden sind nötigAnders verhält es sich bei den Dividendenausschüttungen. Management und auch Aktionäre haben ein vitales Interesse daran, die finanzielle Solidität ihres Unternehmens nicht durch zu üppige Dividendenzahlungen zu gefährden. Entsprechend haben viele Unternehmen bereits freiwillig je nach zu erwartender Geschäftslage die Dividenden für 2019 gekürzt oder ganz gestrichen. Die Ausschüttungssumme der 160 in Dax, MDax und SDax enthaltenen Unternehmen wird, Stand heute, für 2019 nur noch 44 Mrd. Euro betragen und damit 14 % weniger als im Jahr zuvor, als rekordhohe 51 Mrd. Euro ausgekehrt wurden (vgl. BZ vom 3. April).Es gibt aber Unternehmen, die sich auch in der Krise durch relative Stabilität auszeichnen oder gar zu den “Krisengewinnern” gehören, wie zum Beispiel Pharma- oder Medizintechnikhersteller, aber auch IT-Firmen. Deren auch gesellschaftspolitisch gewünschtes, weil die Versorgung sicherndes Wachstum muss finanziert werden – nicht durch die Notkredite der KfW, sondern durch Geld vom Kapitalmarkt. Entsprechend muss es auch in der Krise möglich sein, diese Geldgeber via Dividende an einem Teil der erwirtschafteten Gewinne teilhaben zu lassen.Für viele Aktionäre sind Dividendeneinnahmen existenziell. Stiftungen, die meist auch Aktien in ihren Portfolien halten, könnten ohne diese Zuflüsse nicht ihren sozialen oder wissenschaftlichen Zwecken nachkommen, Pensionsfonds nicht ihren laufenden Zahlungsverpflichtungen beziehungsweise müssten die Substanz angreifen und Vermögen in einer äußerst ungünstigen Marktphase liquidieren. In diesen Fällen würde ein generelles Ausschüttungsverbot die Krise verschärfen.Um die Liquidität der ausschüttenden Unternehmen dennoch nicht zu belasten, sollte in diesen Krisenzeiten auf ein bewährtes Instrument zurückgegriffen werden, das aufgrund steuerlicher Benachteiligung leider in Vergessenheit geraten ist: Schütt aus, hol zurück. In Zeiten, als Dividendenausschüttungen noch nicht automatisch mit einer Abgeltungssteuer belastet wurden, war es vielfach üblich, dass Unternehmen nach der Dividendenzahlung über eine Kapitalerhöhung dieses Geld wieder am Markt einsammelten. Aktionären war es also freigestellt, die Ausschüttung wieder in dasselbe Investment zu stecken, sie anderweitig zu investieren und damit zu diversifizieren oder sie zu konsumieren. Weg mit der Besteuerung!In der Krise sollte sich der Finanzminister deshalb nicht nur Gedanken über die Fremdkapitalfinanzierung und die milliardenschweren Kreditprogramme machen, sondern auch über Anreize zur Stärkung der Eigenkapitalfinanzierung. Das mag in einem Ministerium, dem seit Jahren zum Thema Kapitalmarkt nur die Finanztransaktionssteuer einfällt, nicht ganz leicht sein. Aber dennoch: Nicht Verbot, sondern Förderung der Ausschüttung und Wiederanlage sind das Gebot der Stunde. Die Aussetzung der 25-prozentigen Kapitalertragsteuer für reinvestierte Ausschüttungen wäre eine krisen- und marktgerechte Maßnahme. – c.doering@boersen-zeitung.de——-Der Finanzminister sollte in der Krise nicht nur Kredite fördern, sondern die Kapitalertragsteuer für reinvestierte Dividenden aussetzen.——