Virtuelle Hauptversammlung fällt bei Siemens durch
Virtuelle Hauptversammlung fällt bei Siemens durch
Aktionäre lehnen Verzicht auf Präsenz ab – Lob für den Geschäftsverlauf – Kritik an Aktienkurs – Vorstandschef Busch kündigt „neues Betriebssystem“ an
Die Siemens-Aktionäre sind mit dem Geschäftsverlauf grundsätzlich zufrieden. Sie rügten jedoch den Anstieg des Aktienkurses im Vergleich zur Konkurrenz als zu niedrig. Das Vorhaben, auch künftig die Hauptversammlungen nur virtuell abzuhalten, erreichte mit 71,1% nicht die notwendige qualifizierte Mehrheit von 75%.
mic München
Die Siemens-Aktionäre haben auf der gut siebenstündigen virtuellen Hauptversammlung den Vorstand für die Geschäftsentwicklung gelobt. „Sie haben sehr gut gearbeitet“, sagte DSW-Vizepräsidentin Daniela Bergdolt: „Das war ein tolles, ein sehr gutes Jahr.“ Deka-Investment-Portfoliomanager Ingo Speich erklärte an die Adresse des Vorstandsvorsitzenden Roland Busch: „Sie haben die Siemens-Maschine gut geölt.“ Siemens beglücke die Aktionäre mit einem starken Anstieg des Aktienkurses, einer sehr guten Dividende und Aktienrückkäufen: „Alles in allem eine sehr erfreuliche Entwicklung.“
„Bewertungslücke viel zu hoch“
Die Vertreter der Investmentgesellschaften rügten jedoch vor 3.000 Teilnehmern (Präsenz 63,4%) die Entwicklung des Aktienkurses trotz des Anstiegs als unterdurchschnittlich. Vera Diehl von Union Investment rechnete vor, die Gesamtrendite seit der Amtsübernahme von Busch im Februar 2021 betrage zwar 76%. Damit sei sie einen Tick besser als der MSCI World Industrials Index, aber schlechter als die Wettbewerber Schneider Electric und ABB, die im selben Zeitraum 110% und 142% geschafft hätten.
„Die schon seit Jahren bestehende Bewertungslücke zwischen Siemens und den Wettbewerbern ist immer noch viel zu hoch“, sagte auch Speich. Gegenüber Schneider betrage sie mehr als 40%: „Bisher ist eine Neubewertung der Siemens-Aktie ausgeblieben.“ DWS-Fondsmanagerin Sabrina Reeh wies auf die US-Konkurrenz hin: „Welchen Wert eine konsequente Fokussierung auf eigenständige Geschäftsbereiche schaffen kann, zeigt die Entwicklung bei General Electric.“
Healthineers-Aktiendividende
Die Konglomeratsstruktur ist nach Ansicht von Speich die größte Bürde für die Aktie. Handlungsbedarf bestehe vor allem bei den beiden Töchtern Healthineers und Energy. Der Siemens-Vorstand baut die Siemens-Energy-Beteiligung bereits schrittweise auf nun 14,3% ab. Über die Zukunft des Siemens-Healthineers-Pakets von 75% – fünf Prozentpunkte sollen schon im Sommer abgegeben werden – will das Management auf dem Kapitalmarkttag im Dezember informieren.
Bei Healthineers sei eine Reduktion auf etwas mehr als 50% ohne bilanzielle Änderung möglich, sagte Speich. „Geben Sie die Healthineers-Aktien als Aktiendividende an Ihre Aktionäre“, so sein Appell an die Verwaltung: „Oder nutzen Sie Healthineers als Akquisitionswährung.“ DWS-Managerin Reeh lenkte den Blick auf die Zugsparte von Siemens. Auch wenn Mobility eine hohe Kapitaleffizienz aufweise, hätten Digital Industries und Smart Infrastructure mittel- und langfristig ein höheres Gewinnwachstumspotenzial, sagte sie. Busch wiederholte in der Antwortrunde die Position, dass Mobility ein integraler Bestandteil des Konzerns sei.
Wichtiger als Rekord-Aktienkurse
Diehl von Union Investment formulierte als Zielbild, dass sich Siemens auf die beiden profitabelsten Geschäftsfelder Digital Industries und Smart Infrastructure fokussiere und damit kein Konglomerat mehr sein werde.
Busch begleitete die Aufforderung Speichs, die Transformation zu beschleunigen, gleich zu Beginn seiner Rede mit dem Konzept der „One Tech Company“. Damit passiere etwas Wesentlicheres als Rekordergebnisse und Rekord-Aktienkurse, sagte der Vorstandsvorsitzende: „Wir ändern unser Betriebssystem.“
ISS schwenkt ein
Busch scheint dabei an eine grundsätzliche Neuaufstellung zu denken. Was ein neues Betriebssystem bedeute, so seine rhetorische Frage. Die Antwort: „Es geht um Strukturen und Prozesse; unsere Arbeitsweisen; unsere Verhaltensweisen; darum, wie wir Erfolg messen und anerkennen.“ Es gebe „Spezialeinheiten“, die sich auf bestimmte Marktsegmente konzentrierten, etwa eine Branche oder eine Kundengruppe. Außerdem führte er eine intensivere Zusammenarbeit auch mit externen Partnern ins Feld.
Auf massive Kritik stieß das Ansinnen von Siemens, auch in Zukunft die Hauptversammlungen im rein virtuellen Format abzuhalten. Bergdolt erklärte, die DSW entlaste Vorstand und Aufsichtsrat aus Protest nicht. Vor der Hauptversammlung hatte sich der Stimmrechtsberater ISS, wie zuvor bei Tui, gegen die Ermächtigung ausgesprochen – sodass die erforderliche Zustimmungsquote von 75% verfehlt wurde. Die Verwaltung erreichte trotz hohen Einsatzes nur 71,1%.
Hybride Versammlung gefordert
„Die Coronazeit ist schon lange vorbei, das kann kein Grund mehr sein für Ihr Verharren im unpersönlichen, virtuellen Raum“, sagte Speich. Er forderte eine hybride Versammlung. Auch Union Investment verweigerte die Zustimmung zum entsprechenden Tagesordnungspunkt: „Einen Blankoscheck für die ‚Virtual only‘-Option erteilen wir nicht.“ Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe hatte dagegen zu Beginn der Hauptversammlung den Vorschlag verteidigt. Niemand müsse reisen, Aktionäre auch aus dem Ausland könnten mit Siemens im Kontakt bleiben.