Sozialisierung contra Mietwahnsinn?

Initiative in Berlin zielt auf Enteignungen gegen Entschädigungen - Deutsche Wohnen von Seiten der Politik stärker unter Druck - Investoren bisher gelassen

Sozialisierung contra Mietwahnsinn?

wb Frankfurt – Am Kapitalmarkt wird die Berliner Verstaatlichungsstory (noch) nicht erzählt, die Aktienkurse reagieren jedenfalls bisher nicht merklich auf Pläne in der Hauptstadt. Wegen der stark gestiegenen Mieten wollen Initiativen und in Teilen auch die Politik zu drastischen Mitteln bis zur Enteignung gegen Entschädigung greifen. Eine entsprechende Initiative wird mehrheitlich von der Bevölkerung unterstützt und auch von den Berliner Regierungsparteien SPD, Grüne und Linke. Damit sollen drohende Mietsteigerungen für an die 200 000 Bleiben verhindert werden. Im Visier ist vor allem die Deutsche Wohnen.Die Vorgeschichte: Der Senat hatte von 1990 an von 480 000 Wohnungen in kommunalem Eigentum mehr als 200 000 an verkauft – zu einem guten Teil über die Gehag und die GSW, die an Finanzinvestoren ging, später an die Börse geführt wurde und dann von der Deutschen Wohnen dem größten privaten Vermieter in der Hauptstadt, geschluckt wurde.Der Kaufpreis soll seinerzeit bei den Privatisierungen bei knapp 500 Euro je Quadratmeter gelegen haben, heute wird der Marktpreis auf mindestens 2 500 Euro im Bestand taxiert. Im April soll ein Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienunternehmen starten. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey finden 55 % der Berliner diese Aktion richtig. Umstritten ist, ob eine solche Enteignung rechtlich und finanziell möglich wäre. Der Senat erarbeitet eine amtliche Kostenschätzung: Seit 2010 sind die Angebotsmieten um 71 % gestiegen. In die AnstaltIn jedem Fall würde die Entschädigungssumme den Landeshaushalt über die Eingangsbilanz einer zu schaffenden Anstalt öffentlichen Rechts, die die fälligen Entschädigungen für die Enteignungen an die Unternehmen bezahlen würde, schwer belasten. Die Initiative, die das Volksbegehren vorbereitet, geht bei 190 000 betroffenen Quartieren von einem niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag aus. Bei durchschnittlich 50 Quadratmetern je betroffener Wohnung und 3 000 Euro je Quadratmeter käme man allerdings auf 30 Mrd. Euro – deutlich mehr als der Haushalt der Stadt umfasst. Und Berlin steht mit 54 Mrd. Euro in der Kreide.Enteignet werden sollen nach dem Willen der Volksbegehreninitiative, alle Firmen, die mehr als 3 000 Wohnungen besitzen. Das trifft laut “Tagesspiegel” auf fünf Unternehmen zu: Deutsche Wohnen (110 000 Quartiere), Vonovia (über 40 000), Akelius (11 000), Ado Properties (24 000) und Grand City (4000).Andere Mittel ohne Sozialisierung wären eine Erhöhung des Wohngelds, eine dichtere Bebauung zu erlauben und öfter das Vorkaufsrecht nutzen, wie es in Berlin schon geschieht. Dabei kauft der Mieter pro forma per Kredit der landeseigenen IBB und verkauft an die Gewobag, hinter der die öffentliche Hand steht.Schon länger bläst der Wind den erfolgsverwöhnten Großvermietern stärker ins Gesicht. So gab es kurz vor Weihnachten eine neue Wendung im Ringen um bezahlbaren Wohnraum in der Berliner Karl-Marx-Allee: Das Landgericht stoppte per einstweiliger Verfügung den umstrittenen Verkauf von 675 Bleiben in der einstigen DDR-Prachtstraße an die Deutsche Wohnen. Die Richter untersagten auf Antrag, das Geschäft zu vollziehen.Nach einer Analyse der DB Research stiegen die Preise für Bestandswohnungen 2018 um mehr als 15 % und für neue Wohnungen mussten mehr als 10 % mehr als zuvor gezahlt werden. Berlin ist damit laut Bulwiengesa in puncto Wohnungen im Bestand mittlerweile die elftteuerste deutsche Stadt (im Vorjahr noch Rang 15) und laut Numbeo mit Quadratmeterpreisen außerhalb der Innenstadt von 3 600 sogar die Nummer 20 in Europa. Mangel an Bauland Auch in Berlin resultiert die starke Preisdynamik aus einer hohen Zahl fehlender Wohnungen. Oftmals wird der Mangel an Bauland als einer der Hauptgründe für den Wohnungsmangel angeführt. Zwischen 2011 und 2017 (neuere Angaben gibt es noch nicht) ist die Zahl der Einwohner um nahezu 290 000 und die der Haushalte um fast 200 000 gestiegen. Die hohe Nachfrage beruht dabei auch auf den guten Berliner Arbeitsmarktdaten. Das Beschäftigtenwachstum von rund 4 % im Jahr 2016 und 2017 dürfte sich auch im Jahr 2018 ungebremst fortgesetzt haben, vermutet DB Research.Weitere strukturelle Verbesserungen der Schuldenstände und des Haushalts seien angesichts des anhaltenden Immobilien- und Wirtschaftsbooms wahrscheinlich, gerade vor dem Hintergrund weiter steigender Einwohnerzahlen. Die Stadt Berlin erwartet bis 2030 einen Zuwachs von mehr als 260 000 Einwohnern. “Die somit kontinuierlich zunehmende Wohnnachfrage dürfte noch über Jahre auf ein eher unelastisches Wohnangebot treffen”, heißt es in einer Analyse. Gerade für Berlin mit seiner besonders niedrigen Eigentümerquote (laut Zensus 2011 15,6 %, andere Metropolen über 20 % und Deutschland insgesamt 45,9 %) bestünden für viele Mieter starke Anreize, Wohneigentum zu erwerben, wenngleich das Mietwachstum zumindest für Bestandswohnungen deutlich nachgab. So gingen die jährlichen Mietsteigerungen auf 3 % zurück, während 2016 noch Zuwächse von 7 % und 2017 gar ein Sprung um 11 % zu verzeichnen gewesen sei. Superzyklus statt AlbtraumBis auf den Rückgang der Mietdynamik sprechen laut DB Research viele Faktoren für einen Berliner Superzyklus, der weit über 2020 andauern könne. Davon, dass Berlin für Investoren zum Albtraum werde, ist keine Rede. Wohnungen könnten im Zuge dieser Entwicklung dazu beitragen, dass die Hauptstadt zu einer der teuersten deutschen und auch europäischen Metropolen wird.Die öffentliche Hand nicht nur in Berlin hatte in der Vergangenheit Wohnungsbestände verkauft, weil sie Instandsetzungen und Modernisierungen nicht mehr schaffte. Unternehmen arbeiteten effizienter. Nachdem einst die öffentliche Hand versagte, deutet die Explosion der Mieten an, dass auch der Markt fehlgeht.