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Spaniens Kampf gegen die "turismofobia"

Von Thilo Schäfer, Madrid Börsen-Zeitung, 10.8.2017 Spanien ist eines der beliebtesten Urlaubsländer und die Nummer 3 weltweit, was die Zahl ausländischer Besucher angeht. Auch diesen Sommer strömen wieder Millionen von Touristen, vornehmlich...

Spaniens Kampf gegen die "turismofobia"

Von Thilo Schäfer, MadridSpanien ist eines der beliebtesten Urlaubsländer und die Nummer 3 weltweit, was die Zahl ausländischer Besucher angeht. Auch diesen Sommer strömen wieder Millionen von Touristen, vornehmlich Briten, Franzosen und Deutsche, an die Mittelmeerstrände, auf die Inseln und zunehmend in die großen Städte und ländlichen Gebiete im Inneren. Die seit jeher wichtige Tourismusbranche ist einer der treibenden Motoren des spanischen Konjunkturbooms und für dieses Jahr wird wieder ein neuer Besucherrekord erwartet. Da wirken die jüngsten Aussagen von Ministerpräsident Mariano Rajoy schon etwas verwirrend: “Ich weiß nicht, ob wir die Touristen mit einem Plakat ,Bienvenido señor turista` empfangen müssen, aber was nicht geht, ist jemanden, der hierher kommt und Geld ausgibt, mit Füßen zu treten”, sagte der Regierungschef nach der traditionellen Sommeraudienz mit König Felipe am Montag in Palma.Was ist geschehen? In den vergangenen Wochen häuften sich vielerorts in Spanien Unmutsbekundungen über den Ansturm der Touristen. Das reicht von Wandschmierereien wie “Tourist go home” bis zum Zerstechen der Reifen von Mietfahrrädern und Steinwürfen auf Hotels und Reisebusse, wie zuletzt in Barcelona. Das Wort der “turismofobia” (“Tourismusphobie”) geht derzeit in den Medien um. Solcherart aktiv sind freilich nur Minderheiten, denn die Spanier sind und bleiben ein äußerst gastfreundliches Volk. Doch die Kritik an den steigenden Besucherzahlen und gewissen Exzessen des Tourismus wird immer lauter.Nachdem die Wirtschaftskrise auch in der Reisebranche zu spüren war, verzeichnet Spanien seit Jahren einen Besucherrekord nach dem anderen. Nach 75 Millionen ausländischen Touristen 2016 erwartet die Regierung in diesem Jahr 83 Millionen Besucher, ein Anstieg von rund 10 %. Hinzu kommt, dass die Spanier durch den Konjunkturaufschwung wieder mehr im eigenen Land verreisen. Bedeutende BrancheDie Branche macht etwa 11 % des Bruttoinlandsproduktes aus und mehr als 13 % der Beschäftigung. Im zweiten Quartal stieg die Zahl der Erwerbstätigen im Tourismus laut der vierteljährlichen Erhebung EPA gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 1,8 % auf 2,53 Millionen Personen. Ein Job als Kellner, Rezeptionist oder Reiseführer ist für viele Menschen der einzige Weg, um Geld zu verdienen. Bei aller Freude über den Rückgang der immer noch hohen Arbeitslosigkeit bemängeln die Gewerkschaften jedoch die geringe Qualität dieser oft prekären Arbeitsverhältnisse. Auch manche Volkswirte warnen davor, dass die Wirtschaft und vor allem der Arbeitsmarkt, zu sehr von der Tourismusbranche abhängig werden. Es werden bereits Vergleiche zum Immobilienboom Anfang des Jahrhunderts gezogen.Der Ansturm der Gäste aus dem Ausland ist freilich nicht allein ein Verdienst der spanischen Hoteliers und Gastwirte. Das Land profitiert stark von den politischen Krisen der Konkurrenten im Geschäft mit Sand und Sonne, wie Ägypten, Tunesien und zuletzt auch die Türkei. Auch die Terroranschläge im benachbarten Frankreich haben offenbar verängstigte Reisende nach Spanien getrieben.Die Branche droht nun, am eigenen Erfolg zu ersticken. Viele Städte versuchen, die Besucherströme zu kontrollieren. Die Regionalregierung der Balearen hat diese Woche die Gesamtzahl der Betten in Hotels und Apartments auf 634 000 beschränkt. Barcelona, eines der begehrtesten Reiseziele Europas, hat eine Touristensteuer für Übernachtungen eingeführt und will demnächst auch Tagesausflügler belangen. In der ebenfalls überlaufenen baskischen Küstenstadt San Sebastián wird eine Abgabe auf Betten eingeführt, um “die negativen Auswirkungen einer außer Kontrolle geratenen Entwicklung zu vermeiden”, wie das Rathaus erklärte.Eines der Hauptprobleme, die hinter der “turismofobia” stecken, ist wie in vielen anderen Ländern der rasante Anstieg bei Ferienapartments, die sich in den letzten Jahren vervielfacht haben. 2016 zählte das nationale Statistikamt INE in den 22 wichtigsten Städten erstmals mehr Schlafplätze in diesen Apartments als Hotelbetten. Ein großer Teil dieser Wohnungen ist nicht angemeldet. Die örtlichen Behörden haben die Kontrollen dieser Apartments deutlich ausgeweitet. Barcelona etwa hat Airbnb, der wichtigsten Plattform für diese Branche, bereits mehrere Strafen aufgebrummt. Für die Bewohner wird erschwinglicher Wohnraum immer knapper. Die Hotels konnten die neue Konkurrenz bislang verkraften, da die Nachfrage in den wichtigsten Städten in den letzten zehn Jahren um 34 % gestiegen ist. Doch mancher Hotelier fragt sich schon, was mit diesen Kapazitäten geschieht, wenn es einmal nicht mehr so gut laufen sollte. “Wenn die anderen sich erholen, wird die Branche in Spanien dieses neue Phänomen viel deutlicher zu spüren bekommen”, sagte José Luis Zoreda, Vizepräsident des Hotelverbandes Exceltur.Experten und viele Unternehmer fordern ein neues Modell, bei dem die Qualität vor dem Anstieg der reinen Besucherzahlen steht. Denn die durchschnittlichen Ausgaben der Touristen sind zuletzt um nur 3 % gestiegen. Ziel ist daher vor allem der chinesische Markt, da Chinesen lieber shoppen gehen, als am Strand zu liegen. Ob damit der “turismofobia” entgegengewirkt werden kann, ist jedoch zu bezweifeln.