IM BLICKFELD

Spannungen mit Russland steigen - doch der Gaspreis fällt

Von Ulli Gericke, Berlin Börsen-Zeitung, 22.7.2014 Verkehrte Welt: Als im Winter die Krim-Krise eskalierte und sich Russland die Halbinsel völkerrechtswidrig einverleibte, ging im restlichen Europa die Angst um, die rohstoffreiche Nation könne als...

Spannungen mit Russland steigen - doch der Gaspreis fällt

Von Ulli Gericke, BerlinVerkehrte Welt: Als im Winter die Krim-Krise eskalierte und sich Russland die Halbinsel völkerrechtswidrig einverleibte, ging im restlichen Europa die Angst um, die rohstoffreiche Nation könne als Antwort auf verhängte Wirtschaftssanktionen die umfangreichen Gaslieferungen in den Westen stoppen. Bei anderen Rohstoffen, wie etwa Öl, hätte eine solche Gefechtslage umgehend rasant steigende Preise zur Folge gehabt. Nicht jedoch bei Erdgas: “Die Gaspreise sind momentan ein bisschen auf den Kopf gestellt”, staunt die deutsche Tochter des größten norwegischen Energieversorgers Statkraft, die hierzulande vier Gaskraftwerke betreibt. Statt steigender Preise sinken die Notierungen seit etwa dem Jahreswechsel – ohne dass eine Ende absehbar wäre. Die aus politischen Gründen “sehr, sehr präsenten Sorgen schlagen sich auf dem Markt nicht nieder”, beobachtet denn auch Arno Büx, der Deutschland-Chef des Gasspeicherbetreibers Storengy, einer Tochter der französischen GDF Suez.Tatsächlich hat sich der Egix, der European Gas Index, den die Leipziger Energiebörse EEX auf Basis börslicher Handelsgeschäfte als Index für Frontmonatskontrakte, also Gaslieferungen im nächsten Monat, ermittelt, seit Anfang Dezember von 28,50 Euro je Megawattstunde (MWh) auf 16,20 Euro fast halbiert.Gebremster, aber ähnlich in der Tendenz, ist die Preiskurve bei Jahreskontrakten zur Lieferung 2015, wo die Notierungen seit Mitte Januar von 26,60 Euro bis auf 23,45 Euro/MWh abbröckelten und erst in der vergangenen Woche wieder etwas zulegten (siehe Grafik). Für den Markt – so viel ist klar – gibt es also keine Krim-Krise, keine Blockadedrohungen, keine verzweifelte Suche in Brüssel nach alternativen Lieferländern und auch keine Sorgen wegen eines abgeschossenen Flugzeugs über der Ostukraine mit fast 300 Toten. Ölhändler sind üblicherweise deutlich nervöser. “Zwei Monate zu früh”Nun kann man mit gutem Recht einwenden, dass der Absturz des Egix-Indexes eine Folge des außergewöhnlich warmen Winters und Frühlings in Europa ist. Dadurch mussten Wirtschaft und Privathaushalte weniger heizen, was den Gasverbrauch merklich minderte. So richtig dieses Argument ist, es erklärt nicht die ebenfalls rückläufigen Notierungen bei den Jahreskontrakten, die Entwicklungen jenseits zufälliger kurzfristiger Ausschläge wie warmer Winter oder kalter Sommer widerspiegeln. Dass der milde Winter dennoch gravierende Auswirkungen hat, zeigt sich an den randvollen Speichern hierzulande. Diese 46 Puffer werden üblicherweise im Sommer bei ansonsten geringer Nachfrage gefüllt, um im Winter bei hohem Verbrauch – aber durch begrenzte Pipeline-Kapazitäten limitiertem Bezug – genügend Energie vorrätig zu haben. Im Normalfall sind die Speicher irgendwann im Oktober wieder gefüllt. In diesem Jahr sind die im Winter nur halb geleerten Anlagen schon jetzt wieder fast voll – “zwei Monate zu früh”, wie Matthias Jakob konstatiert, Senior Marktanalyst im Eon-Energiehandel.Da Russland – allen Befürchtungen zum Trotz – zumindest bis dato mit hoher Vertragstreue liefert, gibt es Gas mehr als genug. Darüber hinaus registriert Eon-Mann Jakob “überraschend hohe” Liquefied-Natural-Gas-(LNG-)Importe, also Einfuhren von verflüssigtem Gas.Hier präferieren LNG-Tanker zwar Märkte in Fernost, weil dort deutlich mehr für den verflüssigten Rohstoff gezahlt wird als in Europa. Doch da der asiatische Sommer bislang nicht so heiß war wie üblich, wird weniger gekühlt – und das LNG-Gas drängt in andere Märkte, auch wenn dort nur magere Preise erzielt werden können.Hinzu kommt, dass die – verglichen mit Kohlekraftwerken – klimafreundlichen Gaskraftwerke im Zuge der Energiewende kaum noch Strom erzeugen, weil sie durch die Solar- und Windanlagen aus dem Markt gedrängt werden. Nahmen diese Großverbraucher vor wenigen Jahren noch etwa ein Viertel der hiesigen Gasmengen ab, dürften es heute weniger als 10 % sein, kalkuliert Eon-Experte Jakob. Spread schnurrt zusammenAuch diese geringere Nachfrage drückt den Preis – der inzwischen so tief gefallen ist, dass Statkraft bislang weitgehend eingemottete Gaskraftwerke wieder häufiger ans Netz gehen lässt.Summa summarum gibt es momentan also im westlichen und mittleren Europa Erdgas satt. Mit der Folge, dass die teuren LNG-Anlagen, die per Schiff angelandetes Flüssiggas wieder vergasen, bei weitem nicht ausgelastet sind. Gashändler beobachten zudem, dass angesichts des Überangebots der Spread zwischen preiswerten Sommer- und teuren Winternotierungen von ehedembis zu 10 Euro auf gut 2 Euro je MWh zusammenschnurrt ist. Da die Vollkosten eines Gasspeichers laut Büx zwischen 6 und 8 Euro/MWh liegen, gebe es keinerlei Anreize mehr für den Bau neuer Speicher – die jedoch für eine größere Versorgungssicherheit benötigt werden. Abhängigkeit wächst weiterEinzige Ausnahme ist der derzeit im Bau befindliche Speicher “Katharina” in Sachsen-Anhalt, der von Gazprom Germania gemeinsam mit der Verbundnetz Gas (VNG) errichtet wird und in den die Tochter des russischen Gasriesen 210 Mill. Euro investiert. So wertvoll die damit verbesserten Reservekapazitäten auch sind, die von der Politik beklagte Abhängigkeit von Russland oder russischen Firmen verringert dieser Neubau nicht – im Gegenteil. Was das alles für den Gaspreis bedeutet? Für Eon-Experten Jakob ist aktuell alles möglich. Weiter fallende Notierungen seien ebenso denkbar wie sehr hohe Preise in nicht allzu ferner Zukunft – “die Preisrange ist sehr weit”.