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Stahl ist Teil der Lösung - Für mehr Weitblick in der Klimadebatte

Börsen-Zeitung, 31.1.2020 Die aktuelle Klimaschutzdebatte dreht sich sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene vorrangig um politische Zielwerte zur Senkung von CO2-Emissionen. Wirtschaftliche Überlegungen bleiben dagegen außen vor....

Stahl ist Teil der Lösung - Für mehr Weitblick in der Klimadebatte

Die aktuelle Klimaschutzdebatte dreht sich sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene vorrangig um politische Zielwerte zur Senkung von CO2-Emissionen. Wirtschaftliche Überlegungen bleiben dagegen außen vor. Betrachtungen von globalen Wertschöpfungsketten, Wettbewerbsfragen, industriellen Zukunftsvisionen, Lebenszyklusbilanzen von Produkten und Werkstoffen sowie Zusammenhänge ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit werden zwar gelegentlich adressiert, bleiben aber unkonkret.Neben der Frage, wie künftig auf lange Sicht Stahl produziert wird, muss es auch darum gehen, welchen Beitrag der Werkstoff schon heute zur Nachhaltigkeit leistet. Einer Studie der Wirtschaftsvereinigung Stahl gemeinsam mit der Boston Consulting Group für die EU-28 zufolge spart Hightech-Stahl über Anwendungen etwa im Automobilleichtbau, in effizienteren Elektromotoren und Kraftwerksturbinen oder bei erneuerbaren Energien wie Windkraft sechsmal so viel Energie und damit CO2 ein, wie in seiner Produktion entsteht. Stahl ist also unverzichtbarer Bestandteil einer “nachhaltigen” Welt.Vor allem bei der E-Mobilität kann der Werkstoff Stahl seine Stärken unter Beweis stellen. Denn hier zählt nicht nur jedes Kilo Gewicht im Hinblick auf die Reichweite der Batterie, sondern auch Stabilität in puncto Sicherheit. Dies macht ultraleichte und hochfeste Stähle erforderlich, insbesondere im Karosseriebereich. Aber auch für das E-Automobil spezifische Bauteile wie der Batteriekasten sind im höchsten Maße sicherheitsrelevant und stellen extrem hohe Anforderungen in Sachen Crashverhalten an die Zulieferer aus der Stahlindustrie.Und schließlich soll auch betont werden, dass Stahl ein Werkstoff ist, der kein “Wegwerfprodukt” ist. Am Ende seines Produktlebenszyklus, etwa in einem Auto, wird er wieder in Form von Schrott im Produktionskreislauf verwendet. Weltweit werden jährlich rund 600 Mill. Tonnen Stahlschrott recycelt. Der Voestalpine-Konzern setzt beispielsweise über 25 % Schrott in der Stahlerzeugung ein (und damit übrigens deutlich mehr als der europäische Durchschnitt mit 19 % und mehr als doppelt so viel wie China). Zur grünen StahlproduktionDie langfristigen europäischen Klimaziele, zu denen sich die europäische Stahlindustrie und mit ihr die Voestalpine bekennt, erfordern auch ein Umdenken in der Stahlproduktion selbst. Der Voestalpine-Konzern hat mit rund 2,3 Mrd. Euro in der vergangenen Dekade nicht nur massiv in den Umwelt- und Klimaschutz investiert, sondern auch damit begonnen, Brückentechnologien zu etablieren und an alternativen Herstellungsverfahren zu forschen, um zur Klimaneutralität beizutragen.Daher wird bereits mit Hochdruck an technischen Szenarien gearbeitet, um die Dekarbonisierung der Stahlproduktion an den Standorten Linz und Donawitz weiter voranzutreiben. Konkret wird aktuell die Umsetzbarkeit einer Hybridtechnologie geprüft. Damit soll die bestehende koks-/kohlebasierten Hochofenroute schrittweise durch mit grünem Strom sowie dekarbonisierter Rohstoffbasis betriebene Elektrolichtbogenöfen zur Rohstahlerzeugung ersetzt werden. Diese Option würde bei entsprechender Wirtschaftlichkeit nach heutigem Stand nach 2030 zu einer markanten Senkung der prozessbedingten CO2-Emissionen um rund ein Drittel führen.Parallel forscht Voestalpine intensiv an sogenannten “Breakthrough-Technologien” für die Stahlproduktion, um langfristig Kohle als Energieträger durch CO2-neutralen Wasserstoff zu ersetzen. Forschungsprojekte beinhalten einerseits das EU-Leuchtturmprojekt H2Future am Standort Linz zur Herstellung und Nutzung von “grünem” Wasserstoff im großindustriellen Maßstab und andererseits am Standort Donawitz Versuchsanlagen zur CO2-freien Stahlerzeugung durch Direktreduktion von Erzen mittels Wasserstoff. Darüber hinaus wird auch an Möglichkeiten geforscht, CO2 mittels Wasserstoff in verwertbare Rohstoffe umzuwandeln. Grundvoraussetzung für die Dekarbonisierung der Stahlproduktion – sowohl für die Umsetzung einer Hybridtechnologie unter Einsatz von Elektrolichtbogenöfen als auch für eine langfristige Technologietransformation auf Basis von grünem Wasserstoff – ist jedoch, dass Strom aus erneuerbarer Energie in ausreichender Menge und zu wirtschaftlich darstellbaren Preisen zur Verfügung steht. Nur so werden die zukünftigen Technologien auch tatsächlich wettbewerbsfähig betrieben werden können.Die europäische Stahlindustrie blickt daher mit großem Interesse auf die weiteren Entwicklungen rund um den Green Deal der Europäischen Union. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bei der Präsentation davon gesprochen, dass der Green Deal eine neue Wachstumsstrategie ist – für ein Wachstum, das mehr zurückgibt, als es wegnimmt – und den Green Deal als “Mensch auf dem Mond”-Moment Europas bezeichnet. Mond- oder Bruchlandung?In den vergangenen Wochen wurden zahlreiche Klimaziele diskutiert. Was jetzt dringend nötig ist, sind realistische Vorgaben und konkrete Taten auf nationaler und europäischer Ebene. Wenn der Green Deal wirklich Europas Mondlandung werden soll, dann sollte die Reiseplanung recht bald beginnen und es sollte nicht vergessen werden, die Stahlindustrie als Teil der Lösung mitzunehmen. Der Werkstoff Stahl kann und wird in Form von zukunftsweisenden Produkten einen wesentlichen Beitrag zu einer CO2-armen Zukunft in unserer Gesellschaft leisten, gleichzeitig müssen aber auch die Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Transformation der Stahlproduktion hin zum Einsatz erneuerbarer Energien geschaffen werden. Andernfalls könnte Europas Reise zum Mond in einer industriellen Bruchlandung enden. Herbert Eibensteiner ist CEO der Voestalpine AG. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Von Herbert EibensteinerDer Stahl kann und wird einen wesentlichen Beitrag zu einer CO2-armen Zukunft in unserer Gesellschaft leisten – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.—-